Vulkan und so …
Das Ende dieser Segelreise gehört zu den ungewöhnlichsten Dingen, die ich je erlebt habe. Vermutlich hat kaum ein lebender Mensch in Europa so etwas gesehen. Für mich hat sich das Ganze schlimmer dargestellt als für andere weil …
Weil ich einen sehr beeindruckenden Film gesehen hatte, an den ich mich sofort erinnerte, als meine Frau mitteilte, dass ich nicht zurück nach Hause kann. Der Film stellt Menschen dar, die auch nicht nach Hause konnten. Er heißt „On the Beach“ und spielt im Jahre 1964 ab, als die nördliche Halbkugel durch einen Nuklearkrieg zerstört wurde. Die, die nicht nach Hause können, sind die Matrosen der USS Sawfish im Hafen von Melbourne. Alle Menschen scheinen tot zu sein. Als man aber Signale aus San Diego empfängt, fährt das Schiff dorthin, um festzustellen, ob Menschen den Krieg doch überlebt haben. Aber sie stellen fest, dass die Signale von einer Cola-Flasche erzeugt werden, die der Wind hin und her schaukelt. Der Norden ist tot. Sie fahren zurück nach Australien, wo die Regierung Pillen verteilen lässt, zum Selbermachen. Der Film endet mit Aufnahmen von leeren Straßen von Melbourne. Mich hat dies am meisten erschüttert, weil ich kurz bevor ich den Film sah, in Melbourne am Hafen gewesen war. Die Stadt bebte so vor Leben. Im Film sterben sie wie die Fliegen.
Wie lautete aber die Nachricht, die mich so erschütterte? Meine Frau sagte am Telefon, in ganz Europa hätte die Asche von einem Vulkan den Flugverkehr lahm gelegt. Ich könne nicht mehr nach Hause. Und ich dachte, die Heimat läge in Schutt und Asche.
Nun - so schlimm war es Nu wieder nich! Europa lag nicht in Asche, über´s Haupt gestreut durch den Eyjafjallajökull (bitte nicht fragen, wie man das Wort ausspricht). Es war eitel Sonnenschein. In Lavrio auch. Wo liegt das Problem? Es ging kein Flug, die Website der Firma erzählte uns, der Flug sei geschlossen - was auch immer dies heißt -, und auch die Züge waren voll. Was tun?
Wir segelten erst einmal für zwei Tage weg. Der Vermieter war so großzügig, uns zu erlauben, auf dem Schiff zu bleiben. Die nächsten, die das Schiff hätten übernehmen wollen, konnten eh nicht anreisen. So verlängerte sich die Segelreise um zwei famose Tage, die wirklich schön waren. Dann aber wollten wir nicht mehr, weil die Vorräte alle waren. Einkaufen - oder lieber nicht? So beschlossen wir, die Heimreise auf einem ungewöhnlichen Weg anzutreten.
Wir wollten Griechenland Richtung Westen überqueren, dorthin, wo die Fähren nach Venedig ablegen. Der Ort heißt Patras oder Patra. egal, aber etwa 500 km weiter im Westen. Wie dahin kommen? Mühsam! Nicht so mit unserem Vercharterer! Er bot uns an, uns nach Athen zum Bus zu bringen. Das würde uns etwa zwei Stunden ersparen. Danke!
Am nächsten Morgen warteten wir zunächst vergeblich auf ihn. Sven sagte, verabrede dich niemals mit einem Griechen vor Acht! Doch, der Mann kam und holte uns ab. Wo geht es nach Athen, bitte? Wir wurden nicht nach Athen gefahren. Unser Vermieter fuhr uns tatsächlich bis Korinthos. Dabei lernten wir viel über Griechenland, vermutlich mehr als jeder Touri, weil der Mann wirklich gebildet ist. „Hier“, sagte er mir, „ist der Anfang Deiner Heimat“, und erzählte weiter, dass Istanbul von Leuten aus Megara gegründet worden ist, und nach deren König Byzas benannt worden, der die Gründung befohlen hatte. Seine Geschichte erzählt gerne jeder Fremdenführer im Topkapı, dem Palast der Osmanischen Sultane. Byzas hat das Orakel von Delphi gefragt, wo er die Stadt gründen sollte. Die Antwort hieß „gegenüber dem Land der Blinden“. Wenn man in Topkapı steht, sieht man das antike Chalcedon. Der Ort, ich meine der, wo der Palast steht, ist so wunderbar schön, dass man echt glaubt, die Gründer von Chalcedon müssen blind gewesen sein. (Vielleicht stimmt die Story doch nicht, denn Chalcedon ist etwa 4.000 Jahre alt, Istanbul nach neuesten Erkenntnissen etwa 8.000. Oder sie stimmt doch, denn die Stadt muss ein paar Mal untergegangen sein).
