Der erste Ausritt

 

Wer passt zu wem?

Bevor es ins Gelände ging, musste zunächst bestimmt werden, wer zu wem gehört. Zum einen stammten die Reiter aus fast so vielen Ländern wie ihre Kopfzahl. Zum anderen aber herrscht in einer natürlichen Pferdegesellschaft eine feingliedrige Hierarchie vor, die nichts dem Zufall überlässt. So darf ein Wallach nicht vor einem Hengst reiten, und die Atmosphäre zwischen den Stuten lässt sich zutreffend als stutenbissig bezeichnen. Unsere Führer, P.J. und Barney Bestelink, kannten sich zwar bestens in der Gesellschaft ihrer hayburner (“Heubrenner“) aus. Sie kannten aber uns nicht. Es sollte sich aber bald heraus stellen, dass sie dafür ein Händchen haben. Nach einer halben Stunde waren Pferde und Reiter zugeteilt, und damit stand fest, wer die nächsten Tage vor und hinter einem geht.

Ganz vorne reitet naturgemäß der Führer, doch nicht in dieser Truppe in jedem Fall. Denn es musste ein Reiter mit einer gewaltigen Büchse vorn sein und einer mit Knallbomben hinten. Da Barney die Kanone nicht gerade liebte, musste ihre Gruppe zuweilen eine andere  Ordnung einhalten. P.J. hingegen fühlte sich mit seiner Büchse wohl. Manchmal, wenn es zu den freundlichen Hippos ging, ritt auch hinten einer mit einem Gewehr. Die sind nämlich besonders beachtet, weil sie ohne Vorwarnung aus dem Hinterhalt angreifen. Die schlimmste Warnung lautete „Sir! Hippo not in water!“

Als ich die imposanten Waffen sah, verstand ich, dass man mir zu Hause Märchen erzählt hatte, von wegen Löwen greifen keine Reiter an! So bestand die erste Lektion der Kurses in Abwehrstrategien gegen Löwen. Die zweite in Abschütteln von Elefanten. Toller Anfang! Bei den Elefanten muss man so schnell es geht abdüsen, während man sich von den Kätzchen im Schritt entfernt, auch wenn man eine gewisse Feuchte im Schritt spürt, und eine Trockenheit in der Kehle im Gegenzug. Dass das Herz in der Hose hängt, ist eine arge Untertreibung, eher das Herz in den Socken fühlen, wäre angebracht. Bei den Elefanten muss man die Klappe halten, weil sie gut hören, aber schlecht sehen, bei den Löwen muss man rumbrüllen, auch wenn man lieber verschwinden würde. Die Brüllerei bringt die Löwen durcheinander, weil normalerweise dieser Part ihnen zusteht. Überzeugen durch Überraschen!

Die Reise ist zwar nicht gefährlich, aber nicht unbedingt etwas für Leute mit schwachen Nerven. Als zwei von uns dennoch Nerven zeigten, wie weiter unten erzählt wird, und von allen Verständnis ernteten, mussten sie trotzdem sofort die Rückreise antreten. Nicht einmal das Camp durften sie wieder betreten.

Nun war es so weit! Wir schwangen uns in den Sattel und trotteten hinter P.J. her, der nach Minuten einen ungewöhnlichen Weg nahm, quer durch den Fluss. Dazu musste er das Gewehr schultern und wir die Beine fast in die gleiche Höhe bringen, wenn wir nicht gleich ein Bad nehmen wollten.

Auf der anderen Seite des Flusses ging es im Galopp weiter, damit wir das Wasser abschütteln konnten. Meine Lage war besonders prekär, weil ich weder andere Schuhe noch Anziehsachen im Camp hatte. Dank Lufthansa. Ich schließe die Firma seitdem in mein täglich Gebet ein. Besonders tief hing mir das Herz, als wir nach einer halben Stunde neben einem prächtigen Elefantenbullen trabten. Meine nassen Turnschuhe kamen mir verdächtig rutschig vor.

Das Gefühl, etwa 30 Meter neben einem Elefanten in der freien Wildbahn zu reiten, kommt mir heute noch unbezahlbar vor. Es wurde noch getoppt durch die Angst, als wir etwa 20 Meter vor zwei grasenden Bullen standen. P.J. hatte uns eingeschärft, kein einziges Wort zu wechseln und den Pferden etwas zu erlauben, was Reitpferde nur nach Feierabend dürfen, grasen. Da Elefanten schlecht sehen aber umso besser hören, denken die dicken Jungs an Zebras. Wir mussten uns wie ein Fächer vor den Elefanten aufstellen, damit jeder bei einem Angriff in eine andere Richtung abdüst. Ganz sachte schlichen wir uns vor, bis wir wohl die Intimgrenze überschritten haben. Der größere Bulle ließ seinen Partner weiter grasen und kam mit erhobenem Rüssel auf uns zu.

