Straße der Ölsardinen

 

Wenn man wissen möchte, was nach einer oder zwei weiteren El Niño´s uns blüht, kann man an einem schönen Ort in den USA studieren. An diesem Ort, in Monterey, der einstigen Hauptstadt von Kalifornien. Sie und ihre Einwohner lebten von dem Segen des Meeres, der sich in Form von - nicht Ölsardinen, sondern normalen Sardinen in die Netze bewegte. Die Schwärme, die das kalte Meer, voll mit Nährstoffen aufzog, schienen so unermesslich wie die Heringsschwärme, die uns in der Schule unser Biolehrer beschrieb. Wir glaubten ihm ohne Weiteres, weil wir zuweilen vor unserem Haus aus Fischschwärmen so viele Tiere rausholen konnten, wie Platz im Eimer oder im Boot war. Manchmal sogar mehr … Da kamen Händler und kauften uns die Fische vom Boot weg und fuhren damit direkt zum Fischmarkt.

In Monterey Bay sprudelte es kräftig aus dem Meer, und man baute viele Fabriken zu deren Verarbeitung auf. Und zwar einem Ort, der durch einen Roman weltberühmt werden sollte, an der Cannery Row. „Straße der Ölsardinen“ heißt der Roman des John Steinbeck, des Nobelpreisträgers von 1962.

Zwischen den Jahren 1850 und 1950 lebten die Einwohner von Monterey gut von Fischfang. Man bedenke, dass 1849 der Gold Rush nur 100 km weiter statt gefunden hatte. Sardinen in Konkurrenz zu Gold - das kann sich doch sehen lassen!

Je mehr man fing, desto mehr schien das Meer herzugeben. So etwa 80 Jahre lang. Danach sah es aus, als würde das Meer dieses oder jenes Mal nicht so fruchtbar sein. Die Leute haben sich damit getröstet, dass es immer wieder Schwankungen gegeben hat. Woher die kamen, hat man später gelernt. So wie glücklich sein. Dass wir glücklich gewesen sind, wissen wir, wenn wir es nicht mehr sind. Anders als bei Menschen, die immer wieder versuchen können, noch einmal glücklich zu werden, geht es in der Natur nicht. Sie denkt nicht daran, ihre einstige Form wieder einzunehmen. Weg ist weg! Oder, es dauert Jahrhunderte, bis dort, wo die Sardinen aus dem Nichts quollen, wieder neue Schwärme durch´s Meer pflügen. Zu lange für einen Menschen. Jeder Mensch sollte in echt oder virtuell Monterey besuchen. Man kann dort die Wunder des Ozeans erleben, auch wenn nie mehr wie einst.

Heute gibt es keine Sardinen mehr, und Cannery Row war Anfang 1950 eine Geisterstraße. Mit der letzten Sardine, die 1964 gefangen wurde, ging diese Welt unter. Dabei ist Monterey Bay eines der artenreichsten Meeresgebiete der Welt. Unter der Bucht ist eine 3000 m tiefe Unterwasserschlucht, so groß wie etwa der Grand Canyon. Selbst die ist versiegt. Man stelle sich vor, wie Menschen die Bewohner eines der besten Fischreviere, die es mal gegeben hat, in Fischfutter verarbeitet und dieses an Hühner verfüttert hat, die kurze Zeit später gegrillt oder gekocht das Zeitliche segnen mussten.

Heute gibt es in Monterey keine Fischfabriken mehr, sondern ein riesiges Aquarium. Die Schwärme, die man dort trifft, sind Touristengruppen, die Ausschau nach Gestern halten. Manchmal auch nach Clint Eastwood, der in Carmel, um die Ecke, wohnt und sogar mal Major, also Bürgermeister war.

Die agile Fischmehlindustrie hat nach dem Zusammenbruch der Sardinenbestände in Monterey und Umgebung ihr Heil weiter südlich in Peru gesucht. Da wo sie hingegangen ist, befindet sich das Gebiet, wo man das Phänomen El Niño entdeckt hat. Und bei dessen Auftreten 1997/1998 knickte auch dort der Fischfang ein. Zum vorletzten Mal?

Die Sache hat schon etwas Periodisches an sich, aperiodisch sind nur die Eingriffe des Menschen. Je intelligenter wir uns vorkommen, desto blöder stehen wir nachher da. Noch niemals in der Geschichte wurden Systeme von unbekannter Kompliziertheit eingesetzt, um Fische im Weltmeer aufzuspüren. Heute werden große Tunfische von Luftaufklärern ausgemacht, die die Fangschiffe zu ihnen beordern. Diese fangen und frieren die großen Fische ein, nachdem sie ihnen die Schwänze und den Kopf abgehackt haben. Vom nächst erreichbaren Flughafen werden die Viecher nach Tokio geflogen, wo sie in einem Hightech Fischmarkt landen - als Eistorso. Fakt ist: Als Kind habe ich Tunfische gefangen wie oben im Bild. Mit einem Käscher, und ohne Ahnung. Heute müssen es schon Luftaufklärer und Sonarbojen sein. Aber: Fisch darf man bald mit Gold aufwiegen.

