Ein schöner Ritt
Samos haben wir mittags bei freundlichem Gegenwind verlassen. Der aufkommende Schwell erklärte uns schnell, warum die Beamten mit unserer Abfertigung überfordert waren. Obwohl die Türkei nur wenige Meilen entfernt ist, und von Seglern nur so übervölkert, kommt nach Vathi etwa jeder Hundertste, weil der Hafen zum Norden hin ziemlich offen ist. Schutz bei Meltemi, bei dem schönsten, aber ungeschützt unangenehmsten Wind bietet nur die kleine Mole, da legt aber auch die Fähre an. Die anderen 99% fahren auf die Südseite z.B. nach Pythagoreio, dessen Name an einen der berühmtesten Bürger von Samos erinnert, an den mit dem Satz. Aber Samos hat noch mehr Bürger zu bieten. So wurde der Philosoph Epikur auf Samos geboren. Der Erfinder der fabelhaftesten Stories, Äsop, ist ebenfalls ein Sohn dieser Insel. Hingegen haben Herodot, Aristarchos von Samos und der große Bildhauer Theodorus von Samos „nur“ hier gelebt.
Noch hatten wir keine Vorstellung über den Wind, der uns erwartete. Halbe Stunde motorn, und wir waren draußen. Die Fähre fegte uns nach und düste ab in Richtung Mykonos. Unsere Fahrt ähnelte eher einem Dümpelgang. Wir guckten wehmütig der Fähre nach, weil sie viel früher Mykonos erreichen würde als wir. Dafür konnten die an Bord der Fähre den schönen Anblick der grünen Insel nicht so lange genießen wie wir. Samos sieht im Frühjahr einfach traumhaft aus.
Als wir Samos langsam hinter uns gebracht hatten und Ikaria im Visier, wurde der Wind fast minütlich heftiger. Kein Wunder, kaum anderswo in der Ägäis hat der Wind einen größeren „fetch“, das ist die freie Strecke, über die der Wind ungehindert rasen darf. Der Nordwind, eher „Poyraz“ wie er in der Türkei heißt, und aus Nordost kommt, kann vom Norden der Ägäis (Türkei, Griechenland) hat etwa 400 km freie Bahn. Er baut aber nicht nur sich selbst auf, sondern eine mächtige Welle.
Wir hatten uns vorgenommen, die so etwa 80 Seemeilen nach Mykonos (Luftlinie) in einem Rutsch durchzusegeln. Das sind etwa 10 Stunden bei flotter Fahrt und ohne Kreuzen. Wenn man die Auf- und Abfahrten auf den Wellenbergen mitrechnet, kommt man auf 130 Sm, natürlich nicht ernst gemeint. Aber Kreuzen kann die Strecke bis zum Dreifachen verlängern. Diese Gefahr bestand allerdings nicht, weil wir die Strecke etwa so gelegt hatten, dass man nicht kreuzen musste. Am Ende waren es 92 bis 99 sm, je nachdem wie man rechnet.
Was wir nicht so richtig eingerechnet hatten, war die Schaukelei. Das Boot lag richtig auf der Backe und stöhnte bei jedem Brecher. Unsere Hoffnung war, dass er abends einschlafen würde. Das machen die Seewinde häufig. So legte ich mich schlafen und wollte erst aufwachen, wenn es Abendessen gibt. Nach 30 Meilen steuern hatte ich den Schlaf echt verdient. Mich hatte ein Ereignis schlimm geärgert. Nach langer Zeit hatte sich an meiner Angel ein Fisch gemeldet. Den habe ich mit Mühe herangezogen, weil Sven nicht das Boot stoppen wollte. Wäre auch ziemlich unmöglich gewesen. Leider erwies sich der Fisch als ein Plastikbeutel. Ganz und gar nicht amüsiert, warf ich die Angel wieder aus. Es ist nicht vergeblich, bei stürmischem Wind angeln zu wollen, einst hatte ich auf der Ostsee bei 8 Bft. den Fang meines Lebens gemacht. Warum nicht hier? Dann - ein richtiger Anbiss. Leider waren wir dabei, die Segel zu ordnen und konnten die Fahrt nicht stoppen. Diesmal war der Fisch echt, aber leider weg mit 20 m Leine.
