REISEN - REISEN
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Bilder und Geschichten aus meinen Reisen
Es lohnt sich, eine Reise nur nach dem Berg Ida und seine Umgebung vorzunehmen. Er endet an zwei Meeren, deren Küsten mit vielen Olivenhainen umsäumt sind. Mindestens drei Orte von Weltbedeutung befinden sich in seinem Umkreis: Das Troja von Schliemann, die Dardanellen mit Gallipoli, das man als Geburtsstätte der neuen Türkei annehmen darf, und Pergamon, über dessen Bedeutung man nicht viele Worte machen muss.
Lesbos ist nicht nur ein Atem beraubender Blick vom Berg, sondern ein ebenso wunderbares Tagesziel. Im Frühjahr kann man im Westen (Vogelparadies) neben einer großen Invasion von Brutvögeln, ca. 200 bis 270 Arten, auch so scheinbar exotische Vogelarten wie Pelikane und Flamingos bewundern. Wer sonstige Persönlichkeiten aus der Vogelwelt live erleben möchte, muss nur die richtige Jahreszeit wählen. Alle - wirklich alle - europäischen Störche, die ostwärts nach Afrika ziehen, fliegen entweder über den Bosporus (300 km entfernt) oder über die Dardanellen, am Fuße des Bergs. Übrigens, dieses Vogelparadies ist nicht das einzige in der Türkei, es gibt etwa 70. Dort leben 450 Arten (in ganz Europa 500). Ca. 250 Vogelarten ziehen mit ca. 100 Mio Individuen über die Türkei.
Unter Wasser lassen sich neuerdings auch Exoten finden, die früher nur in den Tropen lebten. In der Bucht vor Lesbos haben türkische Fischer 2010 Papageienfische gefangen. Barrakudas leben seit etwa 50 Jahren hier und gelten nicht mehr als Exoten.
Die Götter mögen verzeihen
Die Strecke, für die ich unheimliche Qualen erleiden musste, fuhr ich nur vier Jahre später mit eigenem Auto. Ich kam mir sehr reich vor, weil ich nicht mehr mit einem klapprigen Fahrrad unterwegs war. Während mein Fahrrad von 1924 stammte, war das Auto gerade mal sechs Jahre alt. Und ein Cabriolet! Nur fanden das die Leute in der Türkei nicht für ein Zeichen von Reichtum, mit einem Fiat 500 durch die Gegend zu gurken. Dort musste man schon einen Chevy mit acht Zylindern sein eigen nennen, um Eindruck zu schinden. Mit dem Fiat 500 musste man hingegen sich wieder mal die Berge hoch schinden, und wurde noch dazu brutal von den Bussen geschnitten, deren Fahrer diesen Asphaltfloh sich aus der Nähe angucken wollten.
Obwohl mehrere Serpentinen mittlerweile abrasiert, d.h. begradigt worden waren, kroch mein Töf Töf mit unglaublichen 20 km/h die Windungen des Berges Ida hoch. Dabei entwickelte die Kiste einen unglaublichen Lärm und sprühte dazu Öl durch die Gegend, weil der Motor der festen Meinung war, dass man der Umwelt so etwas nicht vorenthalten sollte. Ich fuhr diesmal mit einem Freund - man hat mehr Freunde, wenn man ein Auto besitzt - der die Gegend etwas kannte. Aber so amüsierte Gesichter hatte er dort früher nicht gesehen. Immer wenn wir an einem Dorf vorbei fuhren, schrieen die Kinder „Mami, Mami, guck ma´ raus. Das Ding fährt!“ Natürlich schrieen sie auf Türkisch. Aber heute würden sie eher auf Deutsch brüllen, wenn man mit einem 8-Zylinder Chevy vorbei gedüst käme. Auch in der Türkei weiß man, was Benzin kostet - nämlich mehr als in Europa. Das verdanken die Türken ihrer Steuerehrlichkeit, unter der sie verstehen, dass nur Angestellte und solche, die sich blöd anstellen, Steuern zahlen. Die anderen umschiffen die Hürden der Finanzämter, und zwar so lange, bis das Geld für ein Auto reicht. Dann schlägt der Fiskus unbarmherzig zu über die Benzinsteuer. Auch eine Methode für Steuergerechtigkeit zu sorgen.
