Trekking im ältesten Regenwald der Welt - Der Anfang

 

Paddeln irgendwo am Amazonas - das war mein Ideal, bis mir Brigitte in die Quere kam. Nicht irgend eine, sondern die Zeitschrift, die alle ihre Vorgängerinnen wie Constanze, Petra u.ä. verschluckt und gut verdaut hat. Meine Frau hatte nämlich darin gelesen, dass man auf Borneo wunderbar tauchen könne. Das schien ihr ein günstiges Vehikel zu sein, den Mann von einem unberechenbaren Abenteuer in der Grünen Hölle abzuhalten. Als wäre Borneo so eine Art Stadtpark von Posemuckel. Egal - nur nicht zum Amazonas! Da gibt es Kopfjäger - brrrr …

Da der Entschluss nur wenige Tage vor meiner Abreise kam, hatte ich wenig Zeit, um mich vom Paddler zum Trekky zu verwandeln. Beim Outdoor-Laden guckten sie nicht schlecht, als ich einen "professionellen" Rucksack kaufen wollte, aber nicht wusste, wo bei dem Ding oben und unten war. Der nette Verkäufer bot mir an, mich am nächsten Tag wieder zu betreuen, damit er mehr Zeit hatte, mir die Funktion eines Rucksacks zu erklären. Ach, nee! Ich muss noch heute fliegen. Zum Glück hatte ich in Hong Kong eine Woche Zeit, um mich im Tragen von einem Riesenrucksack zu üben… Erst richtig beladen, dann schultern - und dann? Ufff! Bereits das Beladen hat sich als eine große Herausforderung erwiesen! Dann lief ich wie ein Packesel im Hotelzimmer rum. Jeden Abend - mal nüchtern, mal weniger nüchtern…

Die Aussichten schienen nicht gerade günstig - bei tropischen Temperaturen war der Transport von 20 kg Rucksack nicht gerade ein Kinderspiel - lief nur gut, wenn ich die Klimaanlage einschaltete. Nach einer Weile taten mir nicht nur die Schultern weh.  Aufgeben wollte ich aber auch nicht. Auf in eine nicht so rosige Zukunft! Was in einem klimatisierten Zimmer von Sheraton in Hong Kong nicht geht, musste auf notwendigerweise unklimatisierten Inseln vor Borneo klappen! Logo?

Wenn es nicht klappen würde, wäre es auch nicht schlimm, denn die Aussichten auf eine Rückkehr waren ohnehin nicht sehr groß. Wenn einen die Kopfjäger nicht krallen, dann vielleicht die Piraten. Oder die Waldelefanten? Am schlimmsten wären natürlich die Mücken, die töten wirklich.

Den Kopf mit solchen unsinnigen Gedanken geladen fuhr ich in Hong Kong zum Flughafen. Dieser war zwei Tage vorher eröffnet worden und hatte sich als Katastrofe ersten Ranges erwiesen. Als ich im Hotel nachts fragte, wann ich denn zum Flughafen fahren sollte, sagten die, am besten gleich, Sir! Fang an, Abenteuerurlaub!

Erste Stunden in Kota Kinabalu

Der Bomber aus Hong Kong entließ mich am Flughafen von Kota Kinabalu - eine Art Urwaldstation, jedenfalls nach meiner Meinung. Tatsächlich war da mal Urwald gewesen. Die Ausfahrt aus dem Flughafengelände sah nicht viel anders aus als in Istanbul oder San Francisco. Etwas tropischer, aber nicht unbedingt exotischer. Tapfer schulterte ich meinen bleischweren Rucksack und machte mich auf den Weg. Allzu weit kam ich allerdings nicht - die Rettung nahte in Form eines Taxis, dessen Fahrer meine Schweißströme ausgemacht hatte. Den ersten Retter habe ich noch brüsk zurückgewiesen, den zweiten auch. Beim dritten habe ich allerdings eingesehen, dass mein Eintritt in die Wildnis noch etwas warten sollte. Kota Kinabalu war eine Großstadt und kein Camp für Kopfjäger! Irgendwie waren meine Urwaldträume irreal.