In meinem Bett musste ich mich aber von Stunde zu Stunde immer komischer gegen Abrutschen sichern, weil die Bewegungen immer hässlicher wurden. Als die Sonne unterging, wurde ich geweckt. Entweder alle Segel runter nehmen oder in den nächsten Hafen. Die Welle hatte mittlerweile drei Meter überschritten. Wir machten volle Fahrt mit zwei Reffs im Großsegel - hätten bestimmt noch mehr eingelegt, wären da welche - und praktisch eingerollter Fock. Erst ma´ anleinen und weiter sehen.
Ich fegte durch die Nacht im Lichterschein der Brecher. Das hat die Natur gut eingerichtet. Die Wellenkämme werden weiß, weil viele kleine Tierchen leuchten. Die Segelei glich eher einer wilden Achterbahnfahrt. Mir machte es nichts mehr aus, immer wieder eine Husche abzubekommen. Die Wellen brachen mittlerweile ständig über das Schiff hinweg. Mein Sitzfleisch bekam eine haltbare Konsistenz, weil kräftig abgekühlt. Meine Segelhose hatte es sich anders überlegt und wollte nicht mehr allzu dicht sein. Es tropfte langsam meine Jeans entlang. Da aber die Segelhose wenigstens den Wind abhält, kann man die Sache ertragen. Wann hört der verdammte Wind auf? Er dachte aber nicht daran und legte noch einen Zahn zu, als wir uns Mykonos näherten.
Das letzte Stück vor Mykonos mussten wir auf der Südseite von Tinos segeln, was praktisch bedeutete, dass man in der Düse zwischen zwei Inseln fährt. Der Wind steigert sich, und die Welle legt noch einen Zahn drauf. Als wir Faros von Mykonos in Backbord hatten, drehten wir in den Wind, um das Großsegel zu entfernen. Das dauerte eine Weile. Ich fühlte mich unwohl, mit recht hoher Geschwindigkeit in eine dunkle Insel hinein zu fahren, ohne zu wissen, wo wir überhaupt landen.
Endlich, geschafft. Ohne Großsegel und mit einem Minimum an Fock fuhr das Schiff Rumpfgeschwindigkeit vor dem Wind. Hafen von Mykonos? Wo ist er denn? Jedenfalls nicht da, wo die vielen Lichter der Stadt ihn vermuten ließen. Dieser Hafen ist das beste Beispiel für eine EU-Investitionsruine. Dort findet man kaum Schiffe, vor allem weder Wasser noch Strom. Den Hafeneingang konnte man nicht einmal erahnen, weil die Steuerbordmarkierung ausgefallen war und die Backbordmarkierung von der Fähre verdeckt, die davor ankerte. Zum Glück hatte Sven diesen Hafen bereits vor drei Jahren angesteuert, als das Licht bereits ausgefallen war. Niemand fühlte sich dafür verantwortlich, die Lichtzeichen der Insel zu reparieren. Drei Jahre lang!
Mit Mühe in den Hafen gefunden, mussten wir bei seitlichen Winden über 7 Bft - im Hafen (!) - festmachen. Das hat noch etwas Mühe gekostet, war aber kein Kunststück, weil der Hafen - wie gesagt - leer war. Der letzte Anleger, ein Bier, und endlich Ruhe nach etwa 15 Stunden Achterbahnfahrt. Relative Ruhe, weil die ganze Nacht der Wind in der Takelage heulte. Obwohl wir im Hafen lagen, schossen Windwirbel mit hoher Geschwindigkeit rechts und links vorbei. Trotzdem richtig kuschelig die Nacht, weil die nassen Klamotten ausgezogen waren.