Besuch bei der alten Dame
In dieser höllischen Badewanne existiert Leben. Nicht üppig, aber immerhin. Muscheln bedecken bestimmte Teile des Bodens. Relativ große Fischschwärme düsen hin und her, allerdings ohne das Gefühl zu vermitteln, man bewege sich in exotischen Gewässern. Alpensee wäre angemessener, wenn man von der Temperatur des Wassers absieht, da das Pflanzenleben zu kurz kommt.
Noch eine Besonderheit bietet der See: Alle Tiere bleiben in ihrem Wachstum gehemmt, Muscheln wie Fische erreichen Längen, die man eher in Millimetern misst denn an Metern. Das ist bei den von Atomkraft aufgeheizten Gewässern in Europa anders. Dort wachsen die Fische viel schneller als in den kälteren Teilen der gleichen Gewässer. Was allerdings nicht an der Strahlung liegt, sondern an einem chemischen Gesetz, das besagt, dass bei einer Steigerung der Temperatur um 10º C alle chemischen Vorgänge doppelt so schnell ablaufen. So wird wohl Atomlachs vier mal so schnell ein Meter lang als sein armer Verwandter aus dem kühlen Fjord. Ob er auch vier Meter lang wird anstelle von einem, ist damit nicht gesagt. Er wird viel früher geschlachtet als sein Vetter.
Im Barracuda Lake leben natürlich keine Barrakudas. Ich wette, dass die Einheimischen nicht einmal den Namen des Sees kennen. Er soll wohl Touris anlocken. Es existiert aber ein Video aus dem See, in dem ein großer Barrakuda zu sehen ist. Manche Besucher meinen daher, der Fisch sei kein Vetter zweiten Grades von Nessie. Vielleicht haben die Kryptozoologen recht. Wie man dieses Video gedreht hat, wäre eine Wette wert. Das arme Tier muss sich vorgekommen sein wie im türkischen Hamam.
Wer einen gegrillten Fisch hier Essen will, muss einen selbst mitbringen, d.h. mitbringen lassen. Die Jungs lassen einen ungern arbeiten. Sie haben am nächsten Abend auf einer einsamen Sandbank ein Riesenfeuer veranstaltet und uns Fische gegrillt. Danach durfte ich für eine Nacht Inselbesitzer werden.
Wer Sangat Island besucht, sollte sich auch eine Woche auf einer alten Dame leisten. Sie heißt Maribeth und ist ein alter Frachtkahn. Ihr Atem ist so kurz, dass sie bei Volldampf bis etwa 5 Bft noch Fahrt voraus macht. Ab sechs Windstärken fährt sie nur noch rückwärts. Die Eigner sind zwei Schweizer, politisch korrekt eine Schweizerin, Vera, und ein Schweizer, Heinz. Ihre Länge beträgt 15 m, die Breite 4 m, naturgemäß nicht überall.
Als ich damit fuhr, waren die Eigner bereit, bei zwei Anmeldungen loszufahren, mit vier war das Schiff ohnehin voll. Der gedeckte Tisch am Vordeck nahm nicht mehr Teller auf. Wenn man also genug Geld für zwei hat, kann man in den Genuss des ganzen Schiffes kommen. Wie viel Mann die Crew insgesamt umfasste, habe ich nicht gezählt.
Vera und Heinz haben sich das Schiff wirklich ganz gemütlich eingerichtet, keine Spur von der Hektik wie auf größeren Booten. Wer die erleben will, ist um Hurghada herum bestens bedient. Ansonsten tut er damit auch Gutes für seine Mitmenschen, die der Ruhe und Stille wegen tauchen. Hurghada, das Disneyworld der Taucher und Pseudotaucher! Selbst U-Boote kann man im Riff treffen.
Mir wurde die Fahrt von dem Reiseveranstalter aus Bayern empfohlen. Bereut habe ich die Entscheidung nicht, obwohl sich der Anmarsch über fast 24 Stunden erstreckte. Das stand zwar in der Empfehlung nicht geschrieben, man kann es aber ausrechnen.
