Anreisewege
Viel Wasser ist den Mississipi herunter geflossen, seitdem die Schwarzen das Lied Ol´man River zum ersten Mal gesungen haben, manchmal auch rauf (bei einem Erdbeben im Jahre 1811), aber deren Rechte müssen immer noch mit Staatsgewalt durchgesetzt werden. Immerhin, Amerika kann das. Nur bei den Ureinwohnern geht das leider nicht einmal halb so gut, weil man sie rechtzeitig ausgerottet hat. Immerhin tragen tolle Orte und Landschaften den Namen der Stämme, die man beseitigt hat. Es ist so wie mit Neubauvierteln: Man rodet das Land und benennt nachher die Straßen nach den toten Bäumen.
Amerikas Heldenstätten, an denen man vorbei fährt, gleichen nicht unseren. Bei uns würde keiner auf die Idee kommen, die Destille von Wilhelm oder Curt Mast (Jägermeister - Der klare Anfang vom trüben Ende) zum Nationaldenkmal zu erklären. Oder jemanden, der für die Sklaverei kämpft, zum Nationalhelden. Darum ging es in der Schlacht um die Festung Alamo, wo Davy Crockett angeblich im Kampf gefallen ist. So will es die Legende. Die Texaner, die Alamo verteidigten, wollten auf dem Boden von Mexiko die Sklaverei einführen, und General Santa Anna sollte dies verhindern. Heute gilt Santa Anna als Bösewicht, Davy Crockett zusammen mit Jim Bowie als großer Held. Gemach, gemach! Davy Crockett war kein Unmensch, vielleicht eher das Gegenteil davon. Er wurde schon einmal abgewählt, als Politiker, weil er für eine friedliche Koexistenz mit Indianers ausgesprochen hatte.
Und Jim Bowie? In Kentucky bin ich häufig auf seine Spuren gestoßen. Der Überlieferung nach soll er Alligatoren mit dem Lasso gefangen, Mustangs gezähmt und Bären gefangen haben. Obwohl die Vereinigten Staaten bereits sieben Jahre zuvor die Sklaverei offiziell aufgehoben hatten, stieg Jim 1815 mit seinem Bruder Rezin jr. Bowie in den Sklavenhandel ein. Sie kauften illegal vom Piraten Jean Lafitte Sklaven und verkauften sie in St. Landry Parish weiter. Als sie 65.000 $ verdient hatten, beendeten sie den Sklavenhandel und kümmerten sich fortan um Grundstückspekulationen. Ein Wunder, dass sich die se Jungs für die Sklaverei in Mexiko so stark gemacht haben?
Nun! Jim Bowie machte sich einen Ruf als jemand, der aus einem Wundermaterial, soll ein echter Meteorit gewesen sein, ein Messer schmiedete, das einen etwa so unverwundbar macht wie Superman. Kryptonit ausgenommen. Mit diesem Messer geriet er in einen Kampf in Natchez, Mississipi, in einen furiosen Kampf, der als „Sandbarkampf“ bekannt wurde. Dabei starben mehrere Leute und Jim Bowie wurde verletzt. Die Auseinandersetzung hatte ihren Ursprung in einem erfolglosen Duell zwischen zwei Leuten, deren Schüsse nicht getroffen hatten. Pech, eben! Oder Stümperei. Ein Zuschauer des Duells schoss daraufhin und traf einen Zuschauer. Im Anschluss schoss Bowie auf den Schützen, verfehlte ihn aber. Auch Pech? Der ebenfalls anwesende Norris Wright schoss zur Begleichung alter Rechnungen auf Bowie und traf ihn diesmal im Bauchbereich. Trotz seiner Verletzung griff Bowie Wright mit seinem Messer an. Mehrere andere Anwesende kamen Wright mit ihren Messern zu Hilfe, und es kam zu einem Messerkampf, den Bowie durch die Größe seines Messers gewinnen konnte. Er verletzte und tötete einige seiner Gegner. Dieser Kampf verfestigte im Süden Bowies Ruf als hervorragender Messerkämpfer, und bald wollten viele Männer beim Schmied ein Messer im Stil des Bowiemessers angefertigt haben. Bis heute hat das Bowie-Messer bei Kennern nichts an seiner Magie eingebüßt, obwohl wir alle einen Kampf mit Messern höchstens aus Wiederholungen alter Western kennen.
Wie man hierher kommt …
… ich würde sagen, auf einem elendigen Weg! Natürlich könnte man sich in einen Flieger setzen und einfach nach Memphis fliegen. Eine angemessene Pilgerfahrt wäre dies allerdings nicht. Wenn man den Weg nachahmen möchte, den der King genommen hat, muss man einfach durch den Dreck gehen. Papa Vernon war einst Landarbeiter gewesen, Mama Gladys Akkordarbeiterin in einer Textilfabrik. Vater Presley hat schon mal wegen Scheckbetrugs im Knast gesessen, war aber später auf Bewährung gesetzt worden. Der Umzug von Tupelo nach Memphis erfolgte nicht aus musikalischen Gründen, sondern aus fiskalischen. Und die Stadt Tupelo ahnte nicht, dass ihr berühmtester Sohn wegzog. War ja noch nicht berühmt …
Dieser Umzug endete in einer Katastrofe. Man hatte ein ärmliches Holzhaus gegen ein feuchtes, angeschimmeltes Zimmer getauscht. Die Armut hatte aber auch ihr Gutes. So hatte Klein Elvis zum 10. Geburtstag nicht das gewünschte Fahrrad und Luftdruckgewehr bekommen, sondern eine Gitarre. Mit der Gitarre konnte er aber besser umgehen als mit der Knarre. Trotzdem wurde er zuerst Elektriker und später Lastwagenfahrer. Spätestens beim Schreiben dieser Zeilen habe ich begriffen, warum ich kein großer Musiker geworden bin. Mit zehn Jahren bekam ich ein Fahrrad, Jahre später das Luftdruckgewehr. Wie soll man denn die Musikwelt umwerfen?
