Auf dem Headhunter´s Trail

 

Headhunter´s Trail, das ist der weltberühmte Trampelpfad der Herrschaften, die einst einem äußerst netten Hobby frönten: Der Nachbarschaft den Kopf abspenstig machen. Das Volk hieß (und heißt) Kayan, und das Ziel Limbang. Das ist eine Art Frontstadt am Ende des Regenwaldes auf der einen Seite, am Ende eines moslemischen, und daher sehr trockenen, Landes, auf der anderen. Heute kommen nach Limbang die reichen Bewohner von Brunei, um sich am Wochenende volllaufen zu lassen. Etwas der (ähem, ähem) käuflichen Liebe zu frönen, ist auch angesagt. Wenn man sich die Damen näher anschaut, versteht man sofort, dass sich nur furchtlose Kämpfer aus dem Dschungel für solche Vergnügungen eignen. Die großen Macher aus Brunei (König, Neffe u.ä.) müssen allerdings nicht nach Limbang, die importieren erlesene Schönheiten aus aller Welt für viel Geld. Das aber später …

Die Kayan waren und sind Meister im Bootsbau für Flachwasser. Sie paddelten den Fluss Melinau hoch zum Melinau Gorge. Danach kopierten sie die Gemeinheit der Wikinger, die bekanntlich ihre Schiffe von Fluss zu Fluss über Land zu ziehen pflegten. Allerdings mussten die Kayan nicht allzu weit weg. Zum Glück! Denn es ist kein Spaß, ein Boot bei 35º durch den Regenwald zu ziehen. Mit 35º meine ich die Temperatur im Schatten. Macht aber hier keinen Unterschied, da man im Regenwald ohnehin nicht viel von der Sonne sieht.

Man zog die Boote (longboats) etwa drei Kilometer zum Terikan Fluss, von wo aus die Trophäenjagd ausgeführt wurde. Die abgeschnittenen Köpfe haben später die Ecken der Häuser (longhouses, hier ist alles lang) geschmückt. Die letzten Safaris dieser Art fanden allerdings nicht gegen die Stadt Limbang statt, sondern gegen die nette japanische Besatzungsmacht im Zweiten Weltkrieg. Die Japaner sollen sich derart brutal verhalten haben, dass sich die Kayan ihrer einstigen Kunst erinnert haben.

Auf diesen gefährlichen Pfad musste ich nun praktisch ohne Schuhsohlen gehen, weil diese sich beim Abstieg von den Pinnacles fast vollständig aufgelöst hatten. Chefs guckte sich mein trauriges Gesicht an und deutete an, dass ich mir keine Sorgen machen muss. Nach ein paar hundert Metern hatte er die richtigen Blätter gefunden, die meine neuen Schuhsohlen bildeten. Sie hielten tatsächlich durch bis Limbang.


Was habe ich hier verloren?

Headhunter´s Trail - Marsch ohne Wiederkehr

Wenn man sich seiner Klamotten entledigt, um seinen Körper der Luft auszusetzen, sind die Salzbienen Minuten später da und sausen um die besten Salzquellen herum, am Hut angefangen. Aggressiv benehmen sie sich nicht, sie gehen nicht einmal an den Salzstreuer (sofern man einen hat).

Nach etwa einer halben Stunde fing Chefs an, den Kopf über meine Marschgeschwindigkeit zu schütteln. Seine war trotz des schweren Geländes etwa doppelt so hoch wie meine. Er meinte, ich solle ihn in etwa zwei Stunden am nächsten Fluss treffen. So langsam wie ich könne er nicht laufen. Daher war ich plötzlich allein, aber verloren gehen konnte ich hier nicht. Denn der Regenwald kennt keine Abzweigungen. Zwischen Hutkrempe und Boden sieht man immer einen schmalen Pfad und muss diesem folgen. Ich fluchte leise mit mir, warum ich nicht wie alle meine Altersgenossen hinterm Ofen hocke und ein gemütliches Pfeifchen rauche.

Der heutige Marsch hätte sich wahrscheinlich ewig hingezogen, wenn nicht der Minister für Tourismus einige Wochen vorher hier gewesen wäre. Für den hohen Herrn hatte man Äste in den Schlamm gelegt. So war es mir vergönnt, über einen primitiven Knüppeldamm zu laufen. Daher waren die fiesen Angriffe der Blutsauger auch seltener als sonst. Trotzdem schafften manche es, durch meine zugeschnürten Hosenbeine nach oben zu klettern. Ab und zu musste ich eine Zigarette anmachen und die Biester mit der Asche zur Rückkehr in die Natur zu bewegen. Nicht auszumalen, was passiert wäre, wenn Chefs meine Schuhsohlen nicht repariert hätte!

Während dieser Lauferei durfte ich die schönsten und größten Schmetterlinge erleben, die mir je unter die Augen gekommen sind. Ansonsten begegnete ich den Elefanten und Leoparden nur im Tagtraum. Auch das große hornbill, das Nashornvogel, habe ich hier nur gehört. Allerdings ging sein Sound so richtig durch Mark und Bein. Wer viel sehen möchte, sollte sich vom Regenwald fern halten. Die Wüste irgendwo, der Colorado von oben oder von unten, die Alpen u.v.a.m verwöhnen einen richtig schön mit Panoramen, während der Regenwald einem höchstens den Spiegel vor die Nase hält. Während der etwa 300 km langen Wanderung dieser Tour habe ich mehr über mich erfahren als davor und danach.

Nach Stunden der Mühe erreichte ich endlich den Fluss, an dessen Ufer sich Chefs gemütlich gemacht hatte. Als er mich sah, stand er sofort auf und wollte weiter laufen. Ach, nee! Erst mal kochen, essen, sich auf den Blättern gemütlich machen … Als es weiter ging, erlebte ich einen der seltensten Augenblicke meines Lebens - durch den Fluss waten, Wasser bis zum Bauch, und immer schön wunderbares Wasser trinken.