Bei mehreren späteren Besuchen habe ich die Fauna und Flora schätzen und lieben gelernt. Sie ist deswegen besonders, weil hier der Übergang vom Klima des Schwarzen Meeres zu dem des Mittelmeers stattfindet. Solche Zonen sind für Pflanzen besonders reizvoll, weil sie viele Zwischenformen bilden, die sich nur dort finden. Die reizvollste Zone ist aber die Halbinsel, auf der sich die asiatische Seite von Istanbul befindet. Während die ganze Welt als Istanbul nur eine dröhnende Megacity kennt, leben auf dieser Halbinsel 2.500 Pflanzenarten, darunter viele endemische. Allein diese Provinz weist eine größere Biodiversität auf als manches große Land. Vermutlich hängt dies auch damit zusammen, dass die Gletscher der Eiszeit nie bis hierher gekommen sind. Diese haben die Pflanzenwelt in den Süden der Alpen vertrieben, von wo aus der Rückweg eben wegen dieser Berge abgeschnitten war. Deswegen ist die Pflanzenwelt in Italien viel artenreicher als in Schweden. Hier gab es keine Eiszeit, aber bis Mitte des 19. Jhs Tiere wie Löwen, die man heute nicht einmal überall in Afrika sehen kann.
Der Berg ist voller Wasserquellen, aus denen man klares kaltes Wasser trinken kann. Viele Bäche suchen sich ihren Weg nach unten, entweder in die Ägäis oder ins Marmara Meer. Der Weg nach zum Meer führt über viele Wasserfälle, an denen heute leider auch viele Picknickplätze entstanden sind. Wenn Paris morgen als Hirte durch die Gegend ziehen würde, würde er nicht mehr aus nur drei Schönheiten eine wählen müssen. Ob sich die Aphrodite alias Venus mit den heutigen Schönheiten messen könnte, ist aber nicht immer sicher. Auf jeden Fall wird Paris keine einfache Entscheidung fällen können, weil er bei einem Teil der Damen nicht mehr viel sehen wird, während andere recht freizügig herumlaufen. Bei meiner ersten Reise galt noch das bekleidete Herumlaufen am Strand als Ruhestörung (das Foto ist authentisch), während heute nur noch Fremde oder befremdlich aussehende Figuren dort in Badehosen herumlaufen. Wenn ich mir die heutigen Sitten angucke und diese mit den Stories aus der Mythologie vergleiche, z.B. wie Zeus Europa über den Hellespont jagt oder Schwan bei Leda spielt, oder wie Aphrodite den armen Anchises verführt, muss ich zugeben, dass der Weg zurück zum Mittelalter ziemlich weit gediehen ist. Frauen mit Chador sind zwar noch selten, aber Schwimmen mit Klamotten nicht. Dummerweise haben die Mullahs gemerkt, dass Frauen in normaler Kleidung im Wasser noch anziehender aussehen als ohne (wet t-shirt contest). Deswegen ziehen sich die Damen richtig warm an, wenn sie ins Wasser gehen.
Wer heute den Berg hoch fährt, erlebt viel weniger Serpentinen, aber auch viel mehr Verkehr. Der Berg ist zu einem erheblichen Teil in einen Nationalpark verwandelt worden, was man in dem Bestreben tut, die Landschaft zu schützen. Die Leute finden dies so interessant, dass sie in Scharen in Nationalparks einfallen, um zu sehen, wie die Natur geschützt wird. Es gibt aber immer noch Bären und Hirsche, Wildschweine und Füchse, und am Himmel kreisen Adler und kleinere Verwandte. Auch eine Art Wildkatze lebt hier. Allen Naturschützern zum Trotz!
Falls ich mich nicht irre, gibt es auf dem Berg ein Torfmoor, allerdings nicht ganz freiwillig entstanden, sondern vor etwa 1500 Jahren nach der Vernichtung von großen Kastanien- und Eichenwäldern durch Menschenhand. Die Bäume hatten einen See leer gepumpt, dessen im Grundwasser verschwundener Spiegel nach dem Tod der Bäume wieder höher gestiegen ist. Am Ende steht heute dort ein Moor (Ciğer Gölü Turbalığı 39º52’37’’ N, 26º55’40’’ E ).
