Der Weg zum Nordkapp von Lakselv aus ist denkbar einfach: stur Richtung Norden fahren. Von Alta aus muss man hingegen einige Berge überqueren, um beim Lakselv Fjord zu landen. Einmal links abbiegen und nordwärts … Man fährt mit dem Fjord rechts und den Felsen links geschlagene 100 km, bis der Tunnel erreicht ist. Der Nordkapp ist nämlich die Spitze einer Insel, zu der man früher mit einer Fähre fahren musste. Heute kommt man viel leichter hin - oder auch nicht, wenn das nötige Kleingeld fehlt. Der Tunnel ist nämlich höllisch teuer.

Zwischen den Felsen gibt es natürlich auch bewaldete Stellen, wobei man bei Wald nicht etwa an Urwaldriesen denken sollte, sondern eher an Bonsai. Tatsächlich entsteht Bonsai auf die gleiche Art und Weise wie hier der Wald, hauptsächlich durch den Mangel an Energiezufuhr durch die Sonne und durch den langen kalten Winter.

Von Lakselv aus nordwärts werden die Bäume zusehends kleiner, um ihren Platz irgend wann mal ganz den niederen Pflanzen zu übergeben. Hier dehnen sich weite moorartige Flächen mit einem üppigen Bewuchs an Beeren manchmal Kilometer weit aus. Die begehrtesten darunter sind die Moltobeeren, die im Herbst richtig orange-rot leuchten. Die viel häufigeren Blaubeeren lenken das Auge naturgemäß weniger ab. An manchen Stellen tritt der Schuh einige Zentimeter tief in die Matte der Pflanzen ein, während der unvorsichtige Mensch auch mal bis zur Hüfte sinken kann. Weniger angenehm. Allerdings braucht sich der stinknormale Touri keine Gedanken zu machen, weil er an diese Stellen nicht ohne Guide kommt. Moltobeeren pflücken ist nur den Privilegierten vorbehalten. Die Norweger schonen ihre Natur, verschonen den Geldbeutel der Gäste aber nicht im gleichen Maße.

Das Leben in Norwegen gestaltet sich eh verdammt teuer, hier in der Finnmark eher mehr. Wenn man sich aber gerne von Krabben ernährt, erlebt man paradiesische Tage, weil die ungewöhnlich preiswert sind. Für den Preis von Tischwein hingegen kann man bei uns ganze Tische kaufen. Vorbei die Zeiten, als man in Norwegen noch Weinberge bewundern konnte. Diese sind nicht etwa verboten worden, sondern dem Klimawandel zum Opfer gefallen. Nach einer kurzen Blüte im Mittelalter, als das Klima es den Wikingern erlaubte, im Cabriolet nach Amerika zu rudern, verschwanden die Weinberge auf dem Müllhaufen der Geschichte. In Lakselv steht der nördlichste Weinkeller, für den Wein müssen aber andere Beeren herhalten.

Die Teppiche von Beeren, Moos und Co. bilden für die Zugtiere vom Weihnachtsmann die Lebensgrundlage. Sie leben hier in großen Herden, allerdings nicht wild, sie gehören den Samen, vulgo Lappen genannt. Rentiere sind deren ein und alles … Wilde Tiere sind die allerdings nicht, eher gemächliche!

Auf die muss man als Fahrer besonders gut achten, weil sie nicht nur Vorfahrt haben, sondern das auch noch wissen. Sie scheuen sich nicht einmal davor, lange Straßentunnels zu durchqueren, und zwar in gemächlichem Wiederkäuertempo. Weder die Rentiere noch die ebenso häufigen Schafe machen sich viel Aufhebens von Autos. Sie leben vom Grün, sie haben überall grün.

Am Fjord entlang sieht man Holzgerüste, die zum Trocknen von Fisch dienen. Kaum zu Glauben, dass er Tausende Kilometer weiter als Bacalao oder Stoccafisso nicht nur die Küchen des Mittelmeerraums bereichert, sondern sogar in Südamerika, Karibik und in Westafrika gegessen wird. Die Vikinger sollen ihren Stockfisch (heute in Form von Lutefisk) selbst in Konstantinopel gegessen haben, als sie den dortigen byzantinischen Kaiser beschützt hatten. Ob es bloß ein Gerücht ist, dass sie ihre Waffen haben einmotten können, weil der Geruch von Lutefisk dem Feind des Kaisers jegliche Lust genommen hatte, die Grenzen seines Reiches zu überschreiten?

Bacalao wurde allerdings nicht in Norwegen erfunden, sondern vermutlich am Golf von Biscaya. Dass die Norweger den seit dem 9. Jahrhundert üblichen Export von Stockfisch auch auf Bacalao ausdehnen konnten, verdanken sie einem Niederländer, Jappe Ippes. Seine Wahlheimat Kristiansund lebte mehr als 200 Jahre als Hauptexporthafen für Bacalao. Kein geringerer als Columbus brachte den Klippfisch in die weite Welt. Die Hauptabnehmer der nordischen Ware, die Portugiesen, revanchieren sich … womit wohl? Mit Portwein!

