Endlich in Graceland
Vor Ort fand ich nichts Belustigendes, was ich erwartet hatte. Das war in Hearst Castle in Kalifornien anders gewesen. Dort hatte sich ein reicher Ami ein Anwesen gebaut, in dem er alle europäischen und orientalischen Stile zusammen geklaubt in Stein, Pardon Beton, gießen lassen. Man stelle sich eine griechische Statue vor, die aus Sichtbeton geformt ist. Das ist geschehen, weil Hearst das große Erdbeben in San Francisco erlebt hatte. Beton anstelle von Marmor - ist doch was? Ja, ja. Wenn die alten Griechen Beton gekannt hätten, hätte die Venus von Milo heute noch beide Arme.
In Graceland wird auch Griechenland verehrt, obwohl der King nie ein Lied aus diesem Land gesungen hat. Dafür hat mich das Innere des Hauses an Gelsenkirchener Barock erinnert. Aus dem Land, wo die Kultur stammt, hat er hingegen viele Lieder gesungen. Unter seinen Urahnen waren auch Deutsche.
Der Besuch ist super organisiert. Man kann sich nicht vorstellen, wie man die Erinnerung an einen, der nicht gerade für Sitte und Ordnung bekannt gewesen ist, im Stile eines Museums pflegt, ohne museal zu wirken. Eigentlich wollte ich mich über die Menschen amüsieren, die nach Graceland pilgern. Ging aber nicht.
Man hat viele Dinge so gelassen, als wenn er noch leben würde, auch wenn zwei Flugzeuge im Vorgarten nicht gerade echt wirken. Seine beiden Flugzeuge, Lisa Marie und Hound Dog II, eine Convair CV 880 und eine Lockheed Jetstar, stehen in der Nähe der Stelle, wo man sein Ticket für den Tempel erwirbt. Aber die Stallungen sehen so aus, als könnte er gleich um die Ecke biegen, und Pferde stehen auch auf dem Anwesen, nicht etwa aus Plastik. Sie grasen fleißig. Und sein Pink Cadillac wirkt, als wäre der Fahrer gerade um die Ecke gebogen. Was ich noch lieber als den Cadillac besäße, sind die Harleys in der Garage, oder soll man lieber Stall sagen?
Obwohl die ganze Sache richtig amerikanisch-kommerzialisiert ist, darf man überall Aufnahmen machen und diese verwenden, allerdings nur für private Zwecke. Man bekommt ein Gerät, das einem an jeder einzelnen Station die dazugehörige Information ins Ohr flüstert. Nur auf der Toilette fehlte die passende Musik, Forellenquintett z.B. Ist ja nicht von ihm!
Besichtigt werden kann das gesamte Haus außer dem oberen Stockwerk. Elvis hatte zwar ein offenes Haus geführt, aber die Gäste in diversen Räumen empfangen, nur nicht in seinem Wohnbereich. Überall sieht man Dinge, die man 1001 Mal in Filmen, Fotos oder Nachrichten gesehen hat. Elvis lebt, wie der Ursprung seines Namens sagt.
Mississipi und?
Wenn man in Memphis ankommt, wird man ungeachtet aller Vorsätze von einem der größten Flüsse der Erde vereinnahmt, dem Mississippi. Zu meiner Kindheit sollte dieser der längste Fluss der Erde sein, später erkannte man aber, dies sei geschummelt, weil der Missouri doch nicht zum Mississippi gehört. Wie dem auch sei, der Nil ist der längste Fluss der Erde, dieser hier der zweitlängste. Immerhin! Den Fluss habe ich allerdings mal als den breitesten aller Verwandten gesehen, selbst im Vergleich zum Amazonas, aber glücklicherweise vom Flugzeug aus. Wer wissen möchte, was das bedeutet, möge sich dorthin begeben und, angefangen in New Orleans, nach Norden paddeln. Die hübscheste Story über das Verhalten des Flusses kann man in Lucky Luke lesen. Der - zugegeben übertreibende - Kapitän Ned erzählt dort, dass der Fluss so schnell steigt und fällt, dass die Catfish, also die Welse, in Atemnot gerieten, weil zu lange an der frischen Luft geblieben. Was die Krokodile dazu sagen, hat Ned nicht erzählt. Denen ist die Sache egal, und in Memphis gibt es keine mehr, weil die warmen Sand zum Brüten benötigen. Und den Mississipi Dampfern haben die Bahnbrücken die Herrschaft beendet.
