An der gleichen Stelle, nur näher an den Felsen, erlebte ich etwas, was einem Sechser im Lotto gleicht. Wir waren diesmal ganz nahe bei den Felsen ins Wasser gegangen und übten uns in Up-and-Down, d.h. wenn man die Luft aus der Lunge raus ließ, konnte man bis zu 10 m tiefer gelangen, ohne auch nur einen Finger zu bewegen. Und ein tiefer Schluck aus der Pulle hieß, wieder hoch. Im Wasser trieb eine große Wolke aus red snappers ihr Spielchen. Zwischen 10 m und 50 m bewegte sich eine riesige Fischspirale um sich herum.

Die meisten Taucher klebten an den Felsen und guckten fasziniert hin. Nach einer Weile schwamm ich in die Spirale hinein und beteiligte mich an der Prozession. Plötzlich sah ich, dass in der Mitte eine Angelleine hing, die sich aber langsam bewegte. Als ich sie anfasste, wurde ich plötzlich mitgerissen. Am anderen Ende strampelte etwas, was sich jeder Angler am Ende seiner Angelleine wünscht - aber viel größer. Ein prächtiger red snapper, etwa 10 kg! Nach einigen Minuten mussten seine Muskeln den Kampf aufgeben, und ich zog den Fisch an mich. Was tun mit einem großen Fisch, wenn man weiter tauchen möchte?

Ich schwamm zu Rudi und deutete ihm an, dass ich gerne einen Gürtel hätte, ohne Blei versteht sich´s. Er tippte zuerst ungläubig an die Stirn, drückte aber gleich ein paar Mal den Auslöser seiner Nikonos. Dann reichte er mir den gewünschten Gürtel, den ich durch das Maul des Tieres und dann durch die Kiemen zog. Nach dem Schließen des Gurts schwamm er brav hinter mir her.

Plötzlich wurde mir aber bewusst, was ich bei mir trug, einen blutenden leckeren Fisch. Nach gängigen Stories über Haie merken sie das Gezappel und das Blut des sterbendes Fisches in der Weite des Meeres und düsen auf die Stelle hin. Was tun? Erst ma´nix, weil die Lage eh hoffnungslos ist. Was auch normale Fische so können, wenn sie den Braten riechen, hatte ich bereits mehrmals erlebt. Z.B. hatte ich einen mittleren Zackenbarsch mit Salami füttern wollen, wobei ein kleiner, so etwa einen halben Meter lang, nach der Salami geschnappt hatte. Sekunden später schoss der „Mittlere“ heran und der Zacki war mit Salami verschwunden. Oder: Wir schleppten einen etwa 5 kg schweren Fischkopf an eine Stelle, wo ein größerer Barsch seine Zelte aufgeschlagen hatte. Zwischen Loslassen des Fischkopfes und dessen plötzlichem Verschwinden lagen nur Sekunden und ein Sauggeräusch. Also? Oh, mein Hai!

Ich klemmte mich zwischen zwei kleine Felsen, die Schutz boten, und ließ den Fisch vor mir am Gürtel bluten. Das Herz will das Spiel gar nicht mitmachen. Aber keine Angst, im Wasser wird sie nicht so schnell ruchbar. Keine Haie und sonst auch nichts. Glück gehabt.

Auf dem Schiff glaubten die Araber ihren Augen nicht, als ich den Fisch nach oben schob. Es hingen noch 12 m Angelleine an ihm, samt verrostetem Haken unter der Fettflosse. Der frühere Angler hatte den Fisch am falschen Ende erwischt, so dass die Sehne gerissen war. Der snapper konnte aber mit seiner leichten Fracht zusammen der Herde folgen. Seine Wunde war längst verheilt, als er ein zweites Mal mit der gleichen Leine gefangen wurde. Diesmal allerdings landete er im Fischtopf mit Reis. Lecker!

Die Zurückgelassenen lassen in ihrer Vielfalt und Menge kaum etwas zu wünschen übrig. Wer die Fauna hier mit der vom Great Barrier Reef oder so vergleicht und erhebliche Unterschiede findet, ist vermutlich Meeresbiologe.

