Sipadan - Ein Tauchertraum

 

Sipadan nennt sich eine Insel im Nordosten von Borneo, die niemand mehr so erleben wird wie ich bei meiner Reise. Dazu sorgten die Regierung von Malaysien zum einen, die Piraten aus den Philippinen zum anderen - und die Korallenbleiche - zum letzten! Von ihr hatte ich etwa vor 20 Jahren gehört, sie sollte unerhört billig sein. Als ich buchen wollte, war sie auf einmal unerhört teuer. Mein Tauchagent versuchte dies mit den geänderten Umrechnungskursen zu erklären - Nebbich! Die Wahrheit ist, dass Sipadan für eine kurze Zeit eine wahrlich einsame Größe bei den Tauchern gewesen ist. Am Anfang stand ein Besitzer mit einem muslimischen Namen, dem man das Recht der Ausbeutung der Insel mit einem Privileg abgekauft hatte, nämlich dort ein Hotel zu erstellen. Da er damit nicht allein war, baute man im Nu 400 Hotelbetten auf einer Insel, die nur 100 vertragen hätte, oder gar keine, weil dort die Nomaden der Meere, die Schildkröten, ihre Eier ablegen. Sipadan ragt nämlich etwa 600 m senkrecht aus dem Ozeanboden heraus - und steht allein da. Da kommt allerlei Getier aus der Tiefsee hin. Oder - es fällt jede Menge in die Tiefsee hinein. Das Gefühl, wie ich das Absinken meines Schlüsselbundes auf 600 m empfinde, wenn ich ihn an der Mole verliere, werde ich nie wieder vergessen. Sipadan ist eine Nummer für sich. Leider nicht mehr so unbeschädigt wie einst. Vielleicht erholt sie sich, weil sie wieder unbewohnt ist.

Im Jahre 1998 beschloss nämlich die Regierung, die Hotelbetten von 400 auf 80 zu kappen. Noch während der murrend befolgten Abrissaktion schlug die Natur brutal zu und vernichtete die gesamte Korallenpopulation durch Hitze. Die Resorts waren froh, die 80 Betten voll zu kriegen, als die Piraten aus den Philippinen noch brutaler zuschlugen und die Touristen entführten. Ende 2003 war Sipadan frei von Menschen - d.h. relativ (siehe unten).

Sipadan kann uns eine Geschichte davon erzählen, wie menschliche Intelligenz und Geschäftstüchtigkeit nicht nur sich selbst vernichtet, sondern auch noch die Natur, von der sie leben will. Wer heute dahin fahren will, sollte sich die kurze Geschichte ihrer menschlichen Besiedlung mit ihrer wahren Geschichte zusammen lesen.