Wenn man auf so ein Schiff geht, darf man keinen Luxus erwarten, außer dass es Luxus genug ist, mit maximal sechs Leuten eine Woche tauchen zu können.
Das Leben an Deck unterschied sich stark von dem, was ich sonst kenne. So kann man auf den Schiffen auf dem Roten Meer sogar Leute erleben, die um 6 Uhr morgens ihre Plätze mit Handtüchern belegen, damit sie nach dem ersten Tauchgang einen Sahneplatz in der Sonne genießen. Auf den Malediven kann man in eine Horde geraten, die den ganzen Tag telefonieren. Mit wem denn bloß? Und warum sind die hier? Auf Fiji habe ich blasierte Amerikaner erlebt, die nur für fünf Tauchgänge gekommen waren. Keine Spur von derlei Hektik und Unsinn auf Maribeth. Echt schweizerische Atmosphäre …
Wir fühlten uns rundherum wohl und gut versorgt, vor allem mit Essen. Vera (und auch der Käpt´n) bereitete leckere Sachen. Das einzige, was mir fehlte, war der Rotwein. Dazu meinte Heinz, auch den könnte ich bekommen, wenn ich bereit wäre, Wein zu trinken, der über Wochen in tropischen Temperaturen geschüttelt worden ist. Zwar trinkt 007 seine Vodka-Martinis ab liebsten geschüttelt, mit Wein sollte man dies besser nicht tun. Bei 007 soll der Grund darin liegen, dass geschüttelte Martinis weniger freie Radikale haben und daher dem Körper weniger schaden. Der geschüttelte Martini vernichtet doppelt so viele freie Radikale wie der gerührte, meint ein Fachmann. Beim Wein ist es anders. Den geschüttelten kann man einige Tage später nur noch über den Salat gießen. Essig isss …
Es gab öfter Landausflüge, manchmal in die Disco, manchmal auf einen Sandstreifen zum Grillen. Bei solchen Gelegenheiten habe ich mich unter die Sterne gelegt und erst am nächsten Tag abholen lassen. Man sagte mir zwar, manchmal würden die Gäste eher von den Piraten geholt, solche Geschichten glaube ich aus reinem Optimismus nicht. Manchmal sind sie aber wahr. Alle Schiffe, die hier oder in Indonesien die Inselwelt bereisen. müssen sich darauf gefasst machen, von Piraten überfallen zu werden. Auf die schießt man aber nicht, sie werden heute mit Wasserkanonen weggespritzt.
Leben an Deck
Zu den vier Touris an Bord gehörte eine Frau, die ich hätte täglich sehen können, wäre ich in der Nähe meines Hauses spazieren gegangen. Sie war eine Straße weiter aufgewachsen. Ihr Ehemann war schon ein Fremdling und stammte aus einem anderen Teil von Berlin. Um die exotische Sammlung doch noch voll zu machen, stammte der letzte Fahrgast aus dem Elsass und sprach auch noch gut Deutsch. Zwar kein Milieu, um sich als Weltreisender zu fühlen; aber sehr nett.
Maribeth dümpelt am liebsten in der Nähe der Wracks des Coron Bay, die den 24. September 1944 nicht überlebt haben. Sie fährt aber auch zum Tubbataha-Reef im Sulu Sea, natürlich nicht so weit von Coron entfernt.