Die hiesigen Kopfjäger saßen nicht in Urwaldhütten, sondern fuhren mit Taxen und Mietbooten rum und nahmen arme Touris aus. Allzu einzigartig kam mir das nicht vor. Der Taxifahrer unterschied sich von meinen früheren Bekannten aus New York oder Sydney nur durch seine Schlitzaugen, während ich früher nur schlitzohrige kannte. Weder die Taxifahrer, noch die Motorbootkäpt´ns brauchten Gedanken an Dinge wie Ökosteuer oder Benzinpreis zu verschwenden, weil ein Oberschlitzohr der Geschichte dem Britischen Empire ein Schnippchen geschlagen hatte. Als die Briten gedroht hatten, das heutige Malaysien samt West-Borneo der Zivilisation zuzuführen - sprich als Kolonie auszubeuten -, hatte der Sultan von Brunei listig große Teile seines Reichs den Briten überlassen und begnügte sich mit einem winzigen Teil davon, dort wo seit 1928 Öl gefördert wird. Deswegen sind 2 x 200 PS Außenborder an relativ kleinen Booten auch heute kein Luxus. Der Rest von Borneo blieb aber arm. Früher war er vielleicht glücklich, heute nicht mehr, weil die Ausbeuter jetzt Einheimische sind: Borneo wird von den Malaysiern vom Festland und von den Indonesiern ausgebeutet.

Der größte Teil von Borneo, der drittgrößten Insel der Welt, gehört Indonesien und heißt Kalimantan. Der Malaysischen Föderation gehören zwei Bundesstaaten auf Borneo, Sabah und Sarawak. Dazwischen liegt Brunei mit seiner goldenen Moschee. Kota Kinabalu ist die Hauptstadt von Sabah, einem Land, in dem sich einst Teile des ältesten Urwalds der Welt befanden. In Sabah wurde jüngst eine neue Elefantenrasse entdeckt, weil die schützende Walddecke verschwunden ist. Die Ölpalmenfelder, die sie ersetzt haben, eignen sich nicht mehr als Habitat für Tiere, sondern nur als Rohstofflieferant für Pommes. Hinter Kota Kinabalu bildet er aber immer noch die Grüne Hölle, oder das Paradies, wie man es will. Dort erhebt sich der Mount Kinabalu mächtig in den Himmel - der höchste Berg in Südostasien. Und mit 4010 m nicht allzu klein. Vor der Stadt liegt ein breiter Küstenstreifen als Hafen und Anlegestelle. Nur wenige hundert Meter drüben ragen aus dem Wasser Pfähle heraus, die eine ganze Siedlung mit Menschen und Tieren tragen. Nass iss …

Als das Taxi in die Einfahrt der Stadt kam, fragte mich der Fahrer, wo mein Hotel sei. Hotel? Ich wollte eigentlich am Strand übernachten. Bei uns würde man bei einem solchen Anliegen an die Stirn tippen. Mein vornehmer Fahrer zog seine Hand quer durch die Kehle - oh! oh! Eigentlich konnte man an diesem Strand nicht liegen, weil sich dort Markhallen und Lagergebäude die Hand gaben.

Während wir so diskutierten, erklang eine vertraute Stimme. Der Muezzin rief laut zum Freitagsgebet. Ich merkte, dass ich in einem muslimischen Land gelandet war. So mir nix, dir nix am Strand liegen, war nicht deren Sache. Bereits meine Bekannte aus Kuching im Süden, die Professorin an der dortigen Universität war, hatte mich ungläubig angesehen, als sie von meinen Strandparties gehört hatte. Sie hatte mich mit diversen Adressen und Telefonnummern ihrer Assistenten versorgt, damit ich bei Gefahr gerettet werden konnte. Jetzt habe ich sie verstanden.

Während der Wanderschaft habe ich an sie gedacht. Man stelle sich einen Uni-Assistenten vor, der eine e-Mail aus dem Wald bekommt und einem Bekannten der Chefin helfen soll, ein Wildschwein abzuschütteln.