Wasser trinken? So etwas, Wasser, gibt es bei uns doch immer aus dem Kühlschrank! Aus dem Fluss Wasser zu trinken, hatte mir einst ein Film in der Grundschule abgewöhnt. Der Film zeigte uns, wie Kühe am Oberlauf eines Baches ihre Verdauungsprodukte fallen bzw. fließen lassen, woraufhin der nächste Regen sie in den Bach spült. Einige Kilometer weiter unten trinkt der ahnungslose Mensch das Wasser und hat Sch… im Mund. Ergo? Kühe weg, Kunstdünger her! Um diese absolut klare Botschaft zu überbringen, hatte uns eine amerikanische Hilfsorganisation einen Filmprojektor geschenkt. Sie hatte nur vergessen zu sagen, dass der Film von einer Chemiefabrik in Auftrag gegeben worden war. Solche Kleinigkeiten sind doch nicht der Rede wert. Erst 30 und mehr Jahre danach habe ich wieder aus dem Bach getrunken. Und jetzt wieder am Headhunter´s-Trail …

Im Morgengrauen verließen wir Camp 5, überquerten den Fluss über eine wenig Vertrauen erweckende Brückenkonstruktion aus Stahlseilen und trampelten los. Nach den Strapazen mit den Pinnacles war mir nicht nach Wandern zumute. Zum Glück mussten wir in diesem Frühtau nicht zu Berge begeben. Der Himmel hing dicht über meinem Hut, und dieser schlapp vor den Augen, weil er mittlerweile seine Appretur verloren hatte. Wenn es nicht regnete, lief das Salz aus meinem Schweiß Richtung Krempe und tropfte zuweilen auf den Boden. Die Salzentwicklung ist überhaupt so´ne Sache. Der langsame Salzfluss von meinem Arm hatte angefangen, die Videokamera aufzulösen, die während der trockenen Stunden am Arm baumelte. Den Angriff der Salzbienen verdanke ich auch dem Salz. Allerdings schwärmen diese Biester nur auf kalte Klamotten.

Ein City-Mensch ist hochgradig zivilisiert und wandelt nicht auf den Spuren von Leuten, die diese nur betreten, um andere um einen Kopf kürzer zu machen. Igitt! Wir verfügen über unermessliche Berge von Fleisch, Gemüse und Eiern, herrschen über Milchseen und Butterberge - warum denn Blätter und Pilze im Wald sammeln und essen? Vor allem - wieso laufe ich fast zwei Wochen in einem Wald beinah allein und sehe nur ein grünes Dach überm Kopf?

Die ersten zwei, drei Tage habe ich meinen Entschluss, durch den Regenwald zu traben, durchweg verflucht. Am heftigsten, wenn der Regenwald seinem Namen alle Ehre machte. Schlapphut, freilich ohne das dazugehörige Utensil, den Trenchcoat, sieht nicht cool aus. Macht aber nix, man trifft ja niemanden, der einen in dieser Aufmachung sieht. Der nasse Rucksack, der jede Minute schwerer wurde, weil nasser, wog da schwerer, weil man ihn nicht einfach ablegen kann. Und die nach unten offenen Schuhe, deren Abschluss von zusammen gelegten Blättern bestand, fühlten sich nicht nur schleimig an - ich hatte öfters den Eindruck, dass sich welche Viecher da einarbeiteten. Ich stellte mir vor, wie sich Blattschneiderameisen freuen würden, wenn sie mir die Schuhsohlen unter den Füßen abfressen.

Und die Wildschweine! Was, wenn eines um die Ecke biegt? Oder Elefanten, die meine werte Gesellschaft nicht hoch einschätzen? Was würden die sagen, wenn ich plötzlich in einer Lichtung auftauche, wo sie ihre Kinder erziehen? Ob es Fische gibt, die im Fluss in meine Hosentaschen kriechen? Überall lauerten Gefahren!

Nichts dergleichen! Die einzigen Wildschweine, die ich kenne, laufen in der Nähe meines Hauses in der Großstadt herum. Und das einzige Schwein, das mir jemals gefährlich wurde, war ein armer Keiler, der sich hinter einem Baum versteckt hatte, als ich im Wald mit dem Fahrrad unterwegs war. Ich muss so gefährlich ausgeschaut haben, dass der Keiler es vorzog, mich vorbei zu lassen. Und dann dieser Klingelton - meine Frau rief mich an, weil das Essen kalt wurde … Der Keiler fühlte sich entdeckt, raste an mir vorbei und verschwand im Unterholz. Hier auf dem Pfad der Kopfjäger hingegen traf man nur selten ein Wesen, das einem gefährlich werden wollte, wenn man selber nur in friedlicher Mission unterwegs war. Die Elefanten, ja, die gibt´s noch. Sie wissen aber nicht mehr wohin, weil die Menschen ihnen langsam aber sicher das Dach über dem Kopf weggezogen haben. Und die wilden Nashörner? Von denen leben nur noch wenige. Vor 50 Jahren sollen sie noch in die Städte getrampelt sein. In der Stadt Sandakan im Norden von Borneo leben Leute, die einst die Rhinos aus ihrem Vorgarten haben vertreiben müssen. Die letzten drei, Rhinos, leben heute in Sepilok, im Reservat für Orang Utans, es sind wirklich die letzten drei.















Während meiner Tour im Regenwald verlor ich nicht nur die Sohlen meiner Schuhe. Mir ist auch die Wildnis abhanden gekommen.

Langsam zum Mitschreiben: Was habe ich hier verloren?