Welche Beziehung den Fluss mit der Musik verbindet, hat wohl keiner untersucht, den ich kenne. Oder die Sache ist mir verborgen geblieben. Dass Landschaften den Menschen prägen, ist seit langem bekannt. So soll es z.B. keine großen Geister geben, die aus der Schweiz kommen, weil die hohen Berge auf die Seelen drücken. Nun, ja! Ob das Flachland in Nordeuropa die Entstehung von Plattitüden fördert, haben Soziologen nicht begründet. Recht haben sie, wenn sie diese interessante Aufgabe scheuen, wenn man sich vergegenwärtigt, was für ein Unsinn aus den mit hohen Bergen versehenen Gebieten von Deutschland rüber schwappt. Neulich hat z.B. deren Ministerpräsident öffentlich behauptet, man könne nach zwei Maß Bier noch gut Auto fahren. Daher lasse ich die Schweizer in Ruhe.
Memphis, Tennessee. In dieser Stadt hat man auf einer kleinen Sandbank (Mud Island) eine echte Abbildung des Mississipi geschaffen, breit und tief, nur nicht in voller Länge. Musste ja kürzer werden, weil allein der Mississipi ohne Missouri 3778 Kilometer lang ist. Das Modell ist etwa halb so lang wie die Insel, und hier kann man die gesamte Länge des Flusses verfolgen, mit allen Zuflüssen und bekannten Städten die an diesem Gewässer liegen. Der Fluss ist als Relief dargestellt, in dem man mit seinen Füßen waten kann. So lernt man Schritt für Schritt die Historie eines Landes, das mal nix wert gewesen ist: Lousiana, größer als die Hälfte der damaligen USA und das gesamte Gebiet um Missouri und Mississipi, wurde in dem Deal „Lousiana Purchase“ für sage und schreibe 15 Mio US-$, nach heutigen Maßstäben 250 Mio $, von einem der größten Feldherren der Weltgeschichte, Napoleon Bonaparte, verhökert. Das Gebiet umfasste weit mehr als en heutigen Staat Louisiana, und beinhaltete zudem die heutigen Staaten Arkansas, Iowa, Missouri, South Dakota, Nebraska, Kansas und Oklahoma sowie Teile von Minnesota, North Dakota, Texas, Montana, Wyoming, Colorado und New Mexico und Teile der kanadischen Provinzen Saskatchewan, Manitoba und Alberta. Herr Bonaparte brauchte wohl das Geld für seinen Russlandfeldzug mit dem bekannten Ergebnis. Die Hälfte der USA einsetzen, um die Tundra zu erobern! Ist doch ein tolles Geschäft, oder? Wir kennen ja noch einen Herren, der einen hohen Einsatz dafür gewagt hat. Geschenkt!
Für mich ist der Mississipi Ol´man River, und Memphis habe ich als Nest von vielen Musikern, Pardon auch Musikerinnen, bereits vorher gekannt. Es gibt aber einen Unterschied zwischen kennen, etwa aus der Literatur, und selbst erleben. Und dazu muss man leider nach Memphis. Es hilft nix! Bereits im Visitor Center überkamen mich Schauer, als ich das Plakat mit den „Blue Suede Shoes“ sah. Das Lied verbindet Größen wie Johnny Cash, Carl Perkins, und eben Elvis Presley. Zudem hat das Lied als erstes Country Charts und Rhythm & Blues erreicht. Alles Musikgeschichte, aber halb so groß wie die Story um den einstigen Herrn von Graceland, weswegen ich in Memphis gelandet war. „Not to praise him“ wie Marcus Antonius sagen würde, auch nicht „to bury Elvis“, weil der mittlerweile fast 30 Jahre dort verbracht hatte, in einem reichlich mit Plastikblumen geschmückten Grab.
Beim Anblick der Gold- und Platinsammlungen kriegte ich den Mund nicht zu. Obwohl ich die gesamte Zeit von seinem Aufstieg bis zu seinem Tode miterlebt und seine Musik immer bewundert habe, überwältigte mich die Größenordnung seines Schaffens. Dabei ist er so jung gestorben.