Was er über die EU erzählt hat, war weniger erbaulich. Hier stand ein Stahlwerk, leider nicht mehr da, weil er der Konkurrenz aus Deutschland nicht gewachsen war … Dort im Süden stand eine Textilfabrik, leider geschlossen, weil … Es scheint, die EU hat viel Geld nach Griechenland fließen lassen, das dokumentiert ist, aber viel mehr Rückfluss erhalten, was keiner mehr kennt. Griechenland ist ausgeblutet.
hier geht es weiter mit Mykonos - aber später
Dann ging die Reise weiter … vielmehr nicht weiter. Wir saßen in Korinthos an einem Busbahnhof. Die Busse schienen ausverkauft zu sein. Trotzdem fanden wir Platz in einem Bus, der sich eine Stunde nach unserer Ankunft auf den Weg nach Patras machte. Der volle Bus deutete an, dass bei der Fähre viel mehr los sein würde. Offenbar waren wir nicht die Einzigen, die die famose Idee hatten, sich nach Italien mit der Fähre durchzuschlagen. Sven hatte die Fähre zwei Jahre davor erlebt und erzählte, man müsse sich um jeden Platz schlagen, an dem man schlafen kann. Stehend oder liegend. Die billigen Plätze wären mehr als überfüllt.
Dem war zum Glück oder leider nicht so. Zum Glück - weil man sich eine aus vielen Hundert zum Schlafen hat aussuchen können. Leider - weil die Kabinen alle ausgebucht waren. Als Deckspassagier hat man es im Sommer gut - es ist schön luftig draußen. Aber es war kein Sommer. Sonnig, warm, luftig, aber nachts nur noch luftig.
Wir fuhren erst einmal die Westküste von Griechenland ab, passierten viele Inseln, die ich nur dem Namen nach kannte, Paliki, Lefkas, Lefkimmi etc., um in Igoumenitsa anzulegen. Dort wurde das Schiff mit LKW voll geladen und machte sich zwischen Albanien und den letzten griechischen Inseln Richtung Ancona auf. Ja, das war neu. Die Fähre verkehrt nicht mehr nach Venedig, wo wir hin wollten. Eine schöne Route entlang der Adria. Es geht nur noch nach Ancona, dafür aber fix! Anstelle der veranschlagten etwa zwei Tage, fuhren wir nicht einmal einen. Wir legten um 14:30 ab und sichteten Ancona bereits um 10:30 am nächsten Morgen. So blieb uns die Schlaferei für eine Nacht erspart.
Das war auch gut so. Denn man konnte ohne Schlafsack nicht draußen schlafen. Von den gut 800 Sitzplätzen waren nachts gut fünf besetzt. Der Rest der Leute musste sich im Bauch des großen und schnellen Schiffs verkrümeln. Ich habe das große Los gezogen und war - nach ein paar Bier - umringt von lauter schönen Mädchen. Mit denen kann man aber nichts anfangen, wenn man schlafen möchte und die Mädels tanzen. Und zwar an der gleichen Stelle. Punkt Mitternacht legte der DJ los mit dem Krach.