Selbst die Staatsmacht fühlte sich nicht so sicher, die vermummten Frauen vor der Markthalle waren keine Musliminnen, sondern Politessen, die von ihrer Kundschaft nicht erkannt werden wollten. Außer den muslimischen Malaien leben in Kota Kinabalu viele Chinesen, was man an den Speisekarten der Imbissbuden merkt. Jedem deutschen Tierschützer würden sich die Nackenhaare zu Bergen auftürmen, wenn ihm neben Wildschwein und Huhn auch Schildkröten, Flughunde und gar lebende Frösche serviert würden. Andere Länder - andere Braten!

Bei aller Exotik - die Bewohner meiner neuen Heimat für die nächsten Wochen frönten einem profanen Laster, das mich zu dieser Reise bewogen hatte: Fußball! In Europa tobte gerade die WM und ich hatte den Rat von Harald Schmidt beherzigt, den er herzlos in die Menge gerufen hatte: Wir verlosen eine Reise nach Kasachstan am … Dem verdutzten Publikum hatte er dann erklärt, wieso die Reise dorthin und genau an diesem Tag stattfinden sollte. An dem besagten Tag war das Finale der WM geplant und Kasachstan war nach Meinung von Dirty Harry das einzige Land, in dem keine Übertragung des Spiels stattfinden sollte. Warum nicht Borneo? - hatte ich mich gefragt. Nun hatte ich die Bescherung. Alle, alle guckten fern. Von wegen Kopfjäger! Von unseren Couch-Fußballern unterschieden sie sich nur dadurch, dass sie meistens im Freien saßen. Mittlerweile gibt es das ja auch bei uns, public viewing nennt sich das …

Wirklich stille Tage auf Pulau Sapi

Die kleinen Kerlchen tobten angeblich auf der ganzen Insel herum und leerten die Picknickbeutel der Besucher, bevor diese den Inhalt grillen oder irgendwie anders zubereiten konnten. Die Viecher waren in Natura halb so wild! Sie schliefen meistens auf irgend einem Baum oder pulten Nüsse und so. Um meine ganzen Vorräte nicht gleich loszuwerden, habe ich hinter dem Felsen mehrere Löcher gebuddelt und die Lebensmittel darin verstaut. Wenn die Hitze nicht wäre, würde ich meine Erfindung verteilten Kühlschrank oder ähnlich nennen. Die Hitze war aber nicht zu übersehen, daher wäre die Bezeichnung Kühlschrank eher irreführend.

Dann fing das Warten auf die Affen an, die aber keinerlei Anstalten machten, meine Vorratskammern anzugreifen. Für alle Fälle lag meine Mini-Machete griffbereit, so dass ich alle Tiere außer Shir Khan in die Flucht hätte jagen können. Da sich aber keine zeigten, probierte ich es mit Gemütlichkeit, wie es mir Baloo empfohlen hätte. Ein einsamer Waran kam des Weges und streckte mir die gespaltene Zunge entgegen. Da er weitaus kleiner war als seine Vettern aus Komodo, jagte er mir keine Angst ein.

Das war meine Reality Show. Die echte hatte sich nur wenige Meilen entfernt auf der Pulau Tiga abgespielt und hörte auf den Namen SURVIVOR. Sie wurde vor Jahren in den USA gezeigt. Warum man gerade diese Inseln für eine Fernsehproduktion ausgesucht hatte, wurde mir am ersten Abend klar - man war in der Wildnis, konnte aber die Großstadt sehen und beinahe hören. Anders als die Gefangenen von Alcatraz, die jede Nacht San Francisco sahen, aber nie erlebten!  Der Überlebenskampf lief ziemlich fernsehmäßig an …

Von der Landungsstelle, die eine normale Jetty war, bis zu dem Felsen, auf dem ich zu wohnen gedachte, musste man zwar nur etwa 1500 m durch den Urwald tapern. Allerdings hatte ich bereits nach hundert Metern das Gewicht der Melone und der Wasserflaschen deutlich gespürt, als ich einen steilen Hügel hoch klettern musste. Die Insel fühlte sich schon wie ein Paradies an, aber irgendwie Touristenklasse.