Wie ich dahin kam …

Eine Nadel im Ozean

Die Schildkröten stört die Sache wohl nicht ganz so stark. Als ich Minuten nach der Ankunft in der flachen Lagune einige von ihnen sah, dachten sie nicht daran, abzuhauen, wie es die Schildkröten sonst tun. Beim Tauchgang sind sie gar durch die Tauchergruppe durch getaucht. Das war mir neu. Nachts liefen sie notfalls an mir vorbei zur Eiablage. Das kannte ich bereits - von unseren Hühnern. Aber die hinterließen nicht so gewaltige Spuren im Sand.
Der Bootsführer übergab mich einem ganz schlaksigen Chinesen, der im Boot noch nach einem Weib suchte, das mir gehört. Später habe ich erfahren, dass ein Mann in meinem Alter ohne Weib nicht reisen kann. Bis zu meiner Abfahrt wurde ich jeden Tag nach dem Befinden der Gattin gefragt, die wohl krank in der Hütte lag. Ich berichtete - beinahe wahrheitsgemäß - dass es ihr gut ginge. Dass sie um die 9.000 km weiter wohnte, wurde nicht weiter thematisiert. Bis dato hatte ich Länder gekannt, wo eine Frau ohne Mann nicht existiert. Und nun das!
Einige Stunden später war die Insel voll besiedelt. Zum zweiten Mal in meinem Leben war ich die einzige Langnase auf einer Insel. Tolles Gefühl, einzigartig zu sein. Na, ja … So toll ist die Sache nun wieder nicht, weil die Chinesen immer dann Suppe schlürfen, wenn uns gerade nach Kaffee ist. So etwas hatte ich früher nur bei der längst verflossenen Gewerkschaft DAG erlebt, deren tolle Heimleitung im Gewerkschaftsseminar keine Kaffeepause anordnete, sondern Brühepause. Bei den Chinesen auf Sipadan durfte auch etwas Huhn in der Brühe sein. An Kaffee musste man selbst denken. Andere Länder, andere Brühen.
Wie dem auch sei, ich war gut angekommen. Niemand machte Anstalten, mich wegen meiner Rasse zu diskriminieren. Und mein Bart wurde häufig gestreichelt - von Männern, leider Gottes! Die finden einen außer-asiatischen Bart derart interessant, dass ihnen die Hand immer wieder ausrutscht. Die einzige Langnase, auch noch mit Bart, und er turnte morgens nicht am Strand. Gut angekommen?
Sipadan präsentierte sich als ein Gedicht. Man konnte beliebig weit ins Meer blicken, ohne dass ein Gegenstand den Blick störte, man konnte sich aber genauso gut umdrehen und in einen dunklen Wald sehen. Mir gefiel am meisten, dass ich den Regen weit draußen auf dem Meer entdecken konnte, lange bevor er uns erreichte. Da lief eine einsame Wolke über´s Meer und entschloss sich dann und wann, abzuregnen. Unter ihr sah man nun, was man bei kleinen Jungs sieht, wenn sie … Nur breiter. Am tollsten präsentierte sich das Wölklein, wenn es sich entschlossen hatte, zu einem stürmischen Gewitter zu werden. 
Dann sah man in der Ferne eine Wolke, unter der der Regen schräg ins Wasser fiel. Sie traf manchmal nur ein Inselchen, und das nicht einmal ganz, obwohl das Inselchen wirklich ein solches war.

Als ich auf Pulau Sapi meine denkwürdige Diskussion mit dem unerwarteten Gast abgehalten hatte, war die Welt auf Sipadan noch in Ordnung. Ich sollte nach Kinabalu fahren und mir eine Buchung nach Sipadan bei Abdillah beschaffen. Ganz hat die Sache nicht geklappt, weil ich bei einem Chinesen gelandet bin. Abdallah hieß er nicht. Macht nix. Der Flug mit Malaysian kostete schlappe 50 $ und war ein Gedicht! Wir flogen bei Sonnenaufgang den Mount Kinabalu hoch und tauchten in ein Wunder an Farben des Himmels hinein. Fliegen über die ältesten Urwälder der Welt … Nach der Landung in Tawau muss man noch einen wilden Ritt im Jeep über sich ergehen lassen. In Semporna besteigt man ein Boot mit den gewaltigsten Außenbordmotoren, die es gibt. Auf Borneo kostet das Benzin nix. Nach etwa 40 Minuten landet man auf der Insel. (Jetzt nicht mehr.)

Die Insel ist äußerst klein, aber nicht so klein wie die meisten auf den Malediven. Wie gesagt, sie ragt 600 m über dem Meeresboden hoch und besitzt wunderschöne Korallenstrände rings herum. Man muss zum Tauchen nie weit weg. Genau genommen könnte man zum Tauchpunkt hinschwimmen. Das können die modernen Tauchtouris leider nicht mehr. Früher schwamm man noch 500 m durch die Dünung, um Luft zu sparen. Heute macht es brrrrummms - und man ist da. Leider fällt der Zauber entsprechend nüchtern aus.

Gleich meine zweite Nacht wollte ich auf die Pirsch gehen und Schildkröten bei der Eiablage filmen. Das durfte man dort, wenn man kein Licht benutzte. Meine Kamera soll angeblich schon bei Mondschein annehmbare Aufnahmequalität liefern.