Was das Tauchen von damals und heute unterscheidet, ist eher die Zahl der Taucher und der Boote, die sie tragen. Bei meiner ersten Reise, im Jahre -4, das waren vier Jahre, bevor das Nilwasser in Hurghada ankam, lebten ein paar Fischer vom Fischen, einige wenige davon, dass sie Touristen zu ihrem Tauchort brachten. Wir schaukelten bei einer Safari eine Woche in einer Nussschale eines Fischers bis Sharm El-Sheikh und zurück und haben dabei nur ein oder zwei andere Boote gesehen. Heute kann man bis wenige Meter vor Sudan fahren und fühlt sich überall umringt von Safaribooten. Ade, Safari - tausende Touris dümpeln gleichzeitig auf dem Meer. Hinzu kommen viele tausende Badegäste, die vom Hotel aus zu den Tauchstellen fahren. Das Rote Meer ist nämlich schmal ausgebildet und dessen Westküste dicht umsäumt von Hotels.

Nicht unterschiedlich hingegen fällt die Pracht der Fische aus, wenn man am richtigen Ort taucht und sich andere zum Glück eine andere Gegend ausgesucht haben. Man muss sich aber darauf gefasst machen, dass die Viecher zuweilen betteln kommen. Freute man sich früher, einem Napoleon auch nur 10 m in die Nähe gekommen zu sein, kommt so Einer heute von selbst auf einen zu und hofft auf ein hartes Ei aus dem Frühstücksbüffet.

Die Tauchfahrten von Hurghada aus konnten früher sehr kurz ausfallen, weil das Dorf in der Nähe von Riffen gebaut worden war. Einige der prächtigsten Weichkorallengärten, die man sich vorstellen kann, konnte man in einer halben Stunde erreichen. Weichkorallen - wer diese einmal richtig gesehen hat, pfeift auf Hai & Co. Sie befanden sich in nicht tiefem Wasser und man konnte darüber schweben, als befände man sich in einem Heißluftballon. In den Korallen lagen nicht selten Krokodilfische, massenweise Schnecken aller Gattungen, darunter auch die tolle „Turboschnecke“, die ihren Namen nicht etwa der rasanten Fortbewegungsart verdankt, die Österreicher ins Staunen versetzen könnte, sondern der Form ihres Schutzschildes. Sie verschließt ihr Gehäuse mit einem Deckel in der Form einer Halbkugel, der im Volksmund „Katzenauge“, und daher zuweilen sogar „Tigerauge“, genannt wird. Für einen Lateiner ist das natürlich nix, der nennt sie operculum, auf Deutsch Deckelchen. Das Ding, das von diesem Deckelchen zugedeckelt wird, sieht aus wie der Turban der Fischer, die die opercula sammeln und der Schmuckherstellung zuführen, daher der Name Turboschnecke bzw. Turbanschnecke.

So nie wieder …

Heute gibt es weltweit das Zehnfache an Tauchern wie damals, in Hurghada müsste man die Zahl mit vier Nullen ergänzen, um von damals auf heute zu kommen. Aber auch dort, wo nichts mit Absicht geändert worden ist, wird man selten die Pracht erleben, die sich uns täglich bot. Dabei ist das Rote Meer gar kein Korallenmeer! Es ist vielmehr ein äusserst seltenes Unikum. Wenn es mit rechten Dingen zugehen würde, könnte man im Roten Meer zwar einzelne Korallen bewundern, aber keine Riffe. Diese benötigen nämlich eine Wassertemperatur, die nie 17 ºC unterschreitet. Im Winter wäre dies an der Oberfläche möglich, wenn auch kurzzeitig. Dieses kalte Wasser würde die Riffbildung stören, wenn es in die Tiefe sinkt. Das warme Wasser hingegen, kann nicht sinken wie das kalte. Wegen der Anomalie des Wassers entsteht so eine Temperaturschichtung, wodurch auch relativ warme Meere wie das Mittelmeer unten a…kalt sind. So hatte ich in Cadaques in 40 m Tiefe nur 7 ºC gemessen, während es oben schön piwarm war. Viel kälter als in der Tiefe des Mittelmeers ist das Wasser auch nicht am Nordkapp. Eine Anomalie, eben. Eine andere Anomalie sorgt dafür, dass das Rote Meer doch mit Korallenriffen gesegnet ist: Der Wind bläst vorwiegend aus dem Norden und schiebt das warme Wasser in die Meerenge im Süden. Dort taucht das warme Wasser nach unten und schafft dadurch ein Temperaturprofil wie in den Tropen.

