Strände ohne Ende

 

Wie man nach Rio kommt, wäre schnell erzählt - in den Flieger rein und nach vielen, vielen Stunden wieder raus. Wie man aber in Rio ankommt? So einfach ist es nicht. Als Fremder ist man hier noch fremder als in anderen Städten. Wenn man auch noch Angst hat … Die schlimmste Erfahrung, die ich kenne, hatte ein Bekannter vor dem vornehmen Hotel Copacabana gemacht. Nur 10 m vor dem Hotel hatte ihm jemand die Uhr mit dem Messer vom Arm geschnitten, und Stück Arm mit. Mit dieser Story im Hintergrund hatte ich mir vorgenommen, schnell zum Hotel zu fahren und mich dort zu verbarrikadieren, bis ich meinen Vortrag hielt, für den ich eingeladen war. Da ich von anderen Städten weiß, dass auch Taxifahrer nicht koscher sein können, nahm ich den Schutz der Masse in Anspruch und bestieg den Bus nach Leblon.

Dummerweise muss ich den falschen Bus bestiegen haben. Der fuhr viele viele Strände entlang die wahrscheinlich längste Route zu meinem Hotel. Die Menschen, an denen wir vorbei fuhren, sahen etwa so grimmig und kriminell aus wie auf dem Bild. Und viele von ihnen sahen noch ärmer aus - die Strände von Rio sind voller junger Mädchen, die sich nicht viel Stoff leisten können. Deswegen hat hier Tanga Hochkonjunktur. Das ist kein Tanz, sondern eher ein Gedicht.

Als ich in Leblon ankam, wozu wir praktisch die ganze Länge der Copacabana entlang fahren mussten, war es aus mit der Angst. Ich pfefferte das Gepäck ins Zimmer und ging einkaufen, um meine Tarnung als Nicht-Touri zu vervollständigen. Dazu gehört, dass man keine glitzernden Objekte trägt (hatte ich beim Militär gelernt), nur Klamotten aus Billigläden anzieht und keine Imitate von teuren Uhren bei sich hat (das war die Lehre von dem Überfall vor dem Hotel, das der Überfallene mit einer echten Rolex am Arm verlassen hatte). Ein etwas zerlumpter Rucksack schadet auch nicht. Mir fehlten nur ein T-Shirt und billige Jeans samt passender Turnschuhe. Sie waren schnell gefunden.

Ich steckte noch den Gegenwert von 20 Dollar in die Tasche (gelernt in New York), die man bei einem Überfall bei sich finden lässt. Ansonsten kann es sein, dass man aus Wut massakriert wird.

Wie dem auch sei. Mit meinem Aufzug war ich in Rio angekommen. Eine ganze Woche lang bin ich kreuz und quer durch die Stadt gelaufen, auch mal ein Auge in ach so gefährliche Favelas riskiert. Überfallen wollte mich niemand. Andere Opfer habe ich auch nicht kennen gelernt.

    Beachlife …

Dass ich so schnell in Rio ankam, verdanke ich nicht allein dem Inhalt der Tangas, der zu etwa 98% mit dem bloßen Auge erkennbar ist, sondern Menschen, die einem komischen Hobby frönen, fliegen mitten in der Stadt. In Rio sind Jungle und Stadt so miteinander verwoben, dass man von einem Hügel mit Jungle drum herum abheben und entlang einem Strand mit allerlei Schönheiten, natürlichen und weniger natürlichen, fliegen und sanft im Wasser landen kann.

Einige andere Dinge, die man bestimmt nicht so schön findet, ließen mich auch hier heimisch fühlen, z.B. nächtliche Rennen von Bussen, deren private Besitzer den Fahrern aufgeben, um jeden Fahrgast zu kämpfen. Wenn Stadt zu Ende ist bis wieder Stadt da ist, düsen die Busse wie zu Zeiten, als die Geschwindigkeitsbegrenzung noch nicht erfunden war. So etwas kannte ich als Kind.

Um meine Überraschung zu verstehen, muss man sich einige Bilder aus den Stränden von Rio angucken. Da Bilder aber gestellt sein können, eignen sich Videos besser. Ich habe weder eigene Bilder noch Videos, weil ich es mir erspart habe, alles Glitzernde oder Funkelnde mitzutragen. Das hat mich die ganze Zeit immun gegen Menschen gemacht, die auch etwas Glitzerndes besitzen wollen. Um die einheimischen Leute zu verstehen, muss man sich nur die Einkommenstatistiken ansehen. Von dem Geld, das man als Touri ein gutes Abendessen in Leblon leistet, muss einer in den Favelas einen Monat leben. Die Rolex, von der oben die Rede war, würde die ganze Familie länger als ein Jahr ernähren. Darf man den Leuten böse sein, wenn sie mir böse sind?

