Anreisewege

 

Noch vor Rockhampton passiert man eine wunderbare Kleinstadt, der man nicht ansieht, dass sie ein wichtige Rolle in der Weltgeschichte gespielt hat: Gympie. Durch sie ist der Cowboyhut nach Amerika gekommen. Nicht direkt, aber durch die Goldgräber. Hier wurde 1867 Gold gefunden, als in Kalifornien und Cariboo sowie sonst wo in British Columbia der Gold Rush zu Ende ging. Die Goldgräber kamen nach Gympie und gingen wieder heim. Hatten aber schönere Hüte als vorher.












Gympie sieht man heute nicht an, wie reich sie man gewesen ist. Ihr Heimatmuseum zeigt, wie arm sie vorher war. Dort sind auch die Helden der ANZAC-Armee (Australia - New Zealand) verewigt, die 1915 bei den Dardanellen ins Feuer geschickt und massakriert wurden. Beim Anblick der Heldentafeln sagten meine Töchter „Oh, die Armen!“. Ich musste denen erklären, dass mein Großpapa auf der anderen Seite gestanden hatte, und dass sie somit diese Reise nie antreten würden, hätten die ANZACs ihr Ziel erreicht. Dort wo sie gelandet sind, erinnert ein Denkmal an sie und ANZAC Walk.

Wie man hierher kommt …

… sehr mühsam! Australien, auch die Westseite, die 4.000 km westlicher liegt, war bis zum Jungfernflug von Boeing 707 jenseits von Gut und Böse gewesen. Selbst im Zeitalter des Jumbojets muss man sich 24 Stunden und mehr im Flieger und auf Flughäfen gedulden. Erst die neue Airbus A 480 wird die Menschen schneller hin bringen. Na, ja, so schnell wieder nicht. Es sind 18.000 km zu fliegen. Und dann ist man immer noch nicht in den Tropen. Die meisten Flieger drehen eine Schleife über Bangkok, setzen einen in Singapur ab, wo man einige Stunden verbringen muss. Dann drückt man noch neun Stunden den Sessel, bevor man sich ins Auto setzt. Oder lieber nicht.

Wer in Australien ankommt, weiß vielleicht, wie spät es ist, erzählt ja der Pilot, aber garantiert nicht, wann es ist. Dort ist ein halbes Jahr früher oder später, wie man´s nimmt, dazu 10 Stunden früher. Die besten Adressen für das Great Barrier Reef sind Brisbane (Foto D_O_S) oder Cairns (Foto Michael Dawes, MLL). Die Stadt Brisbane befindet sich etwas südlicher als die Tropen und ist eine echte Großstadt. Hingegen weiß man bei Cairns nicht, worum es sich handelt. Nach der Meinung der südlichen Aussies, das sind die aus Sydney oder Melbourne, sind deren Nordlichter ohnehin „Tropos“, d.h. Leute, die im tropischen Dschumm leben, also reichlich plemm plemm sind. Man munkelt, dass deren berühmtestes Bier deswegen XXXX heißt, weil die Kerle nicht einmal wissen, wie man beer schreibt. Dass die Nord-Süd-Relation vertauscht ist, liegt an der Geografie. Bei uns kommen sich die Nordlichter intelligenter vor.

Wie dem auch sei, bei der Ankunft befindet man sich in einem Zustand, den beklagenswert zu nennen, leicht geprahlt ist. Deswegen sollte man sich, will man sich ans Steuer setzen, lieber zum Jahrmarkt begeben und einen Autoscooter mieten. So um 23.00 Uhr ist es egal, wie man sich fühlt. Die Aussies können zwar eine Menge vertragen, aber um diese Zeit ist es egal, wie die Uhr steht und was der Kalender anzeigt. Noch´ne Runde, bitte!