Meine Anreise nach Memphis vollzog sich zwar nicht so ärmlich wie bei Familie Presley, und ich musste nicht in einem Zimmer zu 11 $ Miete wohnen, im Monat; aber dennoch habe ich viel Armut gesehen. Kennt jemand einen Ort, wo es keine Butter in den Geschäften gibt? Oder eine Stadt, deren Bürger Häuser abreißen, um bestehende zu flicken? Das Elend fing schon in Dayton an, wo das Zentrum zwar nicht so schlimm aussah wie Nagasaki nach dem Abwurf der Bombe durch Bockscar, ein Flugzeug im dortigen Luftwaffenmuseum, sozialer Friede sieht aber anders aus.
Die Fahrt von Dayton, Ohio, nach Memphis, Tennessee, führt an vielen Orten und Städten vorbei, die auch in Europa ein Begriff sind. Kentucky (Whiskey), Tennessee (Waltz), Cincinnati (C. Kid alias Steve McQueen), Tupelo (National Battlefield, Musik und Tornados), Nashville (Music City USA), Little Rock (Rassenunruhen). Gerade Little Rock habe ich gut im Gedächtnis behalten, weil irgend wann zu meiner Kindheit der Schulbesuch von neun schwarzen Kindern nur unter Einsatz einer Luftlandedivision mit 1.000 Mann gesichert werden konnte. Vorher, am Abend des 2. September 1957 hatte Orval Faubus, Gouverneur von Arkansas, vor der Little Rock Central High School Teile der ihm (loyal) unterstehenden Nationalgarde aufmarschieren lassen, um neun schwarzen Schülern den Zutritt zur Schule zum Schulbeginn am folgenden Tag zu verweigern. Nu musste der US-Präsident eine Luftlandedivision in Marsch, Pardon, in den Flieger, setzen, um die Kinder in die Schule zu bringen. In edlen Western sieht das anders aus. Die bösen Roten greifen die armen Siedler an, die in letzter Minute durch die Kavallerie gerettet werden. Die Bösen werden abgeknallt. Dass der gute Ike, Präsident Eisenhower, die fliegende Kavallerie einsetzen musste, um die Nationalgarde hops zu nehmen, könnte nur eine Erfindung von bösen Kommunisten sein. Leider ist die Story zu 100% wahr.
Oder eher aus Neukölln? Nach heutigen Maßstäben gemessen würde Jim Bowie eher bei Kriminalstatistiken (Messerstecher, HWG-Person, Trunksüchtiger oder notorischer Gesetzesbrecher) erscheinen. Wenn der US-Präsident George W. Bush seine Taten so auslegen würde, wie er bei Typen mit Turban und Bart zu tun pflegt, würde Jim in Guantanamo landen, würde dieser Ort Mexiko gehören. Denn Bowie versuchte den mexikanischen Staat zu zersetzen, indem er diesem Texas zu entreißen versuchte. Was ihm schließlich auch gelungen ist, posthum! Texas, der größte Staat der USA, war bis dahin Mexiko gewesen. Vielleicht bald wieder… Dass ich bei dieser Reise nicht gleich bis Alamo gefahren bin, wo Davy Crockett und Jim Bowie ihr Ende gefunden haben, ist zu einer modernen Technik namens GPS zu verdanken. Ich hatte ein Mietauto genommen. das ich beliebig weit hätte fahren dürfen. Auf dem Vertrag stand aber ganz plötzlich, dass bestimmte Staaten, und damit auch Texas, ausgeschlossen wären. Nach dem Tarif, der im Kleingedruckten stand, hätte ich für die Reise so etwa den Neuwert des Autos ersetzen müssen. Sonst hätte meine Reise erst in Alamo, San Antonio, ihr Ende gefunden. Die Vermieter können heute ihre Autos per Satellit orten. Au backe!
Es lohnt sich, diese Fahrt nicht geradeaus zu führen, sondern sich zuweilen zu verfahren. Man erlebt nicht nur Südstaatenflair, sondern auch mal High tech, z.B. in Huntsville, wo Werner von Braun die Mondlandung vorbereitet hat. Oder man erlebt Orte, die Musikgeschichte geschrieben haben, so Nashville, oder die einen besonderen Klang in der Musikgeschichte haben wie Chattanooga. „Chattanooga Choo Choo“ von Glenn Miller aus dem Jahr 1941 bekam 1942 die erste Goldene Schallplatte der Musikgeschichte. Man stelle sich vor, dass sich eine Schallplatte im Jahre 1941 eine Million mal verkauft!
Womit wir bei Elvis wären. Berühmt geworden in einer Zeit, als nicht einmal ein Prozent der Weltbevölkerung ein Abspielgerät besaß, ist es dem Mann gelungen, etwa 1 Milliarde Schallplatten zu verkaufen. Noch im Jahr 2007 wäre sein Antrag auf Hartz IV abgelehnt worden, weil er mit 49 Mio Dollar die Liste der toten Großverdiener anführt - 30 Jahre nach seinem Tod!
Yarramalong ist das Land der wilden Pferde