Alles hübsch eingerichtet auf dem Felsen, den ich nach leichter Zugänglichkeit des Wassers ausgesucht hatte, wurde ein formidables Lagerfeuer entfacht, damit die ersten Steaks gegrillt werden konnten. Ich summte das Lied von der Circe, die so ging "Sie lebte auf einer Insel fern von den Urlaubern/Da konnte sie besser zaubern …", als die Idylle jäh durch das Erscheinen eines Mannes unterbrochen wurde. Er stand am Wasser vor meinem Felsen und grüßte höflich wie ein Engländer. Dann fragte er, was ich da oben mache. Grillen - was denn sonst? Danach etwas Schnorcheln, unten …

Meine neue Bekanntschaft kannte die Insel Sapi sehr gut. Jeden Tag würde er mit seinem Boot auf Pulau Sapi fahren, um nachzudenken, erzählte der Engländer. Warum ich denn mich auf der Gott verlassenen Insel niederlasse, fragte er. Auch um nachzudenken, bis diese verdammte WM zu Ende geht. Danach wollte ich zurück nach Kota Kinabalu, um weiter im Süden eine Tauchbasis vor der Stadt Miri aufzusuchen. Als ich ihm das erzählte, fragte er mich, was ich denn da wolle. Tauchen? Vor Miri? Ich erzählte ihm, dass ich vor Jahren einen recht teuren Traum von einer Taucherinsel hatte. Genau da wollte ich jetzt hin. Sapi? Oder irgendwie so? Da lachte er ganz laut und enttäuschte meine Hoffnungen. Sapi wäre die Insel, auf der wir uns gerade unterhielten. Weiter im Süden wäre eher Schlamm als Koralle. Ich meinte wohl Sipadan, und die wäre nicht im Süden, sondern im Osten. Ich sollte gleich zurück nach Kota Kinabalu und eine Reise auf die Trauminsel buchen. No way! Ich bleibe hier, bis das Finale vorbei ist. Dann seh´n mer weiter.

Er zog weiter, nachdem er mir verraten hat, was er hier treibt: Sprachen der Eingeborenen erforschen. Nach seiner Auskunft gibt es nirgendwo auf der Welt so viele unerforschte Sprachen so dicht beieinander wie auf Borneo hinter Mount Kinabalu. Da fasste ich den Beschluss, auch dies zu erforschen. Vorher musste ich aber unter Wasser - und das gaaanz lange!

Wie lang gaanz lange werden würde, konnte ich mir nicht ausmalen. Als meine neue Bekanntschaft wie im Märchen ebenso schnell verschwand, wie sie aufgetaucht war, habe ich schnell meine Steaks verdrückt. Anschließend aß ich noch ein Stück von der ausgegrabenen Melone und schlief noch ein bisschen. Der Tag wurde aber länger und länger und ich wollte prüfen, ob meine Vorräte denn drei Tage aushielten. Wie prüft man so etwas? Einfach: Man frisst die Sachen nach und nach auf und guckt dauernd nach, ob noch genug vorhanden ist. Ich gehe wohl nicht fehl in der Annahme, dass ich auf diese Weise niemals einen guten Forschungsreisenden abgeben würde. Ein Entdecker, der als erstes seinen Hunger und seinen Durst entdeckt und langsam aber sicher aller Vorräte vertilgt! Schlechte Entdecker müssen auch sein, sonst gebe es nicht mehr Neues. In der richtigen Wildnis wären meine Überlebenschancen allerdings nicht allzu hoch.

Wo die richtige Wildnis wohl sein soll, ist mir nicht klar. In meiner Kindheit befand sie sich gegenüber unserem Haus, an einem Hügel. Dort wuchs Macchia, wie sonst im Mittelmeerklima auch. Wir konnten dort sogar auf die Pirsch gehen, zuerst mit Katapulten, später mit einer richtigen Kanone. Der Traum fand sein plötzliches Ende, als nach einem Schuss eine Frau laut schrie. Hinter unserer „Wildnis“ war eine Siedlung entstanden. Zum Glück schoss unsere Kanone mit Schrot und auf kurze Distanz. Später suchte ich die Wildnis in Thailand oder auf Mauritius. Leider fand ich sie nirgendwo, weil man spätestens nach einem halben Tag auf Menschen stößt.