Angenommen, man ist in Brisbane gelandet, fährt man zunächst eine wunderbar breite Autobahn, die immer mehr Spuren verliert, je weiter man kommt. Irgend wann sind es zwei Spuren, was in Australien noch toll ist, denn eine Spur, die man verlassen muss, wenn ein Road-Train kommt, ist häufiger. Man muss so etwa 500 km nördlich fahren, bis die Stadt Gladstone erreicht ist. Leider ist man noch nicht in den Tropen, die erst nördlich von Rockhampton anfangen. Nochmal 150 Kilometer! Endlich ist man beim Wendekreis des Steinbocks (Capricorn). Dann kann man einen Katamaran besteigen, der einen nach Heron Island bringt. Die Insel gehört zu der Gruppe Capricorn Islands (Wunder?) und liegt fast exakt auf dem südlichen Wendekreis. Berühmt ist sie nicht deswegen, sondern seit 1957 als sie eine Hauptrolle in dem Science Fiction Film von Arthur Clarke spielte (The Deep Range). Darin kommt der berühmte Krake vor, der Unheil bringt. Noch bekannter wurde die Insel durch ihre selten sichtbaren Bewohner, die grünen Seeschildkröten. Um sie zu sehen, muss man entweder nachts auf dem Sand kampieren, wo sie laichen kommen, oder tauchen, wo sie wohl weltweit die einzige Schildkrötenpopulation bilden, die mit Nummernschildern versehen ist. Auf der Insel leben nämlich Forscher, die deren Leben untersuchen. Einer der ersten, die sich für die Viecher interessiert hatten, hörte auf den Namen Jacques. Cousteau hat hier den berühmten Film gedreht, bei dem die ausschlüpfenden Schildkröten von Möwen und so massakriert werden.

Was der liebe Cousteau nicht verraten hat, ist das Resort auf der Insel. Da kommen Leute zur Schildkrötensaison hin und warten auf das Massaker. So wie im Film spielt sich das aber nicht ab. Zum einen sind die Schildkröten nicht so doof, dass sie ausschlüpfen, wenn gerade die ganze Vogelmeute auf sie wartet. Zum anderen sind sie nicht allein. Das Ausschlüpfen bei so viel Licht, dass man filmen kann, ist ein Unfall. Die Tiere schlüpfen nämlich gerne nachts aus. Wieso aber die vielen Szenen bei Tage? Das hängt mit dem Sand zusammen, unter dem die Tiere von der Sonne ausgebrütet werden. Dieser weist bei Tage eine zunehmende Temperatur auf, das aber nur bei Tage und von unten nach oben gefühlt. Da halten die Schildkrötenbabies still. Erst wenn beim Aufsteigen kein Temperaturunterschied zu fühlen ist, verlassen sie den Sand. Ja! Wenn das Leben so einfach wäre! An wolkigen Tagen ist der Sand zwar wärmer, aber die Tiere nehmen nur den Unterschied wahr.

Früher, lang lang ist´s her, wurden die Schildkröten wohl Opfer der Vögel an solchen Tagen. Und deren Zahl ist nicht gerade klein. Zu bestimmten Zeiten bevölkern etwa 10.000 Reiher die 14 ha große Insel. Dazu kommen unzählige Möwen, die frecher sind als Oskar. Dreht man sich beim Essen um, hat man ein Steak besessen. Alle, alle düsen zu den Schildkröten und kreischen mächtig während der Luftangriffe. Das sah man bei Cousteau! Aber es steht eine Armee von Touristen mit Besenstiel bei Fuß, um die Vögel zu verjagen. Tauchen an einer Stelle Babyschildkröten aus dem Sand auf, bilden die Touris ein Spalier und hacken auf den Vögeln herum. Massaker!

Die Filmerei wird zwar mit einem Gerät namens Objektiv betrieben, aber objektiv bleibt das Ergebnis selten. So habe ich in Gympie nur traurige Häuser gesehen und eins davon verschönbessert. Die Welt will ja keine Wahrheit erfahren, sondern Schönes sehen.

