Der Rest des Rätsels erklärte sich in einer Nacht, als wir vor dem Kaffeehaus Backgammon spielten. Gegen 23 Uhr tauchten aus allen Ecken und Enden Ziegen und Schafe aus dem Dunkel und stellten sich auf dem kleinen Platz auf. Kurz danach deutete der Kellner an, er wolle jetzt schließen. Und er fing gleich mit dem Kehren an. Als er die Reste, Papier und Zigarettenkippen, vor die Tür gekehrt hatte, gab´s kein Halten mehr. Die Tiere fielen über den Abfall her und erledigten den Rest.

Fehlte nur noch den letzte Teil des Menüs. Den kann man auch heute nicht sehen, weil geheim. In Ägypten kostete Brot weniger als Getreide, weil es subventioniert wurde. So verfütterten Ägypter Brot an Esel und Ziegen. Eine ziemlich nachhaltige Wirtschaft.

Kein grüner Ort

Hurghada war, bevor die nassen Fluten des Nil die ganzen Touris her schwämmten, ein kleines, aber wohl organisiertes Dorf. Oder eine Kleinstadt, wie man´s nimmt. Beherrscht wurde der Ort durch die Marinekommandantur, die eben den rostigen Pott verwaltete. Deren Soldaten würden in vielen anderen Ländern sicher von der MP abgeführt und in Militärhaft genommen werden, weil deren Uniform das Fehlen der nötigen Disziplin widerspiegelte. Einfacher gesagt, die Jungs liefen schlampig angezogen rum. Dafür achtete der Kommandant, dass niemand seine Truppe fotografierte. Bei dem Aussehen wäre ein Foto, das ins Ausland gelänge, als sicherer Beweis dafür gehandelt worden, dass die Armee von Ägypten nie siegen könne. Denn zum Siegen benötigt man richtig angenähte Knöppe. So jedenfalls nach Aussagen meines Kommandanten, des ehemaligen.

Ein Rätsel war uns indes, wovon sich die vielen Ziegen und Schafe ernährten, die die Straßen und Wege beherrschten. Grünzeug kann es nicht gewesen sein, denn es gab keins. Die einzige Grünfläche, die wuchs und gedieh, befand sich vor dem Nachbarhaus, und maß so etwa 50 x 70, Zentimeter meine ich. Ein alter Mann kam alle zwei Stunden vor die Tür und begoss das Grün mit einer Kanne. Damit keine Tropfen von dem teuren Nass verloren gingen, hat er vorher das Drahtgitter angehoben, das das Gras vor den Ziegen schützte. Danach ging er erst einmal schlafen.

Eine Teillösung des Problems fand ich, als ich an der dörflichen Mülldeponie vorbei kam. Die Tiere standen auf dem Abfallberg und fraßen Papier, Zeitungen, Bücher, Tüten … Das schönste Bild bot sich mir, als die Tiere die Bücher vertilgten. So einfach reinbeißen in einen Roman von Konsalik oder Pilcher geht ja nicht! Sie blätterten geschickt mit der Zunge um und rissen die Blätter einzeln aus. Ich musste bei dem Gedanken grinsen, was denn in zwei Stunden aus den Romanen entstehen würde - na? Der Träger würde in etwa dem Inhalt entsprechen. Man stelle sich vor: Konsalik zu Ziegenkötteln, Pilcher zu Schafsmist …

Unweit der Mülldeponie stand ein Haus, das hübscher aussah als die anderen. Vor diesem spielten kleine Kinder, es war der Kindergarten. Anders als die Kinder sonst im Dorf, benutzten diese hier kein selbst gemachtes Spielzeug. Die ganze Einrichtung machte einen properen Eindruck und könnte auch irgendwo in Deutschland stehen, vom Mauerwerk und dessen Material abgesehen.

Hurghada liegt unweit des Lebensspenders von Ägypten, dem Nil. Wer die Trostlosigkeit eines Dorfes ohne Grün nicht aushält, kann sich eine Lektion in Wüstenlandschaft holen, indem er nach Luxor fährt. Übliche Touris gelangen dorthin über eine Nilkreuzfahrt, doofe Taucher wie ich hingegen fahren mit dem Taxi hin. (Bild Wikipedia, Meierhofer). Bevor sich vor den staunenden Augen das üppige Grün des Nil ausbreitet, müssen viele Stunden im Taxi ausgehalten werden. Warme Stunden! Am Anfang ist es nicht allzu schlimm, man fährt um etwa 4 Uhr los, bevor die Sonne ihre Schlafgemächer verlässt. Auch wenn die wüste Wüste nicht so kuschelig ausschaut wie die hängenden Gärten der Königin von Saba, heiß muss sie noch werden, die Wüste, meine ich. Man fährt entlang dem Gerödel, viel Sand und Stein, wenig Freude, und vibriert der größten Tempelanlage der Weltgeschichte entgegen. Bei etwas Bewusstsein für die europäische Kultur, ich meine ägyptische, weiß man, dass die Fahrt dorthin führt, wo sich die Zauberflöte abspielt: ihr Held Tamino erfährt eine Initiation nach ägyptischem Vorbild: zuerst Reinigung von Vorurteilen und Leidenschaften durch verschiedene Situationen der Prüfung, dann Aufklärung und Erleuchtung, und das alles in Luxor oder Karnak. Die Helden dieser Fahrt werden die Reinigung erst in der Nacht in Hurghada erfahren, damals mit Hilfe von einem Liter Wasser.

