Der erste Tag …

 

Der wirklich erste Tag …

Eigentlich muss es "Die erste Nacht" heißen, da die schlimmsten Geburtswehen unseres Aufenthaltes in Yarramalong genau in diese Nacht fallen. Wir hatten nämlich kein Zelt - anders als es sich Helen unter 80 kg Gepäck vorgestellt hatte. Wir hatten überhaupt nichts davon, was ein Camper braucht. Wir waren nämlich gar keine Camper!

Nu steht man dumm da - und die Nacht hat schon begonnen. Irgendwo im Süden, 18.000 km von zu Hause, viele Kilometer von der nächsten Stadt entfernt, steht man blöd da! Wo schlafen wir denn, Papa? Auf Heron Island, Ihr Blöden! Ich wollte doch nie im Leben hierher! Nun, ja! Irgendwo muss man schlafen. Helen meinte, der Campinganhänger sei schon seit fünf Jahren nicht mehr benutzt worden. Sie sagte, er sei daher sauber! Na, schön! Helen brachte uns Armee-Decken aus dem 2. Weltkrieg - vielleicht waren sie aber schon in Gallipoli eingesetzt worden, als mein Großpapa gegen die ANZACs gekämpft hatte. Wie es dem auch sei - wir legten uns in einen Campinganhänger, der als Getränkelager gedient hatte, zogen uns Armeedecken unbekannter Herkunft über, und wollten mitten im Australischen Bush einschlafen.

Das fanden die Bewohner dieses Objekts nicht so schön. Überall krabbelten Spinnen hervor. So eng wie in dieser Nacht, haben sich meine Töchter nie wieder an mich geschmiegt. Frauen und Spinnen? Ob das gut geht?

Als der erste Morgen anbrach, waren wir ziemlich alle. Fremdes Land, fremde Betten, die keine sind, und auch noch ganze Armeen von Spinnen! Auf den Gum Trees sangen - ich meine, krähten - die Kookaburras, die Vettern unserer Eisvögel aus Downunder! Was wir da sahen, war wirklich nicht das, was meine Töchter erleben wollten. Ich hatte ihnen alternativ zur Auswahl gestellt, in Disneyworld eine Woche mit allen Schikanen zu toben, wo sie sechs Monate davor einige tolle Tage erlebt hatten. Und nun das - nichts außer ein paar Bäumen und einem Bach. Ines und Biggi ließen sich nicht beirren, das war der Ort. Und was für einer, wenn ich bitten darf!

Das Gelände umfasste etwa acht Quadratkilometer. Unser Schrottcamper befand sich etwa zwei Kilometer vom Eingang und dem Haus der Besitzer entfernt in der Nähe eines Baches, der sich hier zu einem größeren Teich entwickelt hatte. Hinter dem Bach, Reynold Creek, ging es steil hoch - Mount Grevil bietet angeblich einige Kletterfelsen der höchsten Schwierigkeitskategorie. Uns interessierte allerdings nur ein kleines schwarzes Fenster kurz unter seinem Gipfel. Dort wohnte der Geist von Yarramalong, eine tote Aborigine. Deren Stimme strich nachts über die Bäume und machte den Ort ziemlich gruselig. Die Dame haben wir nie gesehen, aber wie sie immer wieder das Fenster auf und zu machte. Wahrscheinlich hätte ein ordentlicher Feldstecher genügt, um den Spuk zu entlarven. So was tut man aber nicht! Denn die Australier glauben gerne an Geister, die Eingeborenen leben ohnehin in einer Geisterwelt, Dreamtime… Ich allerdings auch, ich habe nämlich die Stimme gehört. Als ordentlicher Ingenieur darf ich das nie glauben, aber die Stimme war da, und hörte sich nach einer alten Frau an.

Im Reynold Creek lebten einige Wesen, derentwegen man sogar zur Zeit unserer Reise noch Expeditionen veranstaltete - Platypus alias Schnabeltiere. Wir aber hatten sie täglich vor unserer Nase. Sie leben zwar ohne den üblichen Beutel, den viele Tiere des Kontinents mit sich führen. Dennoch sind sie fast einmalig: Eier legende Säugetiere. Dass sie nicht völlig einmalig sind, verdanken sie dem Echidna, dem Igel, der seine Kinder säugt. Ganz vorsichtig, weil ziemlich stachelig … Den Platypus zu entdecken, ist bereits eine Sensation, weil sich die Tiere entweder von Menschen fern halten, oder vermutlich durch Angelzeug u. ä. getötet werden. Man wundert sich nicht, dass man beim Anblick der ersten Tiere (ausgestopft natürlich) in Europa eher an Wolpertinger erinnert wurde denn an real existierende Fauna. Auf der ganzen Welt existieren nur zwei Tierarten, die Eier legen, aber ihre Kinder säugen. Dass man die ganze Geschichte halt für eine Geschichte  gehalten hat, ist natürlich - ich meine menschlich. Die Geschichte der Wissenschaft zeugt davon, dass die klügsten Köpfe der Menschheit manchmal nicht imstande gewesen sind, simple Dinge zu erkennen, weil sie durch ihre Weisheit verblendet waren. Man lese nur die Story vom Meridianproblem und von der Blamage um Sir Isaac Newton, der dennoch als Genie da steht und sein betrogener Widersacher kaum jemanden interessiert.