Ich weiß leider nicht, ob die Leute mich als gütigen Freund erkennen würden, wenn ich in die Favela wollte, wo Benedito die Sonne aufgehen ließ. Schließlich konnten die Brasilianer mit dem Film gar nichts anfangen. Immerhin hatte der Film einen Oscar bekommen, obwohl schwarze Darsteller in den USA noch wenige Jahre vor dem Film nicht vor die Kamera durften, wovon z.B. die Gummiohren der Elefanten von Tarzan zeugen. Er musste seinen Schrei in Indien absetzen, weil Inder zwar schwarz aussehen können, aber keine Schwarzen sind. Viele Brasilianer, die Favelas von damals kannten, hielten den Film für „falsch“. Nun kommt Jahrzehnte später einer mit dem Vorurteil von damals entlang. Was macht man mit dem?

Egal, die Vorstellung, die meine Meinung prägte, war durch das Märchenhafte im Film bestimmt, und genau das hatten die Kritiker für falsch gehalten. Für mich war sie richtig. Und so half mir das Unechte, die echten Narben von Rio übersehen. So geht es am Strand turbulent und lustig zu. Man kann sich unbegrenzt amüsieren, viel Bier trinken, ohne betrunken zu werden, weil am Wasser ein Frischbier fast ohne Alkohol verkauft wird. Aber sobald man in die Häuserschluchten einbiegt, sieht man die bewaffneten Wächter im Vorgarten.

Um Rio und seine Strände zu verstehen, muss man sich die Lage von Rio ansehen: Brasilien ist das einzige Land der Erde, das den Äquator und einen Wendekreis einschließt. Der Äquator markiert die Gegend um den Amazonas, während Rio fast am Wendekreis liegt. Will heißen: Passatzone, häufig Wind, und recht ausgeprägte Jahreszeiten. 

Leider habe ich keine Surfszenen am Strand erlebt. Nach Filmen zu urteilen, kann man hier Wellen runter düsen, die fast an Pipeline auf Hawaii erinnern. Kann sein, bei mir betrug die Welle an beiden Orten nur wenige Zentimeter. Gemeint sind aber zweistellige Meterzahlen. Dafür habe ich etwas gesehen, was mich sofort eine adere Angst vergessen ließ: Vor meinen staunenden Augen landete ein Drachenflieger sanft am Strand. Er war von einem der Hügel von Parque Nacional de Tijuca gestartet und fast vor meinen Füßen gelandet.

So etwas kann nicht ohne Folgen bleiben. Ich fragte die Dame, die man für meine Begleitung abgestellt hatte, wie ich es schaffe, von diesem Hügel aus einen Tandemflug zu starten. Obwohl sie eher für akademische Wünsche zuständig war, schaffte sie es spielend, einen Fluglehrer zu engagieren. Dieser stieg mit mir hoch bis zur Rampe und zeigte die Kurve, die wir fliegen würden. Wir verabredeten uns für den nächsten Tag. Der Start würde in etwa so aussehen (Foto: Emmablackbird). Den Flug gibt es unten.




Dazu muss natürlich der Wind von See kommen, was er in Rio häufig tut. Ja, an meinem Tag des Abflugs wollte der Wind nicht. Vielmehr kam er von den Bergen, was so viel heißt wie, du kannst nicht starten. Wenn du es dennoch tust, geht es kopfüber nach unten.

Morgen ist auch noch ein Tag dachte ich. Übermorgen auch. So kam mein letzter Tag, den Vortrag halten, Runde in Rio drehen und ab zum Flughafen. Die Hoffnung hatte ich nicht begraben. So bestellte ich den Fluglehrer zum Vortragssaal, damit ich sofort nach meinem Auftritt zum Berg konnte. Vielleicht würde dies einen Anzug kosten, aber egal.

Oben wehte immer noch der, den man sonst gerne hat: Der Rückenwind. Rio von oben habe ich gesehen, aber nicht aus der Schwebe. Wenn ich es noch einmal schaffe, mache ich die Tour. So wie hier, aber in Full-HD!

 

hier ist erst ma´ Schluss, geht später weiter