El Niño zeigt nur an, wie weit wir gekommen sind. Dass er in Peru entdeckt worden ist, hängt damit zusammen, dass dessen Küste die Veränderungen im marinen Leben sofort anzeigt. Das gilt auch für Chile. Steigt die Temperatur des Oberflächenwassers nur um einige Zehntel Grad höher, wird die „Thermokline“, das ist die Grenze des warmen Oberflächenwassers zur ewigen Kälte der Tiefe, nach unten gedrückt. Das geschah in 1997 um schlappe 80 m! Bei der großen Tiefe der Ozeane hört sich vielleicht nicht so schlimm an, aber doch, wenn man bedenkt, dass im Raum Australien-Indonesien die besagte Tiefe 200 m beträgt, und vor Peru 50 m! Das Meer steigt höher und wird wärmer.

Was geht mich das an? Viel, weil nur wenige Prozent des Weltmeers äußerst produktiv ist, und zwar dort, wo das Wasser aus der Tiefe nach oben gedrückt wird und Nährstoffe nach oben zirkuliert. Genau das geschieht vor Peru und Chile.

Unsere Windjammer von einst waren Teil dieses Nährstoffkreislaufs. Sie brachten Salpeter aus Chile, alias Guano, nach Europa. Dieses Zeug war nichts anderes als Vogelmist, und den haben die Seevögel ausgesondert, die die Fische aufessen. Fällt der Strom nach oben auch nur für Monate aus, sterben Millionen Vögel, und nach ihnen die, die von denen Leben.

Strafe der Ölsardinen

El Niño Index (Volumen des verlagerten warmen Wassers an der Oberfläche. Jede Einheit bedeutet 1 Billion Tonnen Wasser. Warmes Wasser bedeutet, dass der Meeresspiegel steigt. Und jeder Zentimeter davon bedeutet, dass die Trennschicht zwischen dem warmen und kalten Ozean um 2 m nach unten gedrückt wird. Deswegen hat man heute Angst, dass Hammerhaie die Antarktis unsicher machen werden.

Die Industrie hat zwar Monterey verlassen, weil die Sardinen abgeblieben sind, sie wurde aber dort kalt erwischt, wo sie Zuflucht gesucht hatte. Auch in den nicht weit entfernten San Francisco hat man aus der Konservenfabrik eine Vergnügungsstätte entwickelt. Felix Amerika, Du kannst Dich über die Fehler Deiner Vergangenheit amüsieren! Wie lange noch?

Wir können nicht damit rechnen, dass wir noch länger weiter ziehen können, weil die Erde rund ist. Zwar hat das große Fischsterben sich verlangsamt, aber nur deswegen, weil es keine Fische mehr gibt, die noch sterben könnten.

Bald wird auch die Vernichtung des Regenwalds ihr Ende finden. Warum wohl? El Niño soll auch daran schuld sein, weil bestimmte Gebiete plötzlich viel Regen abbekommen, während andere Länder buchstäblich vertrocknen. Stimmt! In Death Valley sah ich grüne Wiesen, in Nordaustralien Regen, im Outback Dürre und auf Borneo Regen in der Trockenzeit.

Damit die Missetäter nicht allein da stehen, hatte ich 1997/1998 einen eigenen Beitrag zum Klimaschutz geleistet. Etwa 8 Fernreisen im ersten Jahr, 10 im darauf folgenden. So habe ich El Niño´s Aufstieg und Fall auf allen fünf Kontinenten am eigenen Leib erlebt. Die Dramatik wurde mir aber erst bewusst, als ich meinen Kindern Bilder aus den Malediven, acht Jahre nach Null aufgenommen, vorführte. Trotz aller Bemühungen um die Motivsuche war es mir nicht gelungen, die Korallentrümmer aus dem Blickwinkel des Objektivs zu bannen. Womit auch ein Werturteil über dieses Gerät, das Objektiv, ausgesprochen wird: Man zielt auf einen Korallenstock voller Leben, zeichnet sein Bild auf, weil so schön, und klammert das Elend drumherum aus. Echt objektiv.

Auf der nächsten Seite meine Bilder aus diversen Reisen in diesem Zeitraum - rein subjektiv.