Bei der ganzen Viecherei sollte auch auf den üblen Ruf von Australien als die Heimat der giftigsten Schlangen und Spinnen dieser Welt eingegangen werden. Das ist wahr. Genauso wahr ist, dass man eher einen Fünfer bei Lotto gezogen bekommt, als dass man ein Schlange zu sehen kriegt. Ich musste viele Male dorthin reisen, bevor ich meine bisher einzige Schlange gesehen habe. Trotzdem macht es Sinn, sich über den Schutz zu informieren - denn die Viecher existieren real. Wesentlich unangenehmer, aber nicht tödlich, kommen einem die Fliegen und Mücken daher. Dagegen gibt es nur einen wirksamen Schutz - die Reise zur richtigen Zeit. Woanders, z.B. auf Papua-Neu Guinea oder im Herzen Afrikas, im Okavango, stellen Mücken und Fliegen eine viel schlimmere Gefahr dar, als alle Schlangen, Löwen und Hippos zusammen genommen. Die gefährlichsten Tiere dieser Erde bringen so viel Gewicht auf die Waage, dass man davon eine ganze Million zusammen kratzen (ich meine erschlagen) muss, damit ein Kilo voll wird. Die Viecher, die 300 Kilo wiegen, die Löwen, oder drei Tonnen, die Hippos, oder gar 100 und mehr, die Blauwale, schaffen es in 10 Jahren nicht, was sich Hausfrau in einem Jahr antut, auf einen wackeligen Stuhl klettern und in den Tod stürzen. Warum hat Noah nicht die beiden Mücken erschlagen?

Das geht, wenn die Frauen taff sind, auf English heißt es tough. egal wie es heißt, die Damen ließen sich von dem Gekrabbel nur mäßig beeindrucken. Haben es aber bis heute nicht vergessen!

Land und Tiere sehen …

Ich musste schon früh am Morgen den Ort verlassen, um Proviant und Utensilien einzukaufen. Was aber tun mit den Kindern? Sie meinten, das sei ein schöner Ort - zu schade um wegzufahren. Da wir in den zwei Wochen davor fast 4.000 km auf Straßen in teilweise unbeschreiblichem Zustand gefahren waren, gab ich ihnen Recht. Wie lässt man aber zwei Berliner Gören im Australischen Bush, ohne sie anzuketten? Da fiel mir ein Trick ein - mit Geld kann man bekanntlich alles kaufen. Den Damen stellte ich eine Quizfrage, die sie bis zu meiner Rückkehr lösen sollten. Als Lohn winkten der Gewinnerin 5 Aussie Dollars. Sie sollten feststellen, was der Unterschied zwischen diesen Platypus und denen war, die sie im Aquarium in Sydney gesehen hatten. Ich muss zugeben, dass der Trick etwas mies war. Er hat aber geholfen, dass die Damen vier Stunden Schnabeltierstudien absolvierten, und daher nicht weg konnten. 

Der Einkauf in Boonah, einer Kleinstadt, war eine Offenbarung. Noch nie hatte ich schönere Steaks gesehen. Obst in rauen Mengen, gestern Nacht gepflückt, heute auf dem Markt! Im Nu war ich in die High Society von Fassifern Valley aufgerückt, weil ich von dem Regen berichten konnte, den ich einige Tage zuvor erlebt hatte. Fassifern Valley ist der Name der Gegend und heißt so viel wie Farntal - klingt aber auf Australisch besser. Die Menschen hier sind zum größten Teil Farmer und leben von dem Wasser, das in der Talsperre gesammelt wird und dort auf den Namen Lake Moogerah hört. Da Regen ziemlich selten ist, hätte ein Regenmacher beste Chancen, König von Fassifern Valley zu werden.