Bei jedem Raum, den ich betreten habe, sang ich leise „I got stung“. Mal erinnerte ich mich an meine erste Liebe, mal an den ersten Tanz im Rockschuppen. Dabei hatte ich Rock´n Roll gar nicht von ihm gelernt, sondern von Bill Haley und seinem Film Rock Around the Clock, dessen Musiktitel Nummer drei der ewigen Hitliste nach Candle in the Wind (dank Diana) und White Christmas (dank wer?) ist. Während Bill Haley sein Schmuddeljungen Image trotz eines Konzerts vor der Queen nie los werden konnte, half dem Elvis sein Militärdienst. Und dem Friseur, der dem den „crew-cut“ verpassen durfte. Er hat die Locken locker versteigert und ein Vermögen verdient.
Der arme Bill Haley beackerte hingegen das Feld, auf dem später Elvis´Erfolge wuchsen. Insbesondere in Deutschland stieß die Rock´n Roll Musik auf bereits bekannte „Strukturen“. War Jazz im Dritten Reich als Negermusik geächtet worden und nicht nur der Auftritt von schwarzen Musikern verboten, sondern ein endgültiges Verbot des „Niggerjazz“ für den ganzen deutschen Rundfunk“ erlassen, hat das Bistum Essen Haley´s Auftritt als einen Generalangriff auf Geschmack, Anstand und Selbstachtung bezeichnet. Noch ein Zacken schärfer fiel das Urteil der „fortschrittlichen“ deutschen Kräfte aus: Neues Deutschland bezichtigte den „Rock`n`Roll-Gangster Haley“ nach seinem Berlin-Konzert, eine „Orgie der amerikanischen Unkultur angerichtet zu haben. Nichts dergleichen widerfuhr Elvis, als er als GI nach Deutschland kam. So zu sehen in der Ausstellung "Sergeant Elvis Presley in Deutschland 1958-1960" fünfzig Jahre nach seinem Militärdienst.
In Graceland
Musik, Musik, Musik …
Yarramalong ist das Land der wilden Pferde
Bei aller Bewunderung für den King konnte ich mich mit der Ausstattung des Hauses nicht anfreunden. Das Bett erinnerte mich an Leute, an die ich mich nicht erinnern will, während die große Sammlung an Kissen mich ständig animierte, ihnen einen Bürgerknick zu verpassen. Diese Sitte meiner Mutter und deren Mutter war zu meiner Jugend unter meinen Altersgenossen nicht gerade „in“.
Ich weiß nicht, ob diese Staffage ein Ausdruck der 1950er Jahre war oder dem besonderen Geschmack des Kings entsprungen. Ähnlich schlimm sah es bei uns Anfang 1970 aus, als die groß gemusterten Tapeten und die Bildtapete „modern“ schien. Menschen kleideten sich in Schockfarben, malten ihre Autos grauenhaft an und fanden alles schick. Insofern war die Fahrt nach Graceland eine Reise in die Vergangenheit. Musste aber ausgerechnet der King in solcher Umgebung wohnen?
Es sollte aber noch schlimmer kommen. Nachdem man in einer Stunde durch Wohnzimmer, Elternschlafzimmer, Esszimmer, Küche, Fernsehzimmer, Pool-Zimmer, das Familienzimmer, den "Dschungel", sowie den Anbau im Haupthaus getourt ist und hinter dem Haus sein "racquetball" Gebäude und sein original Büro besichtigt hat, gelangt man in den "Meditation Garden" in dem Elvis und Mitglieder seiner Familie zur letzten Ruhe gebettet sind. Dort fand ich aber nichts, was an Meditation erinnert. Eine Menge Plastikblumen sah ich um sein Grab herum aufgestellt. Bunt und schrill. Passt gar nicht zu seiner Stimme, so etwa beim Singen von „As the snow flies/On a cold and gray Chicago mornin'/A poor little baby child is born/In the ghetto (In the ghetto)/And his mama cries …
Trotz alle dem… Die Reise nach Graceland sollte ein Jux sein. Eigentlich wollte ich den Mississipi sehen und Südstaaten wie Alabama, Missouri oder Tennessee, Musikstädte wie Nashville und Memphis besuchen. Das Anwesen und die Spuren von Elvis haben mich aber tief beeindruckt. Völlig unerwartet. Vor allem seine Großzügigkeit war imponierend.
Wenn man verstehen will, warum es auf der Welt etwa 35.000 Elvis Imitatoren gibt, muss man einfach dahin fahren. Wenn man davon enttäuscht werden sollte, kommt man trotzdem nicht enttäuscht nach Hause. Memphis hat auch eine Menge zu erzählen.
Goodness gracious me …