Etwa jeder dritte Touri auf der Insel war irgendwo am Strand, um die Ankunft der trächtigen Damen aus dem Ozean zu erwarten. Leider lachte das Glück eher den anderen. Macht nix, die Nacht ist lang und ich kann lange wachen. So machte ich mich auf an eine Stelle am Strand, wo die meisten Löcher waren. Ach, ja, Löcher … Die Schildkröten dürfen hier zwar frei laichen, die Eier werden aber gleich eingesammelt. Die ganze Nacht rennen Ranger rum, um die Gelege zu leeren, sobald sich die glückliche Mama wieder dem Ozean zuwendet.

Die Ranger sind aber keine Nesträuber, sondern Naturschützer. Sie sammeln die frisch gelegten Eier und legen ein neues Nest an - mit einem Drahtgitter drum herum. Wenn die Jungs das Leben im Ei satt haben, krabbeln sie nach oben und finden sich in einem kleinen Hühnerstall. Sind genügend viele geschlüpft, werden sie in Eimer gepackt und alle gleichzeitig ins Meer geworfen. So hält man die Verluste klein.

Im Übrigen, die durch Filme bekannte Schlacht um die frisch geschlüpften Schildkrötenbabies findet nicht immer so statt, wie bei Cousteau und Konsorten dargestellt. Die Filme zeigen immer, wie die Schildkröten ausschlüpfen und auf dem Wege zum Wasser von diversen Tieren, z.B. von Fregattvögeln und Möwen, aufgefressen werden. In den Filmen sieht es zum Herzerweichen aus. Das entspricht nicht den Tatsachen. Zum einen schlüpfen die Babies der Schildkröten meistens nachts aus ihren Eiern, und ermitteln danach die echte Nacht durch den fehlenden Temperaturunterschied beim Aufstieg. Nimmt die Temperatur nach oben hin zu, bleiben sie lieber unten, weil sie auf Sonnenschein schließen. Leider klappt diese Weisheit bei Wolken und Regen nicht. Dann krabbeln die Babies auch tagsüber aus dem Nest - mit bekanntem Ergebnis. Auch das trifft nicht ganz zu, weil häufig Touris da sind, die mit Stöcken und Töpfen bewaffnet die Möwen und Fregattvögel vertreiben. Die frechen Viecher lassen sich aber auch mit hölzernen Argumenten nicht leicht einschüchtern. Die Schlacht um die Babies, Touris gegen noch schrägere Vögel, die ist wahr.

Meine erste Nacht bei den Schildkröten verlief nicht sehr erfolgreich. Die Damen ließen lange auf sich warten, was mir zwar Zeit zum Träumen einräumte, aber dennoch gefühlsmäßig sehr langsam verlief. Ehe meine Augen ganz zu fielen, bewegte noch Heron Island in Australien meine Gedanken, wo ich schon einmal auf Schildkrötentour gewesen bin. Dort kamen sie, die Damen mit dem dicken Panzer, aber regelmäßig - in der Saison natürlich.

Ein unsanftes Rütteln weckte mich. Das war nicht die Mama, die sich über mich wälzte, sondern ein Ranger. Er ließ erst von mir ab, als ich ihm zeigte, dass ich weder Eimer noch Harpune bei mir hatte. Vorher musste ich ihm angeben, in welchem Bungalow mein Bett stand. Er ging der Sache nach und kam erst wieder, nachdem er das leere Bett gefunden hatte. Überzeugt! Ich durfte weiter schlafen. Heut Nacht würde keine angehende Schildkrötenmama mehr kommen. Schade!

Eine Nacht bei den Schildkröten

Als die Regierung beschlossen hatte, Sipadan zu einer unbewohnten Insel zu machen, um den Riffen eine Erholpause zu gönnen, hatte sie bestimmt nicht mit der Findigkeit der Menschen gerechnet. Die haben nämlich ein Stelzendorf in der Nähe aufgebaut und tauchen doch vor Sipadan. Nun, ja … die Schildkröten laichen wenigsten in der Nacht von Menschen wie mir unbehelligt. Nur die Ranger sind noch da.