Auf einem dieser Landurlaube besuchten wir eine Insel mit einer Siedlung darauf, die mit einer schönen Villa am Wasser begann. Ob man die Siedlung Dorf oder Stadt nennen sollte, kann ich nicht entscheiden, weil ich in einem Dorf aufgewachsen bin, das eigentlich Teil einer der größten Städte der Welt ist. Dennoch glaubten wir, das sei ein Dorf, weil dort keine Straßenbahn fuhr. Zudem hingen die Drähte für die Straßenlampen an den Masten, während sie in der Stadt unter der Erde verlegt waren. Nach diesem Maßstab wären fast alle Städte in Amerika Dörfer. Wie dem auch sei, diese Siedlung besaß sogar eine Straßenbeleuchtung, auch wenn etwas rustikal. Die Drähte, die den Strom brachten, waren mit der Hand verdrillt. Und die Lampe würde vor deutschen und australischen Umweltpolitikern keine Gnade finden, die Glühlampen verbieten wollen. Der arme Edison dreht sich im Grab.
Oben am Ende der Siedlung breitet sich ein Bach zu einem Freibad aus, in dem man Kind und Kegel finden kann. Das Bad darf man betreten, ohne vorher zu duschen; sich ausziehen muss man auch nicht. Über alle wacht die Madonna, deren Statue aus dem Felsen auf die Badenden herunter blickt. Man hatte für sie und ihr Kind einen kleinen Schrein in den Fels eingebaut.
Während ich bei den Badegästen keine Probleme mit dem Filmen hatte, musste ich bei der Fortsetzung der Expedition weiter höher am Berg mir etwas einfallen lassen. Die malerischen Hütten und Häuser, fein an den Berg drapiert und mit üppig bewachsenen Gärten umgeben, ließen sich nicht filmen, ohne gleichzeitig die neugierig in die Kamera guckenden Bewohner mit aufzunehmen. Zum Glück haben Videokameras eine Einrichtung für Eitle, die sich selbst filmen wollen. Dazu muss man nur das Display um 180º drehen. So filmte ich über meine Schulter die Häuser hinter mir, während ich den Leuten vor mir den Eindruck vermittelte, sie würden demnächst im Fernsehen auftreten. Insbesondere die Kinder sahen sehr schön aus. Alle hatten die Hautfarbe, derentwegen unsereins ans Mittelmeer pilgert, allerdings ohne die üblichen Rötungen, die bei den Einheimischen die Erkenntnis hat entstehen lassen, nur Esel und Weiße würden in die Sonne gehen.
Die Kraxelei endete, wie viele Ausflüge hier, im Wald. Anders als in Thailand wuchsen auf der Insel viele Palmen, was darauf hin deutet, dass der Wald nicht allzu natürlich ist. Er war auch voller blühender Sträucher, auch nicht so natürlich. Warum eine Insel mit einem Ort darauf natürlich sein sollte, steht in keinem Buch. Wir haben es so erwartet, weil die Insel so exotisch war. Die Einheimischen fanden eher uns exotisch. Die hätten uns in Taucherkluft sehen sollen! Man findet ja seine neuen Taucherklamotten irgendwie schick, während die Insulaner beim Anblick eines Tauchers auf die Stirn tippen, meistens in voller Respekt, nur im Geiste. Auf einer anderen Insel hatten die Leute uns irgend ein Wort nachgeworfen. Jemand, der Englisch konnte, erklärte mir etwas beschämt, das bedeute Affe.
Eine Insel auf den Philippinen
Die Schweizer Marine im Dümpelgang
Mit Maribeth fuhren wir z.T. an die Wracks, die auch von Sangat aus erreichbar sind. Trotzdem besteht ein erheblicher Unterschied im Fühlen, wenn man nicht nach dem Frühstück erst eine Stunde oder deren zwei fahren muss, um an die Tauchstelle zu kommen. Und nach der Taucherei zurück dampfen, um das Mittagessen nicht zu verpassen. Die Maribeth fährt erstens friedlich wie ein Gemüsedampfer, was sie einst gewesen ist, und zweitens kann sie in der Nähe der Tauchstelle bleiben, bis man sich endlich damit abgefunden hat, in den Neoprenanzug zu steigen. Nach dem Tauchgang kann man sich gut ergehen lassen, was man neuerdings mit chill-out bezeichnet. Die deutsche Sprache gibt wohl nicht mehr genug her, um das Gefühl des Entspannens darzustellen. Chill-out! Das Wort ist wohl so eingedeutscht worden, dass mein Computer zwar die Deklination von Entspannen beanstandet, aber nicht chill-out.
