Anreisewege

 

Wie man hierher kommt …

Viele Wege führen nach Rom, aber vielleicht noch mehr hierher, denn Rom wurde auf sieben Hügeln einer Halbinsel gegründet, während Istanbul die einzige Stadt ist, die auf zwei Kontinenten steht, die durch Meere getrennt sind, oder verbunden werden, wie man´s nimmt. Wer hierher kommen möchte hat die Wahl - ohne Qual!

Wenn man die Wege verfolgt, die die Natur vorgegeben hat, kann man den Flugbahnen der Störche folgen. Hier überwinden die „Ostzieher“ der europäischen Störche die Barriere, die ihnen das Wasser entgegen stellt, die sie als Segelflieger leider nicht mit Flügelschlagen überwinden können. Die Ostzieher ziehen über den Bosporus nach Kleinasien und von dort zuerst der Mittelmeerküste folgend, später den Lauf des schönen Nils entlang, ins östliche und südöstliche Afrika. Die Mehrzahl aller Weißstörche gehört zu den Ostziehern. Über die Straße von Gibraltar ziehen nur noch wenige Störche, die Westzieher.

Da wir Menschen keine Segelflieger sind, müssen wir uns etwas anderes einfallen lassen. Vor Jahrhunderten musste die Kutsche dafür herhalten, die z.B. die Tulpe auf dem Rückweg nach Holland mitnahm. Später, ganz viel später, übernahm der Orient Express deren Aufgaben. Wie die Gattin von Napoléon III, Kaiserin Eugénie, in der Langform auch Maria Eugénia Ignacia Augustina Palafox de Guzmán Portocarrero y Kirkpatrick, nach Beylerbeyi gelangte, ist nicht überliefert. Aber sie war definitiv da. Bei Napoléon Bonaparte und seiner Kaiserin Joséphine de Beauharnais hätte man die Sache schon genauer notiert. Mit der letzteren Dame, Joséphine, hat Beylerbeyi allerdings eine engere Beziehung, obwohl sich die beiden nie gesehen haben. Joséphine starb in Rueil-Malmaison bei Paris, wo die Straßen und die Häuser verdammt nach manchen Pendants in Istanbul ausschauen. Zufall ist das indes nicht, die Osmanen und die Franzosen waren lange liiert. Die einen übernahmen von den anderen das Plumsklo, die anderen die Jalousetten, die das Gesicht vieler Häuser prägen, in Istanbul und in Rueil-Malmaison.

Nach dem Tod des Orient Express mussten lange Karawanen von Autos für den Transport von Wessies nach Istanbul herhalten, die allesamt die sog. Autoput in Jugoslawien befuhren. Autoput bedeutet etwa das, wonach es klingt, Auto und kaputt. 1.000 km Ödnis bei 35ºC und verreckte Autos rechts und links. Dazwischen türkische Familien am Berghang, die ihren Samovar überall anschmeißen, auch in dieser Ödnis. Um nach Beylerbeyi zu gelangen, musste man nur noch eine der vielen Fähren über den Bosporus nehmen. Nehmen klingt gut, man konnte aber nicht so einfach eine nehmen. Brav warten, bis sich die Schlange vor einem Richtung Fähre bewegt. Eine Stunde, zwei - oder mehr? Kommt darauf an, wann … Vorher aber noch 2.000 bis 2.700 km abspulen, je nachdem, wo man aus Deutschland kommt.

Der moderne Mensch kennt solche Fisimatenten nicht und besteigt einen Flieger, der ihn zu einem super-modernen Flughafen bringt. Dann nimmt er ein Taxi, oder sein eigenes Auto, und steht auf einer vierspurigen (nur vier?) Autobahn, weil die Brücke, die die Fähren ersetzt hat, fast immer zu ist. Zudem sorgt eine super-super-moderne Technik dafür, dass nur Autos mit vorbezahltem Konto hier rüber dürfen. Die anderen müssen viele Kilometer nördlich die zweite Brücke passieren, was sie aber erst viel später erfahren, als sie es benötigen. Wenn man dennoch mit eigenem Auto fährt: Gas geben, über die Brücke und die erste Abfahrt sofort danach nehmen - und man ist in Beylerbeyi. Wenn gleich ein Polizeiauto dahinter steht, keine Angst. Die Beamten kennen nur zu gut das Problem mit der schwarzen Durchfahrt.

Der noch modernere Mensch nimmt den Weg, den die Aliens bereits in der Antike genommen haben: den Seeweg. Sie kommen mit einer schwimmenden Stadt an, ein Teil lässt sich davon überzeugen, dass Beylerbeyi der Ort ihrer Träume ist (erste Station auf Asien), und legt mit einem großen Motorboot kurz vor dem Palast an. Am Palast selbst darf man nicht anlegen, da wird die Luft bleihaltig. Er wird von Soldaten bewacht, weil noch Sitz des Staatsoberhaupts. Eigentlich nur Nebensitz, aber die Leute vor Ort sehen das nicht so.

