Wo Geschichte begann …

 

Unser Punkt der Verabredung zum Crewwechsel war exakt in der Mitte dieses Gebäudes, das einst als Bibliothek erbaut wurde. Es wurde zwischen 114 und 125 n. Chr. von Tiberius Iulius Aquila Polemaeanus zu Ehren seines Vaters Tiberius Iulius Celsus Polemaeanus errichtet. Vater und Sohn gehörten zur römischen Oberschicht, dem Senatorenstand, und hatten das Amt des Konsuls bekleidet. Im Unterbau der Bibliothek befand sich die Grabkammer des Celsus, wo dieser in einem Marmorsarkophag bestattet war.

Was hat das mit Segeln zu tun? Eigentlich gar nichts - oder viel. Die Römer waren eine Seemacht, wie man es aus Asterix kennt. Sie aber waren nicht die Erbauer von Ephesus. Auch nicht die Griechen, wie der Anblick der heutigen Ruinen vermuten lässt. Sowohl der Name Ephesos als auch die ursprüngliche Besiedlung stammen aus vorgriechischer Zeit. Die ältesten Zeugnisse für die Anwesenheit von Menschen im Bereich der späteren Stadt Ephesos gehen bis ins Spätchalkolithikum um 5000 v. Chr. zurück. Die Siedlung ist also etwa 7000 Jahre alt. Sie ist übrigens nicht gestorben, die Ruinen lügen etwas. Ephesus ist hier untergegangen, weil der Hafen, in dem wir anlegen wollten, in der byzantinischen Zeit versandet ist. Die Stadt wurde im Jahr 1090 durch die Selçuken erobert, ein neues Volk in der Geschichte Vorderasiens. Sie waren Türken und hatten gerade 20 Jahre zuvor mit der Demontage von Byzanz angefangen. Davor gab es keine Türken in der Türkei, aber viele andere Völker, die die Gegend um Ephesos beherrschten.

Sagen wir mal, zum Beispiel Hethiter. Sie waren ein großes Volk und eine Großmacht der Antike. Die Völker, die die minoischen und mykenischen Kulturen entwickelten, haben auch hier ihre Spuren hinterlassen. Dann kamen die ionischen Griechen, so etwa 1000 v.Chr. Da lebten aber bereits die Lyder und Karer in der Gegend, von denen besonders der lydische König Kroisos („Krösus“) seine Spuren hinterlassen hat. Er verdankte seinen sagenhaften Reichtum seinem angeblichen Vorgänger Midas, der alles, was er anfasste, in Gold verwandelte. Irgend etwas mit der Story scheint aber nicht zu stimmen, weil Midas Sohn von Gordios, dem König von Phrygien, und Kybele, einer griechischen Göttin war. Und die Sache mit dem Reichtum war ebenfalls ziemlich fraglich, zumindest für eine bestimmte Zeitperiode, weil … nach einer Hungersnot in Lydien Teile der Bevölkerung auswanderten und schließlich in Norditalien sesshaft wurden und das Volk der Etrusker bildeten. Diese Theorie war jahrhundertelang umstritten. Genetische Untersuchungen durch Alberto Piazza von der Universität Turin stützen die Theorie, dass zumindest ein Teil des etruskischen Volkes seine Wurzeln in Lydien hatte, steht in Wikipedia geschrieben.

Wie dem auch sei, wenn man alle Völker, die hier ihr Wesen oder Unwesen getrieben haben, angemessen erwähnt, würde diese Seite kilometer lang. Daher zurück zu den heutigen Herrschern. Sie krabbeln überall auf der Welt auf Trümmern herum auf der Suche nach einem Fotomotiv.

Ephesus zu Efes - kleiner Unterschied?