Wenn man Heron Island verlassen hat, kommt man erst richtig in die Tropen. Irgendwo hier in der Nähe fängt der Dingo Fence an, eines der größten von Menschen geschaffenen Artefakte, ein Zaun. Er soll etwa 10.000 km lang sein und heißt hier Wild Dog Barrier Fence. Das tropische Australien (Staat Queensland) unterhält 2.500 km davon. Er soll die Dingos davon abhalten, in den Süden einzuwandern. Dummerweise können die einheimischen Tiere auch nicht durch.

Von Zäunen kriegt man in Australien bald genug. Nicht dass man einen Zaun von 10.000 km Länge übertrieben fände. Ist doch alltäglich, oder? Nein, überall wo Rinder grasen dürfen, ist das Land eingezäunt. Den größten Teil des Zauns sieht man von der Straße aus nicht, sondern nur dort, wo eine Farm über die Straße geht. An diesen Stellen reicht der Stacheldraht bis an den Asphalt, den ein Gitter durchbricht, über das die Rinder nicht laufen können. Anders beim Reiten. So alle 30 Minuten kommt man an einen Zaun, in dem man eine Öffnung sucht. Die Tore sind zwar nicht sehr selten, aber doch lästig. Da habe ich verstanden, warum jedes Leatherman-Tool eine Zange enthält, mit der man Stacheldraht schneiden kann.

Innerhalb des Zauns laufen die Viecher frei herum, was das Auto fahren richtig prickelnd gestaltet. Man überfährt nicht mehr Kängurus, für die der roo bar ausreicht. Das ist keine Bar, wo es prickelnde Drinks gibt, sondern ein Fanggitter vor dem Auto, gegen kangaroos. Optimisten nennen das Zeug „bull bar“, das zwar eine Begegnung mit dem gemeinten Tier heil überstehen würde, aber nicht das Auto, das dahinter hängt. Deswegen überfährt man lieber die Ureinwohner, die nachts in großen Scharen die Straße bevölkern. Morgens früh liegen viele der armen Tiere tot herum, bis die Gesundheitspolizei anrückt, vielmehr anfliegt. Das sind große Krähenschwärme oder Kites, wie man die Gabelweihen und auch Milane hier nennt.

Ich wäre lieber einem Thermometerhuhn (malleefowl) begegnet. Es lebt aber wo anders. Das Tier zeichnet sich dadurch aus, dass es zu faul ist, selber zu brüten. Oder vielmehr zu unruhig, um auf den Eiern zu sitzen. Die Thermometerhenne ist auch zu faul, um ein Nest zu bauen. Das macht ihr Ehegatte dafür umso aufwändiger. Der kratzt mehrere Tonnen Laub auf einen Haufen zusammen, seinen Bruthügel. Das Weibchen legt die Eier in den Haufen hinein, und die Fermentationswärme brütet diese aus. Das Männchen hält die Temperatur im Bruthügel durch Auf- und Zudecken mit zusätzlichem Laub konstant. Darüber vergisst es, dass das Weibchen ihre Runde bei den benachbarten Bruthügeln, und Männchen, macht. Wie man sieht, ist der Wolpertinger nicht die einzige gehörnte Vogelspezies.

Nu sind wir dort, wie man sich das Great Barrier Reef vorstellt. Wer sich von den Erzählungen über Anreise, Krokodile und giftige Viecher nicht entmutigt fühlt, darf die Reise gerne machen. Auf den Whitsundays kann man sogar Segelschiffe ohne Führerschein chartern. Wer mit Kindern reist, wird sich wundern, wie die rauesten Kerle, die nicht nur einen Stiefel Bier vertragen, mit Kindern umgehen. Auf der Trinity wundern meine wie Königskinder behandelt, obwohl sie nur die Hälfte für die Fahrt bezahlten und das Essen sogar frei war.

Go North, Brother …

Je weiter man in den Norden kommt, desto fremder werden die Verkehrsschilder. Allerdings sollte man sich davor hüten, ihre Abschaffung zu fordern, wie man es häufig in Deutschland tut. Manches Verkehrsschild kann Leben retten.