Das allein würde natürlich nicht ausreichen, ein Korallenmeer zu schaffen. Z.B. ist die Karibik trotz ähnlicher Verhältnisse recht arm an Fischen und Korallen, weil in der Eiszeit auch die Karibik kalt gewesen ist. Die Rückkehr der Korallen aus dem Süden hat der Amazonas unterbunden, weil dessen Sedimente Tausende Kilometer Küste für die Korallen zur Verbotszone erklären. Anders im Roten Meer, dessen Süden unten im Indischen Ozean endet, dessen bestes Stück wiederum, die Nahtstelle zum Pazifik, die artenreichste Gegend der Welt ist, was Koralle und Fisch angeht. Diese müssen relativ schnell wieder eingewandert sein. Übrigens, sie sind auch weiter gewandert, als der Suez-Kanal gebaut wurde. Im Mittelmeer leben seit mehr als 50 Jahren Papageienfische, allerdings auf Diät, weil deren Futter, die Koralle im Mittelmeer nur als Edelkoralle wächst. Da sie sich was auf ihre Herkunft einbildet, denkt sie nicht daran, mit der buckligen Verwandtschaft zusammen zu hocken, und bildet daher keine Riffe. Die Fische haben sich daher mittlerweile auf andere Kost umgestellt. Es sollen etwa 60 Fischarten sein, die das Rote Meer Richtung Norden verlassen haben. So auch Barrakudas.

Wer so schön über dem Korallengarten schwebt und viel Zeit hat, kann sich reich sammeln, wenn er opercula mit Linksspirale findet. Die sind bei Sammlern sehr begehrt, weil selten. Überhaupt, wer bei der Schönheit der Korallen nicht high wird, kann sich später Operculumduft einziehen, indem er die „Augen“ pulverisiert und als Räucherwerk benutzt. Operculumpulver war bereits Moses bekannt, und es wird schon immer von allen Menschen, weiß, schwarz, gelb; vom Mittelmeer bis Japan, und in allen monotheistischen Religionen verwendet.

Fühlt einer sich bereits im Wasser high, könnte er schnell nüchtern werden, weil es dort im relativ flachen Wasser Hammerhaie gibt, die wirklich der Hammer sind - Brummer bis 4 m schwimmen friedlich im Tümpel so rum. Dann aber richtig high!

In solch einen Zustand hat uns ein Erlebnis versetzt, das wirklich nicht alltäglich ist. An einer Tauchstelle zwischen Hurghada und Ras Mohamed, wo ein etwa 700 m hoher Hügel fast senkrecht in die Tiefe geht, zusammen sollen es über 2000 m sein, sprangen wir etwa 50 m vor den Felsen ins tiefblaue Wasser. Bereits der erste von der Gruppe, der abtauchen wollte, kriegte den Mund nicht zu: Das ganze Meer war mit Hammerhaien gefüllt, so weit das Auge reicht. Die Tiere schwammen nur einige Meter unter der Oberfläche friedlich vor sich hin. Rudi machte ein Zeichen, das etwa „Ruhe“ bedeuten sollte. Ohnehin wollte sich niemand bewegen. Ganz langsam sanken die Hammerhaie Richtung Tiefsee. Wir verfolgten die Bande, die ständig größer wurde, je besser unsere Augen an die Dunkelheit gewöhnten, in stillem Sinken bis an unsere Grenze von 70 m.

Eigentlich wollte niemand nach oben. Wir sahen ihnen nach, bis sie jenseits von etwa 90 m für uns unsichtbar wurden. Der Aufstieg wollte niemandem schmecken. Musste leider sein.