Sapi ist dennoch eine wunderbare Insel. Man kann dort ungestört tauchen, wandern oder gar auf dem Felsen dösen. Nichts und niemand stört einen, wenn man sich gut versteckt. Die meisten Tage muss man sich nicht einmal verstecken. Man ist unter sich. Leider lassen sich nicht alle Spiele ehrlich spielen, weil man doch schummelt. Pokern geht gar nicht. Beim Schach lassen sich die Winkelzüge nicht geheim halten.

Die Sache mit der Fußball WM war allerdings noch die geringste Enttäuschung meiner Vorurteile, war ich doch ausgezogen, das Land der Kopfjäger zu erreisen. (dazu später noch) Meine Frau staunte nicht schlecht, als ich sie nicht anrief, sondern "e-mailte". Man hatte mir nämlich vorgerechnet, wie teuer doch so ein Anruf sei. E-Mail sei billiger. Im Internet Café saß ich neben einer dunklen Schönheit, einer vermeintlichen Kopfjägerin, die über ihr Handy telefonierte, während ihr Chat mit San Francisco auf dem Bildschirm lief. Das nenne ich Wildnis!

Um dem Trubel zu entgehen, ließ ich mich auf eine unbewohnte Insel bringen, wo ich drei Tage campieren wollte. Tunku Abdul Rahman Park, ein Staatspark mit vielen schönen Inseln, war nur einige Meilen entfernt. Nichts wie hin! Auf meine Trauminsel, Pulau Sulug, wollte mich aber niemand bringen. Der letzte Kapitän, den ich fragte, machte die gleiche Handbewegung wie der Taxifahrer und sagte nur "Pirates!". Dem Kerl habe ich nichts geglaubt, weil er dazu noch grässlich grinste. Ein Jahr später belehrten mich die Philippinos eines Besseren, als sie die Touris aus Sipadan entführten.

So kam ich auf Pulau Sapi, eine tropische Insel wie aus einem Traum. Die Insel konnte man aus der Stadt noch sehen, und nachts wohnten manchmal zwei, drei Ranger dort. Am Wochenende kamen sogar Picknick-Leute. Da war ich sicher vor den Piraten. Ich kaufte ziemlich groß ein, so für drei Tage. Eine große Melone musste sein, damit ich keinen Durst bekam. Dazu ein paar Steaks, die man aber in den ersten 24 Stunden vertilgen musste. Am Ende kam ein ordentlicher Berg zusammen. Leider fehlten mir die Träger, die in früheren Afrika-Trips nicht nur Dekoration darstellten. Ich musste nicht nur die ganze Ladung an den Felsen schleppen, auf dem ich schlief, sondern auch vergraben. Wegen der Mainzelmännchen …

Zwei Stunden bevor sich die Sonne zur Ruhe legen wollte, entdeckte ich zu meinem Entsetzen die flott wachsende Wolkenformation über dem Mount Kinabalu. Zunächst bildete sich eine winzige Wolke, die aber mit zunehmender Beschleunigung die Formen eines Gewitters annahm. Das Graue der Luft, in der noch die Waldbrände der letzten Monate zu riechen waren (in Südostasien hatte es mächtige Brände gegeben), wechselte von bräunlich zu schwarz-grau. Eine halbe Stunde später begriff ich, wieso sich die verheerenden Waldbrände aus dieser Gegend verabschiedet hatten: Ein kleines Kind (El Nino) hatte das Weltklima umgewirbelt und Borneo eine Regenzeit zur Unzeit beschert. Eine echte tropische Regenzeit …

Ich begriff noch mehr. Beispielsweise, dass mein regendichter Rucksack doch nicht so regendicht war. Als Käufer von japanischen Taucheruhren hätte ich mir sowas denken müssen. Bekanntlich taugen diese Dinger, auf deren Ziffernblatt 100 m eingetragen steht, überhaupt nicht zum Tauchen. Nur mit Uhren, die für 200 m geeignet sind, darf der Tauchtouri bis 30 m tief tauchen. Diese Tiefe legen zum Glück nicht die Uhrenhersteller fest, sondern die Staaten, die dumme Werbung durch verunglückte Touristen nicht sonderlich schätzen, oder Tauchbasen, die auch bei Tauchgästen auf Nachhaltigkeit Wert legen.