Kein highlight für Ängstliche ist die Nachricht, dass man auf diesem Berg Vipera xanthina, einer seltenen Schlangenart, begegnen kann, die nur in der westlichen Türkei und auf manchen Ägäischen Inseln lebt. Wahrscheinlich sagen die Wörter Achillea nobilis, Alcea pallida, Anchusa undulata, Anethum graveolens, Anthemis cretica, Anthemis tinctoria, Apium graveolens, Asparagus acutifolius, Asphodelus aestivus, Capparis spinosa var. spinosa den meisten nichts. Wer aber genau diese kopiert und in eine Suchmaschine eingibt, bekommt - nein, keinen Doktortitel einer fränkischen Uni - eine Übersicht über den ganzen Nationalpark. Allerdings nur auf Türkisch, die lateinischen Bezeichnungen für Flora und Fauna ausgenommen. Na, ja, die Götternamen sind Griechisch, manchmal Römisch geschrieben.
Meine zweite Reise zum Berg Ida endete mit einer lustigen Episode, die man erzählen muss. Aus lauter Nostalgie, oder aus Not, sind wir wieder in der Herberge abgestiegen, wo sich Mensch und Tier so nahe kommen wie selten. Mein Freund und ich waren die einzigen jungen Männer, die die letzten Jahre hier abgestiegen waren. Touris, sofern aus Versehen hier, zogen es vor, etwas weiter zu fahren, während die jungen Bauern lieber nach Hause ritten. Zwei junge Männer aus Germany, dazu noch ein Cabriolet (na, ja) - das muss den Mädels vom Dorf aufgefallen sein.
Eines Nachmittags grinste unser Wirt noch breiter als sonst, sodass man nicht nur seine goldenen Zähne sehen konnte, sondern auch die Backenzähne. Er fragte uns, ob uns auf seinem Hof etwas gefallen hätte. Wir guckten uns herum und sagten: „Die Ziegen. Die sehen sehr hübsch aus.“ Sie sahen wirklich hübsch aus, auch wenn das Foto sie mittlerweile nicht mehr schön abbildet, weil es Patina angesetzt hat. Er ging und kam eine halbe Stunde später in unser Kabuff. Er sagte: „In Ordnung, die Mädchen packen ihre Sachen, ihr könnt heute Abend wegfahren.“ Hä! Welche Mädchen? Da guckte unser Wirt ratlos im Zimmer herum und sagte, die Ziegen von vorhin, was denn sonst?
Zwei Nachbarmädchen hatten ihn gebeten, sie mit uns bekannt zu machen. Sie hatten sich hinterm Zaun versteckt, aber so, dass wir sie hätten sehen können. Leider hatten wir wirklich nur Ziegen gesehen. Unsere Worte wiederum hatten die Mädchen als Ausdruck einer besonders raffinierten Vorsicht verstanden. Die Eltern sollten nämlich nichts merken.
Als wir ratlos plauschten, fing im Nachbarhaus ein Geschrei an. Es war die Mutter der Mädchen, die sie beim Packen erwischt hatte. Die beiden Schönen haben ihr gesagt: „Ja, die Jungs von nebenan nehmen uns mit nach Istanbul. Dann fahren wir nach Deutschland.“ Die Mutter war außer sich und verkloppte die beiden Gören nach Herzenslust. Das Ende haben wir nicht mehr erlebt. Schnell bündelten wir unsere Siebensachen und schmissen alles ins Auto und flüchteten Kopf über Fuß, bevor der Vater die Szene beehrte. Ja, türkische Mädel sind besonders sittsam - in der Regel … Und türkische Väter wissen, was junge Männer von hübschen Töchtern wollen. Aus Erfahrung, aus eigener.
Wer sich für die Geschichte des Christentums interessiert, sollte sich einen Kreis mit einem Radius von 200 km um den Gipfel des Bergs zeichnen. Alle Orte der 7 ökumenischen Konzilien von Chalcedon bis Nicäa finden sich in dem Kreis, fast alle. Nur Ephesos ist Luftlinie 240 km entfernt.
zu meiner Reise zu dem anderen Berg Ida hier klicken
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