Nicht nur die Verkehrsschilder retten Leben, sondern manches andere „Strandmöbel“ auch. So wird vor einem Tier gewarnt, dessen Stich einen in wenigen Minuten auf die Wolke bringen kann, vor der sog. Seewespe oder Würfelqualle. Sie gilt nicht nur als das giftigste Meerestier der Welt, sondern auch als besonders hinterhältig, weil bereits die ganz kleinen, einige Zentimeter großen Exemplare, die man kaum sehen kann, tödlich sein können. Wohl deswegen wurde die Seewespe erst 1948 gefunden. Bis dahin wurden ihre Missetaten der viel größeren Portugiesischen Galeere zugeschrieben. Den Namen des Tieres Namen hat die sonst so nüchterne Wissenschaft als Chironex fleckeri festgelegt. Übersetzt Mordende Hand. Nomen est omen.

Etwas menschlicher als die Mordende Hand handelt ein süß aussehender Octopus in der Größe eines Golfballs. Er heißt blue-ringed octopus oder Hapalochlaena maculosa und kann einen mit einem einzigen Biss auch auf die Wolke bringen. Er schwimmt in der Nähe der flachen Stellen im Meer und ist deswegen für Schwimmer gefährlich. Allerdings tritt er nicht als große Invasion auf wie die Seewespe und sieht hübsch aus.

Die Hotelsekretärin von Heron Island hatte eine seltsame Begegnung mit einem Touristen, der nass triefend sie bat, in seine geöffnete Badehose zu schauen. Zuerst hielt die Dame das für einen Annäherungsversuch ohne Originalität. Als der Mann nicht aufgab, guckte sie doch hinein. In der Badehosse hatte sich ein Octopus gemütlich gemacht. Sie orderte sofort einen Hubschrauber aus Rockhampton, in den der Mann unter Anleitung von Ärzten flach auf eine Trage gelegt wurde. Die Maschine flog sofort direkt auf das Gelände des Krankenhauses, wo die Ärzte das Tier mit einer Zange entfernt haben. Die Sekretärin hat nachher dem Mann auch so geglaubt, dass der Octopus weg war.

Nun, Schluss mit grausamen Geschichten. Wenn ich weiter erzähle, was da alles an creeping crawlies am GBR rumhängt, hat keiner Lust dahin zu fahren. Man kann auch schönere Sachen erzählen, z.B. wie man bei Whitsunday Islands von Fischen geknutscht wird.



Wenn man bei den Whitsundays angekommen ist, ist man richtig am Great Barrier Reef. Im tropischen. Auf Heron Island hatte ich so meine Zweifel, ob die in den Tropen liegt. Die Luft war ständig um 17 ºC „warm“ und das Wasser krebste so um die Temperatur herum, bei der die Korallen noch nicht absterben. Für mich als Dauertaucher mit etwa sechs Stunden täglich plus Schnorcheln, eine ziemlich tödliche Mischung. Trotzdem wollte ich mir die ganze Unterwasserwelt aber nicht entgehen lassen. So nahm ich die Friererei in Kauf. Etwa sieben Kilo Verlust in zwei Wochen, obwohl ich wie ein Scheunendrescher gegessen habe. Billiger als eine Abmagerungskur ist dies allemal.

Die Fischszene stammt aus einem Video, das ich auf einem Katamaran namens Trinity gedreht habe. Das Schiff heißt jetzt Getaway und fährt um Daydream Island herum. Die Fahrt auf ihm fühlte sich wirklich wie ein Tagtraum an. Das ist aber eine andere Geschichte. Die Fische, die einem Küsschen geben, gehören zu meinen Lieblingen, weil sie immer die Nähe des Menschen suchen. Obwohl sie Fledermausfisch genannt werden, sind sie auch tagsüber da. Sie waren die ersten tropischen Fische, die ich außerhalb eines Aquariums gesehen habe. Aber bis heute ist unsere Liebe nicht abgekühlt, so es denn bei Fischen und Menschen geht.