Tausend Orte statt sieben Hügel

 

Blick von oben

Völker dieser Welt schauen auf diese Stadt auch ohne Einladung, mit Hilfe der NASA. Die Stadt, die Geschichte geschrieben hat, nimmt einige Prozent des Bildes ein. Sie befindet sich auf der Nase, die sich von links in das Dunkle des Meeres schiebt. Deren Stadtmauer erkennt man weiter links, etwa einen Finger breit links. Noch 1906 befand sich die Stadt noch innerhalb dieser.

Die Ausmaße der kann man an der Breite des Bosporus erkennen. Er ist dort, wo die erste Brücke nach Asien verläuft etwa einen Kilometer breit. Dazu noch: Die Stadt geht rechts und links dieses Bildes weiter. Nach oben, wo es dunkler erscheint, schließen die mittlerweile zum Vorort aufgerückten ehemaligen Dörfer am Schwarzen Meer an.

Der übliche Tourist wird sich weitgehend innerhalb des Bildes rechts bewegen. Wenn er sich vornimmt, alles „Interessante“ zu sehen, hat er nach einer Woche immer noch nicht nötig, das Goldene Horn zu überqueren. 

Was kann er das so etwa sehen? Was sollte er sehen?

Ich würde die Tour mit der Hagia Sophia beginnen. Sie beherrschte die Zeiten uneingeschränkt und galt als das Achte Weltwunder in der Spätantike. Man kann dem nur zustimmen, denn sie steht auf einem der wackeligsten Gründe der Erde seit 532! Man kann sich die Silhouette, wie sie vor der Umwandlung in eine Moschee aufwies, leicht vorstellen, denn die Minarette sind relativ weit weg gebaut. Das Gebäude wurde nach der Gründung der Türkei in ein Museum verwandelt, um den Griechen zu zeigen, dass man die Jahre der Kriege vergessen möchte. Im Innern hängen zwar die islamischen Sprüche in bester kalligraphischer Ausführung. Dennoch kann man die alte Kirche noch erleben. Im Übrigen, die Mosaiken der Kirche haben die Zeiten gut überdauert, weil sie lange Zeit übertüncht waren.

Die Pracht der Zeit vor 1204, als die Lateiner unter dem Mantel eines Kreuzzuges die ganze Stadt geplündert haben, kann man naturgemäß nicht restaurieren. Auch die Quadriga, das Vorbild der Berliner Quadriga, wird nicht mehr an ihren Platz zurückkehren. Sie stand bis 1204 beim Hippodrom vor der Tribüne des Kaisers, seit dem Klau in Venedig auf dem San Marco Platz. Den Zusammenhang der Gebäude kann man gut aus der Skizze der Wikipedia erkennen.

Man kann sich auch die Ausmaße des Palastes gut vorstellen, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die Hagia Sophia (rechts, oben) bis zum Bau des Petersdom mit 77 m x 71 m die größte Kirche war. Das Areal umfasste 100.000 qm und reichte bis zum Meer herunter. Der Palast wurde 1204 durch den Grafen von Montferrat eingenommen und ausgeplündert. Als das Osmanische Reich gegründet wurde, bestand er nur noch aus Trümmern. Das Hippodrom haben die Byzantiner auch nicht mehr benutzt. Ein Teil des Geländes wurde später durch das Ensemble der Sultan Ahmet Moschee alias Blaue Moschee überbaut. Nächste Station der Tour.

Die Blaue Moschee steht bei den Touristen hoch im Kurs, weil sie die große Pracht der Sultane darstellen soll. Für die Türken eher eine Zerfallserscheinung, denn wer Macht hat, muss sie nicht unbedingt zur Schau stellen. So besteht der große Palast der Sultane, Topkapı Palast, eher aus vielen Pavillons denn aus einem Respekt erheischenden Monumentalbau. Für die Architekten gilt der Bau gegenüber dem Meisterwerk des großen Architekten Sinan, als weniger gelungen. Bereits die Süleymaniye Moschee zu Ehren des Süleyman des Prächtigen, die Sinan als sein Gesellenwerk bezeichnet hat, steht höher im Kurs. Das von ihm als sein Meisterwerk bezeichnete Gebäude, die Selimiye Moschee, wurde in Edirne gebaut. Ein Sakrileg wäre die Blaue Moschee auch geworden, weil der Sultan mehr Minaretts bauen wollte als alle anderen Moscheen. Sechs standen aber nur der Moschee des Propheten zu. So spendierte der Sultan dem Propheten ein siebtes Minarett.

Osmanische Moscheen sind keine reinen Gottesdiensthäuser, sondern immer ein Külliye, ein Baukomplex, das viele soziale Enrichtungen wie Schulen, Uni-Fakultäten, Armenküche, Wasserverteilstation etc. umfasst. Sie sollten Gemeinschaft bilden dienen und nicht nur als Gebetsraum. Wer nur beten will, kann zu Hause bleiben. Denn der islamische Gott belohnt eher die heimliche Frommheit und nicht die zur Schau getragene Frömmigkeit. Deswegen gilt beim Islam das Fasten als eine höhere Form der Gottesverehrung. Fasten kann man nicht sehen.