Eine besondere Art des Tauchens kann einem wärmstens empfohlen werden, wobei wärmstens wörtlich gemeint ist. Barracuda Lake ist Bergseetauchen und Kneipp Kur in einem. Die Wassertemperaturen steigen von 29°C an der Oberfläche auf 40°C in etwa 25 Meter Tiefe. Im Mittelmeer ist es anders, da fängt man mit 26º C oben an und friert sich in 40 m Tiefe bei 7ºC die wichtigsten Körperteile ab. Dieser See wird wohl von unten durch einen Vulkan geheizt, der damit den untrüglichen Nachweis erbringt, dass unser Energieproblem nicht durch Verspargelung der Natur mit Windmühlen und auch nicht durch Pflastern von schönen Landschaften mit Sonnenkollektoren zu lösen ist. Wir sitzen auf einem Feuerball mit 12.000 km Durchmesser, der nur notdürftig an den ersten 100 erkaltet ist!
Der Weg zum Lake ist im wahrsten Sinne des Wortes steinig. Man parkt die Maribeth zwischen schroffen Vulkankegeln und fährt mit dem Dingi an die Jetty. Dort müssen die Geräte verladen werden, um auf den höher gelegenen See gebracht zu werden. Mit Verladen meint man hier, dass die Crew die Geräte umschnallt und auf den Berg trägt. Der See liegt bei gefühlten 100m Höhe. Mit einem umgeschnallten Tauchgerät wären es wohl 200 m.
Soll man in einem tropischen See, dem der Vulkan von unten Dunst gibt, mit Anzug tauchen? Absurd auf den ersten Blick, weil Taucheranzüge ja gegen Kälte schützen sollen. Ich glaube, bei 40º bis 45º C, was dieser See unten erreicht, wäre sogar eine Haube angebracht. Wir tauchten ungeschützt und erlebten einen Warmtauchtag.
Tauchen - so wie sonst?
Wie man unschwer erkennen kann, hat mir die Reise mit der Maribeth sehr gefallen. Vera hatte nicht nur die Küche aus der Schweiz auf die Insel verpflanzt, sondern noch einige andere Sitten. Zum Beispiel zahlte sie als guter Arbeitgeber den Lohn der Crew nur teilweise aus und behielt einen Teil. Böser Kapitalist? Nein, Vera wusste, dass die Kerle den Lohn beim ersten Landgang versaufen und verh…n. Daher zahlte sie, je nach Charakter, zwischen einem Drittel bis zwei Drittel aus. Den Rest bekam die Frau oder die älteste Tochter, bis auf einen Teil, mit dem Vera eine Rente finanzieren wollte. Die Sache erinnerte mich an den Lohntütenball, der früher jeden Freitag stieg. Ein ordentlicher deutscher Arbeiter bekam damals seinen Wochenlohn am Freitag in einer Tüte ausgezahlt. Wenn Frau oder Kinder nicht am Werkstor dieselbe ihm abgeluchst haben, konnten sie die Woche darauf trocken Brot essen, oder anschreiben lassen. Die bösen deutschen Banken haben dieser schönen deutschen Sitte den Garaus gemacht, indem sie die Gehaltskonten eingeführt haben. Auch wenn dies etwa im Jahre 1968 anfing, hat es mit dem Sittenverfall, den man den 68ern ankreidet, nichts zu tun. Eher die Gegner der 68er sind schuld am Untergang, nicht des Abendlandes, Berliner Kneipenlebens, von dem es sich aber schnell erholt hat. Früher waren meistens Arbeiter blau, und meistens Freitagnacht, jetzt sind alle gleichberechtigt, die Wochentage auch.
Yarramalong ist das Land der wilden Pferde