Kap der Trübsal

 

Auch wenn es Jungle Lodge in der Form nicht mehr gibt, lebt das Resort im Gedächtnis vieler tausend Menschen weiter, die dort Unterschlupf gefunden hatten. Die Hütten sind saniert worden und kosten 180 $ die Nacht. Für lange Jahre zahlte man 5 $. Nicht für die Hütte, sondern für die Bettwäsche. Dann ging man zu einem Gebilde, das man eher als Unterstellplatz für Heuballen ansehen müsste, weil es aus einem Dach und einer Holzplattform darunter bestand.

Jungle Lodge wurde 1985 als Packpacker Hostel gebaut und entwickelte sich fast aus dem Stand zum Brennpunkt weltweiter Touriszene besonderer Art. Zum Reisen muss man bekanntlich drei Dinge besitzen, Zeit, Muße und Geld. Ein Mitteleuropäer würde schätzen, das wichtigste von allen wäre Geld. Weit gefehlt, in Jungle Lodge. Geld spielte nur eine geringe Rolle, wenn man es bis hierher geschafft hatte. Für die besagten 5 $ bekam man einen Platz zum Schlafen zugewiesen, für weitere 5 $ einen Platz am swimming pool zum Grillen. Die nächtlichen Ausflüge in den Regenwald, die von Reiseveranstaltern sonst als Highlight zu horrenden Preisen angeboten werden, waren kostenlos. Jungle Lodge war kein Resort, sondern ein Partyplatz. Da ich mit zwei kleinen Mädchen angereist war, und so ein flotter Partyplatz im Regenwald nachts nicht ganz jugendfrei bezeichnet werden konnte, bekam ich das Luxuriöseste zugewiesen, das in Jungle Lodge stand: Ein Zimmer mit Betten. Damit das Gefühl von Luxus nicht allzu hoch ausfiel, waren die Betten übereinander gestapelt wie in der Kaserne, in der ich meinen Militärdienst absolviert hatte.

Einen großen Unterschied zu unserer Kaserne haben wir sofort bemerkt. Kasernen werden häufig geputzt. Hier hatte sich allerlei Getier eingenistet, das sich insbesondere abends zu erkennen gab. Als ich im oberen Bett lag und einschlafen wollte, hörte ich von unten die Kinder sprechen: „Ist ja schrecklich. Überall kriechen Spinnen raus. Sollen wir Papa wecken?“ „Nöö, lass ihn schlafen. Die beißen ja nicht.“ Dafür gab es in Jungle Lodge Dinge reichlich, die eine Kaserne nie sieht. Auch nicht jugendfrei. Am Tage zogen sich die Geister der Nacht zurück. Viele blieben schlafen, andere machten einen Ausflug mit einem Boot zu dem Ort der Trübsal zu Wasser.

Da wir in der Nach-Hippie-Zeit lebten, klangen die Lieder nach dieser Vergangenheit, und auch die Skipper des Bootes, das wir nahmen, sahen nicht nur aus wie Hippies. Jungle Lodge führt einem vor die Augen, dass man nicht alles für Geld haben kann. Ich kann zwar heute für 180,-- $ etwas Komfort bekommen, und auch die Bude frei von Spinnen saugen lassen, aber die Umgebung, die einem für 5 $ Dinge bietet, an die man sich noch Jahre danach gerne erinnert, lässt sich auch für viel Geld nicht wieder herstellen. Da hilft auch nix, dass man seit 2002 trockenen Fußes Jungle Lodge erreicht.

Nicht jeder, der ins Barrier Reef fuhr, wusste, wo er war. Er wusste es sehr häufig nicht. Die vielen cays, das sind die Inselchen, die mal aus Sand bestehend, mal mit Koralle befestigt, aus dem Wasser gucken, machen einem die Orientierung schwer. Und die, die nicht weit aus dem Wasser gucken, die machen einem das Leben richtig gefährlich. Von diesen wimmelt es an einer Stelle, die in die Geschichtsbücher eingegangen ist. Beinahe hätte sie den Gang der Weltgeschichte verändert. Der Kerl, den die Sache betraf, war aber von anderem Kaliber. So blieb es bei einem bedeutenden Ereignis. Die Rede ist von Cape Tribulation, die aber nicht so hieß bis ein Lieutenant Cook mit seinem Schiff Endeavour dort ankam. Ja, Great Barrier Reef gehört zu den sieben Naturwundern, und dazu gehört, dass man sich wundert, wie James Cook ohne Havarie bis hierher gekommen ist.