In Boonah hat mir der Fleischer eine ungeheure Ladung T-bone Steaks geschnitten, für jeden zwei für jeden Tag. Dazu habe ich einen Sack Kartoffeln für Pommes und Kartoffel-in-Asche gekauft. Axt, Säge und so waren ohnehin da. Natürlich hatte ich jede Menge Sachen vergessen, die Helen uns dann am nächsten Tag brachte. So etwa nach vier Stunden kamen wir zurück zum Camper. Die Ladies saßen noch am Creek und maulten, dass die Schnabeltiere genauso aussähen wie im Zoo. Recht hatten sie - und 5 $ jede dazu. Für die 10 $ hatte ich mir die absolute Sicherheit erkauft, dass sie das Fleckchen nie und nimmer verlassen hätten, ohne die Quizfrage zu beantworten.

So mies der Trick war, was wäre die Alternative gewesen? Kinder, ihr müsst brav sein und diesen Ort nicht verlassen, weil drum herum sich nur Prairie  ausbreitet und so ähnlich. Für ganze 10 $ habe ich mir den Sermon gespart. Und sie erzählen heute noch von dem Trick.

Übrigens, die Sache mit Lake Moogerah heute ist eine Tragödie ersten Ranges. In 1997 hatte der Wasserstand das Ende der Fahnenstange erreicht, der See war leer. Danach eroberte sich El Nino die Welt, und die Trockenheit nahm kein Ende. Heute soll es wieder Wasser geben, aber der See bleibt wohl ziemlich leer. Australiens Trockenheiten haben Menschen schon mehrmals zurück geworfen an die Küste.

Während wir unser erstes Lagerfeuer in Yarramalong anschmissen, spielte sich auf den Hügeln um uns herum etwas Ungewöhnliches ab. John und sein Sohn gingen auf Pferdejagd - mit einem Bike. Die Pferde von Yarramalong waren zwar Reitpferde von Beruf, liebten aber den Job wie ein Schichtarbeiter die Schicht Sonntagnacht. Deswegen mussten man sie mit einem Motorrad durch die Büsche jagen, bis sie aufgaben und Richtung Koppel trotteten. Dort warteten sie nun auf die Touris, die erst einmal die leckeren Steaks vom Lagerfeuer verdrücken mussten.

Pferde sind Herdentiere und dumm - denkt man. Diese Viecher entwickelten aber unvorstellbar originelle Ideen zum Versteckspielen im Gelände. Am Anfang hatte John, ein ehemaliger Rodeoreiter, sie trotz seiner Erfahrung nicht durchschaut. Wenn Pferde zum Reiten gesucht wurden, verkrümelten sich die besten im Busch. John, nicht minder klever, hatte ihnen Glöckchen umgehängt, damit er jederzeit wusste, wo seine Schützlinge versteckt lagen. Denkste! Die lieben Tierchen entwickelten den fünften Gang nach Schritt, Trab, Gallop und Tölt, den Glöckchen-halt-still-Gang. Johns Rache bestand darin, dass er sie alle einsammelte, auch wenn nur zwei gebraucht wurden. Bis dahin konnte man aber noch´n paar Steaks grillen.

Was machen arbeitslose Pferde, wenn niemand sie reiten möchte? Dieses Schauspiel war einmalig: Sobald genügend Pferde gesattelt wurden, stellten sich alle übrigen vor das Tor. Ein Wink von John - und im Nu verwandelten sich die müden Gäule in Pegasus und flogen förmlich übers Tor - ab in die Berge!

Jemanden wie John zu finden, dem Pferde blind vertrauen, müsste etwa so gewöhnlich sein, wie bei Lotto zu gewinnen. Dies habe ich bei drei Anlässen erlebt, die wahrlich Furcht einflößend waren. Zunächst das einfachste Erlebnis: John kann nicht reiten, Helen geht mit mir ins Gelände. Die Pferde, die immer blindlings in die Büsche rasen, scheuen bei jedem Blättchen, das sich bewegt. Nummer zwei: John lässt dreißig (!) Japaner (und Japanerinnen) einen Bachlauf hoch galoppieren. Die können aber gar nicht reiten. Mein Pferd und die von vier anderen reagieren nicht auf Johns Befehle, während die anderen losrasen, wie er den Arm senkt. Nummer drei und bestes Beispiel: In Yarramalong gibt es eine fast senkrechte Steigung im Gelände, etwa 8 - 10 m. Wer die hoch will, kann nur auf allen Vieren. Johns lässt uns runter rutschen, mit Pferd. Und noch besser: Wir dürfen hundert Meter Anlauf nehmen und hoch galoppieren. Der Ort heißt heart break ridge, warum wohl? Ohne John wären wir vermutlich nicht einmal in die Nähe gekommen, geschweige denn hoch oder runter.

Auf die Pferde