Ob mein Schlafsack in der Qualität auch so hochwertig war? Darauf wollte ich es nicht ankommen lassen und bastelte mir eine Art Regenhütte. Ein Glück, dass im tropischen Regenwald so große Blätter wachsen, dass man sich damit nicht nur bei einem unaussprechlichen Geschäft behelfen kann. Da die Vorräte auch in Plastiktüten vergraben worden waren, konnte mir der Regen wohl nichts mehr anhaben. Von wegen! Es war verdammt schwer, ein Feuer anzumachen.

In der Dämmerung suchte ich noch Papierfetzen aus meinen Taschen und trockene Holzstücke unter Blättern zusammen, die sie vor dem Regen geschützt hatten. Erst als ich einen formidablen Scheiterhaufen aufgetürmt hatte, zündete ich die Papierfetzen an. Die Flammen loderten auf - und fielen rasch in sich zusammen. Aus der Traum vom gegrillten Steak im Regenwald! Nicht mit mir! Ich sammelte unter Taschenlampenlicht noch ein paar trockene Hölzer zusammen und grub dazu noch Moos unter einer Baumwurzel aus und versuchte mein Glück noch einmal. Auch dieses Mal ging das Feuer trotz heftigen Pustens bald wieder aus. Zischschsch …

Kurz bevor ich endgültig aufgab, fiel mir das Feuer vom Mittag ein. Ob da noch was am Glimmen war? Von den Feuern, die wir in Dänemark am Strand betrieben hatten, wusste ich, dass man am nächsten Tag noch so viel Glut in der Asche haben konnte, dass es für Kartoffeln in Alufolie noch gereicht hat. Sapi war zwar keine dänische Insel, das Feuer verhielt sich aber weltweit gleich. So konnte ich meine leckeren Steaks doch grillen und einen gemütlichen (!) Abend unter dem Regenhimmel verbringen.

Später zeigte sich, dass mein Blätterdach ebenso unvollkommen war wie der Rucksack. Zwar lief das meiste Wasser wie geplant ab, ohne meinen Schlafsack zu treffen. Gegen gelegentliche Tropfen, die genau mein Auge trafen, war die Konstruktion hingegen nicht gefeit. Aber mein Acubra-Hut!

Grillen im tropischen Regenguss

Das Finale - Zurück in Kota Kinabalu

Die drei Tage waren recht schnell um. Schon am zweiten Tag gab es nichts mehr zu grillen. Obst war angesagt. Trotzdem wollte ich auf mein Lagerfeuer nicht verzichten. Ich musste ja weder Angst vor einem Waldbrand hegen, noch vor einem Schiffbruch. Die Schiffe fahren längst nicht mehr nach Feuersignalen und die Piraten wagen sich nicht so nahe an die Großstadt. Ungeduldig wartete ich auf das Boot, das mich zurück fahren sollte. Die WM war zu Ende und endlich konnte ich die Kota Kinabalu ohne die vielen Fernseher genießen.

Aber das Boot kam und kam nicht. Als es langsam dunkel wurde, erschien dennoch meine Rettung, die zwei Ranger, die häufig auf der Insel schliefen. Sie funkten den Kapitän an, der die Rückholaktion starten sollte. Nach einer stürmischen Überfahrt landete ich wieder in der Zivilisation, ähem, dem vermeintlichen Kopfjägercamp. Ich war nicht zufällig auf der Insel vergessen worden, sondern Opfer eines sportlichen Großereignisses geworden. Auf den Straßen standen große Menschenknäuel vor den Fernsehern rum, die die Wirte auf die Straße gestellt hatten, um ihr Lokal von Fußballfans frei zu halten. Das Volk jubelte Zinedine Zidane zu, den es wohl nie zu sehen bekommen wird. So verfolgte ich das Spiel zu Ende, und zwar dort, wohin ich geflohen war, um just dem Rummel um dieses zu entkommen.

Man merke: Ein Globetrotter weiß, dass es in Ostasien früher später wird als in Europa. Und wenn er dies nicht weiß …

Jahre später war es wieder so weit, Weltmeisterschaft in Berlin. Zidane spielte sein letztes WM-Finale und machte sich unsterblich durch seinen Kopfstoß. Aber zurück nach damals und Borneo …