P.J. zeigte mit einer lässigen Handbewegung, dass man sich noch keine Sorgen machen muss. Er hatte uns beigebracht, dass Elefanten faire Feinde sind. Am Anfang zeigen sie einem durch bloße Annäherung, wer der größere ist. Dann zieht der dickere der beiden Elefanten zurück und kommt mit aufgeklappten Ohren wieder. Wer bis dahin das Feld noch nicht geräumt hat, erlebt, wie das Tier mit erhobenem Rüssel und aufgeklappten Ohren einen Scheinangriff startet und trompetet. Danach legt er die Ohren an und galoppiert los. Fast so schnell wie Reitpferde! Wenn mir bei diesem Schauspiel nicht die Kinnladen runtergefallen wären, hätte ich bestimmt bereits beim ersten Scheinangriff die Sahara überquert.

So kam ich zu meinem ersten Ritt ums Leben. Als ich anhielt, winkte P.J. aus der Ferne. Abteilung bilden, und jetzt aber in geordnetem Trab marschieren.

Keine zwei Stunden nach unserer Ankunft im Camp hatten wir fast alle üblichen Verdächtigen aus den Afrika-Filmen getroffen. Es fehlten nur noch Löwen, Leoparden und Nashörner. Die letzteren wird man in Botswana vergeblich suchen. Ich glaube, Ende 2000 war nur ein Nashorn übrig geblieben. Man hat durch Programme zur Wiedereinsiedlung zwar kleine Populationen geschaffen. Das traurige Schicksal des Nashorns, das in einem der größten Wildreservate Afrikas fehlt, sollte man dennoch nicht vergessen.

Ohne jemals das Meer zu erreichen, versickert der Okavango ganz einfach im Sand, ein Wassergebiet mitten in der Wüste, einer der interessantesten Lebensräume für die afrikanische Tierwelt, aber eben ohne Nashörner. Riesige Elefanten- und Büffelherden, Zebras, Springböcke, Klaffschnabelstörche und Seeadler, und nicht zu vergessen mein Liebling, der „Go-Away“ Vogel, bevölkern eine der ebensten Ebenen der Welt. Das ganze Land verdankt seine Entstehung dem Sand der Kalahari und dem Schwemmsand, den der Okavango gleichmäßig ausbreitet.

Wenn man die Ebenen entlang reitet, schließen sich die Baumreihen am Horizont zusammen und gehen wieder wie die Vorhänge im Theater auf, um noch ein Meer aus Gras freizugeben. Es sind viele abgeteilte Bühnen, die teils mit Herden voll gestopft sind, als wären sie Viehkoppeln. Die nächste Bühne kann aber völlig leer erscheinen - ein untrügliches Zeichen für die Anwesenheit einer Löwenfamilie. Hier kann man erleben, warum man den Löwen als den König der Tiere bezeichnet. Da wo sie leben, sucht das Wild das Weite.

Leider haben wir auch keine Leoparden gesehen, weil einige Tage davor ein Leopard einen Jagdbegleiter in einem anderen Gebiet fast zerrissen hatte. Nu hatten wir keine Lust, eines der nächsten Opfer zu stellen. Es ist ohnehin unsinnig, sich an den Quellen schicker Mäntel aus den dreißiger Jahren zu orientieren. Zum Beispiel lassen sich die witzigen Warzenschweine an Unterhaltungswert kaum überbieten. Und das Familienleben der Paviane mitten in der Prärie gibt auch genug Stoff für Träume her, auch wenn die Tiere nicht gerade traumhaft aussehen. Das bleibt den Impalas vorbehalten, die sich am anderen Ende der Schönheitsskala bewegen.

Der König der Tiere macht trotz seines mächtigen Aussehens als Jäger nicht viel her. Seine kill-rate, das ist das Verhältnis von erfolgreichen Attacken zu allen gerittenen, liegt bei miesen 18%. Vier von fünf Tieren, die der Löwe anfällt, überleben diesen Angriff. Hingegen weist der Leopard eine stolze Zahl von ca. 80% auf. Der wahre König der Tiere ist ein Verwandter von Shir Khan mit einer kill rate von 95%! Dass Mogli und Balu ihn überleben, ist eine nette Filmgeschichte. In der Natur bleibt Shir Khan der große Meister.

Zur Ehrenrettung muss man aber sagen, dass der Löwe es nicht nötig hat, alle Beute auch zu erlegen. Es gibt genug hier. Allerdings haben wir mit eigenen Augen verfolgen können, wie ein Löwenrudel ein Nilpferd durch das Wasser trieb und bis zur Erschöpfung hin- und herjagte. Das ganze hat am Nachmittag angefangen und dauerte bis etwa acht Uhr abends an. Danach waren nur noch Mampfgeräusche zu hören.

Bei uns saßen die Könige wie artige Kätzchen vor dem Elektrozaun und leckten sich die Lippen beim Anblick der leckeren Pferde. Komisch, dass sie nicht versuchten, über den Zaun zu hüpfen. Vielleicht lag es an den „bearbangern“, kleinen lauten Bömbchen!

Endlich im Sattel, leider nass!