Wie sich die Wüste und der Bau der größten Tempelanlage der Welt vertragen, habe ich nie verstanden, denn man müsste eine Menge Wasser trinken, bis man alle Stelen aufgestellt und alle Ziegel aufgetürmt hat. Mitten in der Wüste? Asterix und Obelisk bieten so eine Erklärung für die Entstehung der Bauwerke im antiken Ägypten, bloß der Schlüssel zum Erfolg, der Zaubertrank, wurde im fernen Land der Gallier gebraut. Kann also nicht gewesen sein. Der erste Gallier, eigentlich Wahl-Gallier, der hierzulande auffiel, hörte auf den Namen Napoleon Bonaparte, und ließ gleich einen der wichtigsten Teile der Tempelanlage mitgehen, den Obelisken aus Rosengranit, der heute den Place de la Concorde in Paris ziert. Klauen sind die Ägypter ja gewohnt, so standen auch die Pferde von San Marco einst hier, in Alexandrien, bevor sie nach Rom entführt wurden. Als Kaiser Konstantin sein Wirken in die Stadt verlegte, die nach ihm benannt werden sollte, Konstantinopel, nahm er die einzige noch existierende Quadriga mit. Am dortigen Hippodrom stand die Nu, bis es den Kreuzfahrern gefiel, Byzanz anstelle von Jerusalem zu krallen. Venedig meint, die Pferde von San Marco wären Kriegsbeute. Die Quadriga wird vermutlich nie wieder geklaut werden, weil sie der Smog praktisch vernichtet hat. Die auf dem Brandenburger Tor ist nur „Plagiat“. Die eigentlichen Schöpfer aus Ägypten haben sich allerdings nie zu Wort gemeldet.

Erst richtig Wüste

Bis wir in Luxor einfuhren, vergingen zwar viele Stunden, allzu heiß war es im Taxi nicht geworden. Wir fuhren an vielen Militärposten vorbei, die heute noch Ägypten zieren. Das Land kennt keine FDGO (freiheitlich demokratische Grundordnung), sondern ein Regime von Bonsai Pharaos, die mit Militärgewalt herrschen.

Dann, plötzlich, sattes Grün taucht auf. Wir sind am Nil! Wer die totale Übertreibung in Asterix und Lucky Luke kennt, die beide dem gleichen Geist entsprungen sind, hie Wüste, da Leben, ist hier richtig. Das Leben beginnt nur einige Meter vom Tod entfernt. Es ist keineswegs gleichmäßig an beiden Ufern verteilt, sondern mal so mal so. Ein grünes Band Leben, dazu steinige Wüste soweit das Auge blickt.

Was diese bedeutet, erfuhren wir während der Besichtigung der Tempel in Luxor und Karnak und später im Tal der Könige. Es war Mitte August und die Sonne brannte ohne Erbarmen auf die doofen Touris herunter. Bereits um Mittag ließ mein Widerstand gegen die Naturgewalten nach, obwohl ich die Tempelanlagen bereits aus der Lektüre meiner Schulbücher bewundern gelernt hatte. Schwer angeschlagen absolvierten wir das volle Besichtigungsprogramm und machten uns um etwa 15 Uhr auf die Socken. Hurghada, Du bist wüst, aber hier ist wüster.

Am Thermometer im Auto stand 65 ºC. Allerdings sagt die Zahl gar nichts darüber aus, wie man sich fühlt. Es war nicht nur heiß. Was uns stärker malträtierte, war nicht die heiße Luft, sondern die Strahlung des Sandes. Sie wird nicht in Celcius-Graden gemessen. So verschafften wir uns „Abkühlung“, indem wir bei dieser Hitze die Fenster des Autos fest verschlossen hielten. Wie man das auch sonst nennen mag, mir fällt nur brägenklöterich ein.

Als wir zu Beginn der tiefen Nacht wieder in Hurghada landeten, kam mir der Ort vor wie Paradies. So isses, will Gott einem armen Menschen eine Freude bereiten, lässt er ihn zuerst sein Esel verlieren und dann wieder finden.

Die Reise nach Luxor bewies mir eindrucksvoll, wie vielfältig die Wüste sein kann. Und auch, warum die Einheimischen glauben, dass Touristen nicht alle Tassen im Schrank haben können. Trotzdem - selten im Leben wird man etwas Eindrucksvolleres erleben als den Wechsel vom Meer zu Wüste, von Wüste zu Grün und umgekehrt. Das Dorf Hurghada war bei uns wieder oben auf!