So fern und doch so nah … Bis ich in diese Gegend kam, hätte ich Bacalao mit Sicherheit mit baccalauréat oder ähnlich verwechselt. Auf einmal sehe ich, dass ich einst ganz nahe am Wohnort der Menschen gelebt habe, die den Stockfisch nach Konstantinopel gebracht haben - so etwa 15 km entfernt befand sich unser Haus vom Palast des Basilius, den die Wikinger beschützt haben. Deren Name war allerdings Waräger und leitete sich von ihrer Lebensweise ab, in geschworenen Männerbünden. „Varingr“ stammt von „var“ wie Schwur. Die Jungs haben es immerhin mit ihren Schiffen bis in die Gegend geschafft, in der ein gewisser Schorsch Dabbelyouh Busch heute im Wüstensand versinkt: nach Bagdad! Nicht immer in ihren Schiffen, sondern mit, denn die Dinger mussten häufig getragen werden. So etwas wie der Diolkos (Schiffskarrenweg) war zwar bereits erfunden worden, wurde aber nur über den Isthmus von Korint gebaut. Und essen durfte ich Bacalao auf Santorini von einem Griechen gekocht.

     Wilde Kraft des Wassers

Das beherrschende Element in diesem Lande ist das Wasser, flüssig und fest. Es füllt den Fjord (meistens jedenfalls), bedeckt die Berge als Eis und Schnee und trägt dieselben ab als Fluss. Meistens hängt es leider in dem dritten Aggregatzustand über allen, als Wolke. Von wo es auch immer die Felsen dekoriert, verleiht es dem Land eine wilde Schönheit. Noch wilder fallen die Formen aus, die es in diese sprengt.

Zwischen diesen Formen fließt schier unvorstellbar viel Wasser Richtung Meer, von kalt zu kälter. Beim Angeln muss man sich ganz schön viele Unterhosen anziehen, auch wenn die Angelhose gut isoliert. In den Gewässern schwimmen Lachse und deren Vettern, die viele Angler anziehen, trotz kalter Hose.

Die Mischung des Wassers im Fjord spiegelt sich im Himmel wieder - nirgendwo auf der Welt gibt es das Blau des Fjords. Es muss den Farben der Häuser Pate gestanden haben wie das Blau der Ägäis den Farben der griechischen Siedlungen. Zwar zeichnet sich jedes Meer durch eine bestimmte Nuance dieser Farbe aus, schöner sieht aber kaum ein anderes Blau aus.

Wem die Fahrt zum Nordkapp zu lang wird, weil sie fast zwei Stunden dauert, kann auf dem Wege zum Nordkapp zwar nicht die Beine ins Wasser baumeln - brrrr - aber vielleicht einen Pilker reinhängen. Wenn man Glück hat, ist er im Nu umschwärmt wie ein Meisenknödel im Winter. Damit es spannender wird, gucken ab und an auch Belugas vorbei.

Ein noch großartigerer Spaß erwartet einen, der sich traut, hier zu tauchen. Unten finden sich seit einiger Zeit die riesigen Kamtschatka Krabben, die man auch fangen darf. Sie sollen eine Art Pest bedeuten. Was ich in einem Film sah, übertrifft alles, was man von kälteren Gewässern kennt oder denkt. Ein deutscher Wissenschaftler hat sogar die Tiefseeriffe gefilmt in ihrer kalten Pracht. Jetzt geht es darum, die Riffe vor Vernichtung zu schützen, weil die Fischer alle zertrampeln. Nachhaltigkeit ist in der Fischerei noch ein Fremdwort, muss aber gelernt werden, weil sogar Kabeljau und Hering dem Exitus sehr nahe stehen.

Neulich habe ich gelernt, wieso der Stockfisch aus Norwegen bereits im Mittelalter wirtschaftlich so erfolgreich gewesen ist. Kunststück, zum Trocknen von Fisch braucht man Kühle, viel Luft und viel Salz. Salz war unheimlich teuer, um Kühle und Wind zu machen, musste ein Herr Linde abgewartet werden. Auf den Lofoten gab es alle umsonst. Die Kühle schuf der Herr höchstpersönlich, während Äolus nicht nur frische Luft anblies, sondern auch Salz vom Meer.

Ich habe ausgiebig Gebrauch gemacht von dem einzigen kostenlosen Vergnügen, das es in Norwegen gibt und die Angel öfter ins Wasser gehängt. Manchmal war es zum junge Hunde kriegen - kein Schwein beißt an. Aber zu anderen Zeiten kann man so viel Glück haben, dass man die halbe Nacht filetieren und tief frieren muss. Seelachs satt! Fast lebend in die Pfanne oder auf den Grill.

Noch sind wir nicht am Nordkapp - aber fast …

Wanderer, kommst Du nach Norden …