Auch die, die mit allen sonstigen Vehikeln nach Istanbul gespült werden, können eine Personenfähre nehmen, die sie unbürokratisch in Beylerbeyi absetzt. Während die alten Bosporusfähren fast 100 Jahre lang mühsame Anlegemanöver absolviert haben, um ihre Fahrgäste loszuwerden, machen es die jetzigen brutal einfach. Die Fähre verlässt sich auf ihr Reifenpolster am Bug und stößt geradeaus auf die (ehemalige) Anlegestelle zu. Der Käpt´n lässt beide Maschinen vorwärts laufen, bis die Fahrgäste ein- bzw. ausgestiegen sind. Dann rummmss, voll rückwärts und die nächste Haltestelle. Kein Wunder, die Kisten sind direkte Nachfahren der Schnellboote, die die Amis den Russen im Krieg geliehen hatten. Als der große Krieg, und dann die Freundschaft, zu Ende war, mussten die Beschenkten das Geschenk loswerden. Da es nicht mehr der Rede Wert war, blieben die Boote in Istanbul. Die Kisten nach Newport oder gar San Diego zu fahren, hätte auch zu Zeiten des billigen Diesels ein Vermögen gekostet. Sie sehen nicht mehr so militärisch-bedrohlich aus und bieten viele nette Sachen wie den schnellen Tee über den Bosporus. Ein Boot ist mir im Gedächtnis geblieben, weil dessen Kapitän das für mich originellste Rauchverbot erlassen hat. Auf einer Tafel stand geschrieben: „Hier darf geraucht werden. An jedem zweiten Tag. Heute ist der Tag, an dem nicht geraucht werden darf.“ Na ja, das klingt nach Catch 22.

Ah, ja! Die exklusivste, weil seltenste, Möglichkeit, besteht darin, sich auf die gefrorene Donau zu setzen. Irgend wann entstehen daraus Eisschollen, die ins Schwarze Meer herunter gespült werden. Wenn man Glück hat, schmilzt das Eis erst nachdem es Beylerbeyi passiert hat. So geschehen im Jahre 1954, nach Christus. Wenn es vorher seinen Geist aufgibt, wodurch auch der Mitfahrer gezwungen würde, dasselbe zu tun, bekommt man eine einmalige Chance, auf einem der malerischsten Friedhöfe der Welt begraben zu werden, auf einem Hügel mit Mittelmeerzypressen, von dem aus man die Ankunft weiterer Eisschollen (vom Norden kommend) oder das Verschwinden von Herrn Jason auf Argo (vom Süden kommend) beobachten kann. Allerdings wird man erleben, - wieso denn erleben? -, dass die Bilder auf dieser Seite nicht der Wahrheit entsprechen, nicht ganz, weil am Meer unten, erst recht auf dem Hügel da oben, häufig wilde Winde toben. Wer nicht gut steuern kann, und trotzdem die vielen Windungen des Bosporus überlebt, ist Kandidat, in Beylerbeyi zu stranden. Leider sagt das Wort stranden wieder mal etwas Falsches, hier gab es Strände, heute gibt es nur noch befestigte Kaimauern, freilich ohne Kai. Sie gehören den vielen Yalıs, so nennt man Häuser am Wasser, früher aus Holz und unwiderstehlich schön, wovon die mit den schönsten Gärten in Beylerbeyi standen. In die, die heute noch stehen, kommt man nur noch als Gast des reichsten Menschen im Land (privat) oder als Hotelgast, auch privat, aber mit dicker Börse. Dann guckt man auf den Bosporus und über den Bosporus, wo auf der anderen Seite eines der 20 Top-Hotels der Welt steht, Çıragan Palace Kempinski. Man kann dort z.B. die Vezir Suite für EUR 4.374,-- buchen. Kenner der hiesigen Sprache werden ahnen, dass dies nicht ganz das Ende der Fahnenstange sein kann, da über dem Vezir (Minister), der Großvezir (Kollege von Angie M.) und, nicht zuletzt, der Sultan (protokollarisches Pendant zu Horst Köhler) standen. Die Sultan Suite kostet EUR 21.600,--, unter Freunden und Espressomaschine, Hubschrauber und natürlich Butler eingeschlossen. Trinkgeld extra. Der glückliche Empfänger dessen kann sich davon übrigens einen ausgedehnten Urlaub leisten.

Da wo etwa das Kreuz von Konstantin gestanden haben mag, kann man heute einen weißen Kiosk bewundern. Stil nicht ganz türkisch, auch nicht osmanisch. Vielleicht spät-osmanisch? Eher Rokoko. Übrigens, das Wort Kiosk stammt aus dem Türkischen und wird für etwas prunkvolle Gebäude weit unterhalb von „Palast“ benutzt. Dieses Gebäude hier sieht gegenüber dem Palast zwar mickerig aus, stellt aber für sich gesehen ein Kunstwerk dar. Für manchen allerdings dürfte es das letzte schöne Ding gewesen sein, das er gesehen hat. Wer etwa in der Kameraposition schwamm, war nicht selten Todeskandidat, hier gibt es bis vier Knoten Strom. Und den überleben nur gute Schwimmer, indem sie hier gar nicht schwimmen. Die anderen finden sich im Nu einige Meilen südwärts. Und die antiken Kolonisten konnten ins Schwarze Meer nur dann gelangen, wenn sie diese Stelle Richtung Norden passiert hatten.

Die luftigste Anreise haben indes die Störche. Bis auf wenige Tausend, die über Gibraltar ziehen, zieht fast die gesamte Population aus Europa über den Bosporus bzw. die Dardanellen. Störche können nur kurze Strecken über das Meer fliegen. Dann müssen sie sich hochschrauben, wie hier über Beylerbeyi.