In der römischen Zeit war Ephesus eine der größten Städte des Reichs und soll um die 200.000 Einwohner gehabt haben. Es war ein wichtiges Machtzentrum. Bald wurden aber die römischen, pardon, griechischen, Götter, allen voran Artemis, deren Tempel eines der Sieben Weltwunder war, vertrieben von einer neuen Religion, dem Christentum. Hier soll nicht nur Paulus gelebt haben, sondern auch Johannes. Die wichtigste christliche Person war naturgemäß die Mutter Maria. Ihr ist eine Kirche in Ephesus gewidmet, wo das 3. ökumenische Konzil stattgefunden haben soll. Ökumenisch deshalb, weil es wie weitere sechs von allen christlichen Kirchen, pardon, orthodoxen, katholischen und evangelischen Kirchen anerkannt werden. (Es gibt noch ein paar andere christliche Kirchen, die aber dazu nix sagen.) Als ich mir die Liste der Meetings angeguckt habe, wurde mir etwas schwindelig: Am Ort des ersten und siebten Konzils (Nicäa 325 und 787), war mein Vater Soldat gewesen und ich habe dort gefischt. Drei Konzilien haben keine zehn Kilometer von meinem Geburtshaus stattgefunden (Konstantinopel 381, 553 und 680). Und die Location für das vierte Event, Chalcedon, ist fast fußläufig erreichbar. In meiner Schulzeit fuhr ich des öfteren mit dem Fahrrad dahin, einmal sogar bin ich hingeritten. (Übrigens ist Chalcedon der Ort, wo sich die Ostkirche abgespalten hat.) Und nun saß ich am Austragungsort des 3. Konzils.

Irgendwie habe ich verstanden, warum die christlichen Kirchen den Verlust an Boden in der Türkei nicht verwinden können. Sehr viel von der Frühgeschichte des Christentums hat sich hier abgespielt, oder nur einige hundert Kilometer östlich in Kappadokien, wo in frühchristlicher Zeit 360 Kirchen in den Berg gehauen worden sind. Übrig geblieben ist aber das östliche Zentrum der Christenheit, wie es die griechisch-orthodoxe Kirche bezeichnet hat, in Istanbul, Ortsteil Fener. Dort sitzt der Patriarch der Griechen. Unweit von seinem Amtssitz steht die einzige gusseiserne Kirche der Welt, der (Gründungs)Sitz der bulgarisch-orthodoxen Kirche.

Dieser Ort, Ephesus, hat von den heidnischen Göttern der Zeit vor den Griechen bis zu dem Gott der Muslime mehrere Generationen hoher Herrschaften im Himmel gesehen. Die lustigsten davon waren die griechischen Götter, deren Wohnsitz, Olymp, die Vorlage für manche Orgie geliefert hat. Die römischen, die übrigens jeweils ein Doppelgänger von den griechischen waren, haben zwar reichlich hedonistischer gelebt, aber - wer will denn Kopien glauben, wenn die Originale auch noch lustiger waren?

Übrigens, in Ephesus hat die Reislamisierung der Türkei eine winzige Spur hinterlassen, die nur Leute in meinem Alter entdecken können. Als ich durch die Stadt schlenderte, suchte ich nach einem Haus, zu dem früher ein Schild mit der Aufschrift „Freudenhaus“ hinwies.


Nachdem mein Vater dieses Foto geschossen hatte, hatte er gesagt „Guckt mal, ob die dahinten eine vergessen haben…“ woraufhin meine Mutter ihn fürchterlich angegangen war. Und heute? Dort steht eine Erklärung, dass diese Stelle früher fälschlicherweise als … bezeichnet wurde. Ach, nee! Man soll nur bei Hermann Mostar lesen, wie die Sitten damals waren. Seine Version ist angesichts der hier rechts abgebildeten Räumlichkeit plausibler. In Ephesus war man auf Geselligkeit aus - und das in allen Lebenslagen!

Von der ersten Siedlung bis zum Ende der Hafenstadt muss es etwa 6.000 Jahre gedauert haben. Dann war der Hafen weg, weil der Fluss es vorzog, sein Geschiebe nicht noch weiter ins Meer zu befördern. Die Stadt ist mitgewandert. Selçuk und Kuşadası sind ihre Erben. Was mich aber fasziniert, ist die einstige Harmonie zwischen Mensch und Natur. Obwohl hier eine der größten Städte der Antike stand, von hier bis zum Mittelmeer etwa seit 9.000 Jahren Menschen gesiedelt haben, ist der letzte Zufluchtsort des anatolischen Leoparden ganz in der Nähe.




 

Nicht nur Paulus war hier …