Eine Tauchbasis in der Wildnis

 

Wie man hierher kommen würde …

Hurghada war einst weit weit entfernt, so dass man eine Reise hierher für ein Atem beraubendes Abenteuer hielt. Das Dorf lag am Roten Meer, an dem Hans Hass als erster Mensch getaucht sein soll. Na, ja. Haben denn die Araber nie den Kopf unter Wasser gesteckt? Mit der Story verhält es sich wie mit der Entdeckung Amerikas: Einer verirrt sich auf dem Ozean auf dem Weg nach Indien und behauptet, ein Land entdeckt zu haben. Dass dort bereits Millionen Menschen lebten - geschenkt. Immerhin hat Hans Hass schöne Stories erfunden, so z.B., dass man brüllen muss, um von Haien nicht angegriffen zu werden. Dass diese Biester auch blutrünstig in die Haikäfige beißen, in denen sich arme Europäer schützen, gehört auch zu den Szenen, die er gedreht hat. Wie lange die Haie vorher mit Steaks und Blut angefüttert wurden, hat er nicht erzählt. Seine Käfige waren noch da, allerdings leicht verrottet, nur die Haie hatten die Flucht ergriffen, denn noch wildere Typen als sie machten die Gegend unsicher, Sporttaucher. Dass die Haie jetzt die Käfige von Hans Hass als Schutz gegen die Touris benutzen, ist eine nette Story. Leider stimmt sie nicht. Noch weniger stimmt die Szene, in der der brave Hans seine Lotte mit einem Gewehr gegen einen angreifenden Großfisch verteidigt. Diesem Monster war es aber nie während seiner Entwicklungsgeschichte eingefallen, etwas Größeres als Plankton zu fressen. Manta, Manta!

Hurghada hat mir mein Tauchladen als Geheimtipp genannt. Er müsse noch Rudi Kneip fragen, sagte der Besitzer, denn Rudi nähme nicht jeden. Ein paar Sternchen auf dem Brevet müssten es schon sein, Taucher vom Feinsten. Da hakte es bei mir, denn mein Brevet stammte von Club Mediterranee, insbesondere in deutschen Taucherkreisen nicht gerade der große Hit. Den ursprünglichen Tauchschein hatte der DUC verbaselt, er weigert sich aber bis heute mannhaft, einen neuen auszustellen, weil es keine Eintragungen über mich gäbe. Geholfen hat am Ende der Zufall; der Besitzer des Tauchladens hat sich als einer der Trainer heraus gestellt, bei dem ich den besagten Tauchschein gemacht hatte. Ab nach Hurghada?

Sachte, sachte! In dem Prospekt stand noch, man möge niemanden mitbringen, der nicht taucht. Der Ort sei langweilig, nix sei dort los, und das Taucherhaus entspräche den Kasernen der Soldaten des Landes Ägypten. Tatsächlich schien das Taucherhaus wirklich der Beschreibung zu passen. Die andere Wahl, die ich glücklicherweise abgelehnt hatte, war Sheraton gewesen. Man stelle sich vor, ein Ort für Touris mit zwei Unterbringungen, Baracke und Sheraton. Reichlich merkwürdig!

Bereits die Anreise hat sich als eine Art Expedition heraus gestellt. Man fliegt nach Kairo über München, kommt gegen Mitternacht an und muss sich noch durch den Asphaltdschungel zu einem Hotel durchschlagen, der diesen Namen verdient hat, aber vor langer Zeit. Zwischen ein Uhr und etwa vier Uhr darf man schlafen, dann geht es wieder zum Flughafen. Meinen Wunsch, geweckt zu werden, quittierte der Typ am Tresen, Pardon an der Reception, mit einem Grinsen. Und er notierte sich nix. Was dies zu bedeuten hatte, erfuhr ich am nächsten Morgen schmerzhaft, d.h. bevor er graute. Gegen vier Uhr hörte ich etwas, was ich als die Trompeten von Jericho empfunden hätte, wäre da nicht eine menschliche, nein übermenschliche, Stimme an dem Krach beteiligt. Nur wenige Meter von meinem Fenster entfernt stand ein langes Minarett, dessen Lautsprecher mein Bett ins Visier genommen hatten. Und der Muezzin wusste offenbar nicht, dass ein Verstärker regelbar ist. Oder er hatte im Dunkeln die Fernbedienung nicht gefunden. Mir fiel später ein, dass der Prophet des Islam die menschliche Stimme dem Ton der Glocke vorgezogen hatte, weil diese zu den schönsten Gaben Gottes gehöre. Von einem Gerät namens Verstärker ahnte Mohammed offenbar nichts. Auch Propheten können nicht alles wissen.

Von Kairo ist es ein Klacks, nach Hurghada zu fliegen - ja, wenn die Militärs es denn zuließen. Der Krieg von 1973 mit Israel war noch in frischer Erinnerung, und in Hurghada schwamm ein rostiger Pott rum, dessen Kanonen darauf hindeuteten, dass es sich um die Seestreitmacht der Vereinigten Arabischen Republik handelte, al jumhuriya al-'arabia al-muttahida nannte sich das Kunstgebilde aus Ägypten und Syrien. Es war zwar schon längst aufgelöst worden, aber eben noch nicht vergessen.

Der Militärflughafen befand sich auf einem Hügel, von dem aus man unten in das Dorf blicken konnte. Mir war bis dato kein trostloserer Ort bekannt gewesen, weil hier so gut wie nichts wuchs. Die wenigen Palmen, die damals standen, mussten begossen werden, weil das Land nicht über Grundwasser verfügt. Und das übliche Wasser war äußerst knapp. Hurghada wartete sehnsüchtig auf den Anschluss an den Nil, der im Bau war.

Rudi holte mich und ein paar andere Leute aus dem Bomber mit einem Jeep ab und brachte uns zum Taucherhaus. Dieses hat sich als besser als sein Ruf heraus gestellt, was wohl einem geschickten Schachzug zu verdanken war. Gemessen an der Beschreibung fühlte sich der Bau gut an. Ich bin bis heute froh, nicht das Sheraton genommen zu haben. Erstens wäre ich von meinen Mittauchern geschnitten worden, und zweitens dort keinen Fuß auf die Erde gekriegt, weil die Anlage den reichen Saudis von der anderen Seite des Meeres als so eine Art Absteige und Sauflokal diente.

Mein Zimmer war eine Zelle mit Estrichboden, in dem sich eine Pritsche aus rohem Holz stand, sonst nichts. Dagegen hatte ich keine Einwände, weil ich Schlimmeres erwartet hatte, hatte ich doch sozialistische „Hotels“ für 50 Pfennig zu Genüge gekannt. Nur die Dusche war reichlich gewöhnungsbedürftig. Man stand in einem Bottich, goss sich das Wasser über den Kopf und musste aufpassen, dass kein Tröpfchen Wasser verloren ging. Das mit Seife versetzte Badewasser wurde für die Toilette benutzt, das klare zum Begießen von ein paar armen Pflanzen. So stand es zwar nicht im Prospekt, man wurde aber wirklich gewarnt und durfte deswegen nicht meckern. Ich wollte es sowieso nicht. Gemosert hätte ich eher im Sheraton.