Wenn man trotzdem schlafen will, entschwebt man in höhere Sphären zwischen Wahrheit und Traum - Pardon: Alptraum! - schöne Mädchen, Bier, Schlummern, Bier, Musik etc. etc. Um zwei Uhr, kurz bevor ich ein Maschinengewehr hatte auftreiben können, hörten sie auf. Als die Sonne aufging, waren die mehr gerädert als ich. Mein Geschnarche nach ein paar Bier lässt sich durchaus mit Discomusik vergleichen.
Laut GPS hatten wir etwa 1.000 km zurückgelegt, als wir in Ancona ankamen. Keine Spur von Vulkanasche, eher Sonnenschein auf allen Dächern. Die Fähre spuckte uns aus und wir standen da. Wie geht es weiter? Sagen wir mal so: Man mietet sich ein Auto und fährt die ca. 1300 km flott durch. Dumm nur, dass es keine Autos zu mieten gab. Der Bahnhof war gerammelt voll, und man sagte, alle Züge in den Norden wären nur noch erste Klasse zu buchen. Wenn überhaupt.
Wir schleppten unsere Habseligkeiten, darunter eine 5l-Flasche Wasser, die Sven durch halb Europa schob, auf den Bahnhof und kauften Bahnkarten für die erste Etappe: Kurs Mailand. Unterwegs telefonierte ich ständig mit meiner Frau, die versuchte, ein Auto in Mailand zu bekommen. Denkste! Bei Sixt gab es eins, allerdings für schlappe 1.800 Euronen am Tag. Eine andere Firma war gnädiger und wollte nur 920 €umels. Die hatten aber nur ein Fiat 500 zu bieten. Als Kaufpreis OK, aber als eine Tagesmiete?
Wo sind wir nicht überall durch gekommen? Rimini, Geburtsort von Federico Fellini und Hauptort des Teutonengrills; Imola, Heimat (frühere) von Schumi; Bologna, mit einer der ältesten Universitäten in Europa, verbunden mit Namen, unter denen Umberto Eco nicht der größte ist; Modena, Nachfahre der Etruskerstadt Muoina; Parma, wohin kein Schwein freiwillig fahren sollte u.v.am. Am Ende Milano mit dem schönsten Dom meiner Träume, auf jeden Fall mit der berühmtesten Passage Europas, Galleria Vittorio Emanuele II, und der Bar des Herrn, der Campari erfunden hat. Er hieß auch so - und auch wenn es nicht immer eine Großtat darstellt, wenn viele Flaschen den Namen von einem tragen, im Falle von Campari kann man schon von einer Großtat reden, denn er machte seine Mäuse mit Läusen. Läuse in Mäuse verwandeln? Herr Campari färbte sein Gebräu mit dem Blut von Läusen, von Cochenillenschildläusen, die auf Kakteen gedeihen.
Seit 2007 befindet sich das einzige 7-Sterne Hotel von Europa in der Galleria, Town House Galleria, woraus man ableiten kann, dass man dort besser nicht isst, der Preise wegen. Seit einigen Jahren kann man trotzdem billig essen, denn es gibt ein Mc Donalds dort. Die gibt es doch überall? Das schon, aber eine Frittenranch ohne die CI-Farben des Bulettenimperiums gibt es nur hier!
Wir zogen es vor, in die Altstadt zu gehen, um uns zu verköstigen. Und die Fahrt? Besser vergessen. Der Hauptbahnhof von Mailand glich einem Stadion bei der WM-Finale. Und die Fahrt mit dem Nachtzug durften wir gar erst nicht antreten. Sie müssen nach Verona fahren mit dem Bummelzug und dort mit dem Schaffner verhandeln, hat man mit gesagt. Gegen Mitternacht in Verona mit einem Schaffner verhandeln. Oh, Eyjafjallajökull, was hast du uns bloß angetan?
Moderne Odyssee - Vulkanisch gut!
Der Bummelzug ist ohne uns abgefahren. An dem Abend, als wir Essen waren, hatte der Vulkan ein Einsehen und gab den Himmel frei. Am nächsten Morgen flog uns die erste Maschine nach Berlin, ganz easy. 400 km Auto + 300 km Bus + 450 km Zug + 1000 km Schiff. Und der Flug! Von Ephesus nach Berlin war kein Katzensprung.