Auf jeden Fall hatte James Cook keine Ahnung, was für ein Gewässer er befahren hatte. Erst als er wieder das offene Meer erreichen wollte, merkte er, dass er in der Falle saß. Den Weg raus musste man mühsam finden, ohne zu wissen, wohin eigentlich. Die Endeavour schlug leck, als sie auf ein Riff auflief. Das war aber nicht irgend ein Schiff, und ihr Käpt´n Cook kein üblicher Seemann. Das Schiff war als Kohlenfrachter gebaut worden und man konnte es auf Sand setzen, ohne dass große Schäden entstünden. So wurde die Endeavour einen Monat lang repariert, wobei man vorher alle Kanonen über Bord werfen musste, um ein Sinken zu verhindern. Um das Loch auf See zu stopfen, wurde ein Segel mit Werg und Wolle vernäht und über das Loch gezogen. Der Wasserdruck würde das Segel ins Loch hinein drücken und somit es abdichten. Normalerweise stopft man Werg beim Kalfatern in die Ritzen rein. Nur, dass diese Ritze ein Bisschen zu groß war. Trotzdem klappte es.

Wegen des ganzen Trubels, der mit dieser Reparatur noch nicht zu Ende war, benannte Cook den Ort des Unglücks Cape Tribulation, wo seine Trübsal ihren Anfang genommen hatte. Das Riff, auf das die Endeavour gelaufen war, heißt naturgemäß Endeavour Reef. Und der Weg in die Rettung Cook Passage. Zu den ganzen Cooks kommt noch Cooktown hinzu, in deren Nähe die Endeavour repariert wurde. Nur der Berg hinter dem Cap heißt Mount Sorrow …

Cape Tribulation wird heute nur von wenigen Menschen bewohnt. Etwas weiter weg befinden sich Hotels und Resorts. Wir wohnten in einem Resort mit einem großen Namen: Jungle Lodge. Nachdem wir die Nacht davor in einem ***** Resort verbracht hatten, erlebten wir dort ein Kontrastprogramm. Jungle Lodge war für Aussteiger, Studenten oder Packpackers eine feine Adresse. Wer hierher kommen wollte, tat es besser nicht ohne Allradantrieb, weil die Gegend eine besondere ist: Everglades II. Allerdings ohne die amerikanischen Straßen. Dirt road werden Straßen genannt, die ohne festen Belag sind und bei Regen aufweichen. Brücken? Fehlanzeige! Und hier befindet sich so ziemlich der letzte tropische Regenwald, der am Meer endet.

Um zu Jungle Lodge zu kommen, muss man von Cairns Richtung Norden fahren, bis man am Daintree River landet. Den Fluss kann man mit einer Fähre überqueren oder besser nicht, wenn Auto und Besatzung nicht dirt-road tauglich sind. Von Daintree bis Cooktown führte eine der schlimmsten Straßen, die ich je erlebt habe. (Heute kann man bis Cape Tribulation auf Asphalt fahren und benötigt kein Allradfahrzeug, wenn man nicht gerade in der Regenzeit reist oder Überschwemmungen drohen.) Dass da noch was droht, entnimmt man den Verkehrsschildern, und das möglichst schnell. Die crocs in diesen Everglades sind keine harmlosen Alligatoren, wie man sie in Florida sieht, sondern salties, Salzwasserkrokodile, die größten der Familie. Angeblich sollen die 10 m lang werden können. Keine bange, so groß werden sie nicht in der Realität. Der größte, der geschossen wurde, maß nur 8,8 m. Eine Kleinigkeit …

Jungle Lodge

Wo James Cook beinah …

Australien, Deine Helden der Arbeit!

Der heldenhafte Kampf der australischen Straßenbauer, die Strecke von Daintree River bis Cape Tribulation, insgesamt 36 km, zu asphaltieren, hat etwa 10 Jahre gedauert. Unter Einsatz modernsten Gerätes haben die Kerle den Naturgewalten trotzend die Straße ausgebaut. Wow!

Die schnöden Touris wollen allerdings die großartige Leistung nicht anerkennen. Jemand hat im Internet diese Großtat mit einer anderen verglichen: Mit dem Bau der Großen Chinesischen Mauer. Deren 6.700 km waren angeblich auch in 10 Jahren gebaut worden. Na, bitte!

Um dem australischen Arbeiter Gerechtigkeit angedeihen zu lassen, muss man berücksichtigen, dass es vor vielen tausend Jahren mehr Chinesen gegeben hat als heute Australier. Zudem waren die frühen Chinesen nicht von Hippies umringt, die am Ende des London-Kathmandu-Cape Tribulation Trails als schlechtes Beispiel herum lagen und sich ständig im Dunst von Gras bewegten, nackert dazu. Manche Bauarbeiter müssen sich auch an diversen Vergnügungen in Jungle Lodge beteiligt haben. Z.B. an der Wäschtrockner-Fahrt. Dazu kriecht einer in das besagte Gerät, das, naturgemäß bei abgeschalteter Heizung, loslegt und in wenigen Minuten das Werk eines Joints krönend zum Abschluss bringt. (Wer es nicht glaubt, möge einen Blick in Youtube werfen. Stichwort: Dryer Riding)