Jetzt kann man von der Blauen Moschee (rechts oben) über das Hippodrom, an der Hagia Sophia vorbei (etwa in der Mitte) zum Topkapı Palast marschieren. Er reichte früher bis ans Meer, wo die weißen Schiffe halten. Jetzt ist dort ein Park (Gülhane) und der Endbahnhof des Orient Express (Sirkeci). Man sieht deutlich, bzw. man sieht es nicht, dass sich die Gebäude des Palastes nicht nach Macht und Reichtum aussehen sollten. Vom Land aus sah man den Palast gar nicht. Er war und ist eine Festung. Wie übrigens Istanbul bis 1950 - allerdings ohne Mauer drumherum. Für die Stadt bestand Zuzugssperre. Und die Stadt hatte 720.000 Bewohner nach der Tabelle an der Einfahrt in die Stadtmauer, wohl 1,3 Mio echt. 2012 wird die Einwohnerzahl mit etwa 15 Mio angegeben.

In dem großen Palast kann man je nach Neigung Stunden oder gar Wochen verbringen. Wer dessen Atmosphäre einatmen möchte, sollte sich einen Tag Zeit nehmen. Vorsicht: Der Harem kostet extra, auch wenn keine halbnackten Odalisken dort flanieren. Die gab es wohl nur in der Fantasie europäischer Maler. Sehr zu empfehlen die Schatzkammer mit dem berühmten Dolch aus dem Film Topkapı.

Wer sich die Stadt umfassend ansehen möchte, möge sich vorher einen Führer engagieren. Ich schätze für etwa 100 € bekommt man einen sehr guten. Dann mit ihm vereinbaren, dass man an Orten wie links, das ist der Große Bazar, nicht zu seinem Vertragshändler geführt werden möchte. Der Große Basar erstreckt sich über 31.000 m² und beherbergt rund 4000 Geschäfte mit den verschiedensten Angeboten. Die Geschäfte sind nicht bunt verteilt über die Fläche, sondern immer Straßenweise nach Produktgattungen. So hat der Kunde eine hervorragende Vergleichsmöglichkeit. Ja, sofern ihm die Händler Ruhe geben. Man wird zwar nicht dauernd angequatscht wie in Ägypten, so ganz in Ruhe stöbern erfordert Nerven.

Wer sich alles in Ruhe ansehen möchte, sollte lieber gegen Ende November hin. Da sind die Touris daheim mit Weihnachtsbaumfällen und derlei heidnischen Bräuchen beschäftigt, und die Händler „jagen Fliegen“. Der Spruch bedeutet so viel wie, dass so wenig los ist, dass man die Fliegen mit der Hand fangen könnte. Die Redewendung muss die Stadtverwaltung von Istanbul auf eine geniale Idee gebracht haben: In den 1950er Jahren mussten die Händler in ganz Istanbul eine Stunde ihre Läden schließen und Fliegen jagen.

Im Großen Bazar kommt man nicht mehr dazu. Aber die Preise richten sich danach, ob so wenig los ist, dass selbst die Fliegen sich ungestört fühlen oder der Bär tanzt, wenn z.B. ein Kreuzfahrer im Hafen liegt.

Der Große Bazar ist ein wahrer Tempel der Goldschmiede- und Teppichkunst. Allerdings ist günstig einkaufen auch eine Kunst, die man beherrschen sollte. Man kann feinste Ikonen aus Russland, aber auch Ramsch aus Thailand erwerben. Wer sich einbildet, in den Orient zu fahren und sich mit Weisheiten aus Karl May u.ä. wappnet, könnte von einem Russen, Ukrainer oder gar Polen über den Tisch gezogen werden. Auf Türkisch heißt das „Fell abziehen“  und tut ähnlich weh, zumindest im Portemonnaie. Ob Türkisch noch die Hauptsprache im Bazar ist? Kann sein. Trotzdem sollte man nicht vergessen, dass so etwas wie Multi-Kulti wie in Kreuzberg hier recht blass aussieht.

Nicht vergessen: Unten am Wasser steht der Ägyptische Bazar, und hinter ihm werden allerlei Pflanzen und Tiere verkauft, auch welche, von denen man nie gehört hat

Wenn man die Tour so angefangen hat, und nicht die Augen verschließt, wird man genügend Bekanntschaften gemacht haben, dass man keinen weiteren Rat mehr benötigt als das: Sie haben in dieser Umgebung das Gestern gesehen. Was Sie gesehen haben, ist zwar wahr, aber auf der anderen Seite des Goldenen Horn wartet eine andere Welt, in der die Bürotürme in den Himmel wachsen. Von dort aus auf der anderen Seite des Bosporus ist nicht nur eine andere Welt. Trauen Sie sich in die vielen Sammeltaxis, Dolmuş, zu Lande, und Wasserbusse zu Wasser. Die bringen einen bis zu den Prinzeninseln - eine Welt zwischen Gestern und Morgen. Was man z.B. vom Bosporus aus sehen kann, steht auf der nächsten Seite. Wer sich hingegen auf den Landverkehr verlässt, braucht mehr als nur den hauptamtlichen Gott als Helfer.