Döner war gestern

 

Hunger? Dem kann abgeholfen werden!

Man spricht von Küchen, z.B. von der französischen oder deutschen. Naturgemäß weiß jeder, dass damit nicht nur eine gemeint ist, denn Franzosen in Elsass kochen bestimmt anders als die in der Normandie, und die deutsche Küche aus Hamburg ist nicht die aus Bayern. Dennoch kann man in beiden viele Ähnlichkeiten finden. Daher kann in einem Restaurant ein Koch alles zubereiten, was Deutsch oder Französisch ist. Bei Italienisch habe ich so meine Zweifel, die nicht davon herrühren, dass viele „italienische“ Kellner oder Köche in Berlin nach Dienstschluss in die Moschee gehen. Ich meine die Vielfalt, die beherrscht sein will.

Bei Türkisch weiß ich definitiv, dass ein Koch unmöglich das ganze Repertoire beherrschen kann. Das Problem kann man auf zweierlei Art lösen: Man stellt mindestens zwei Köche ein, die unterschiedlich qualifiziert sind, oder man spezialisiert sich.

Und das Ergebnis sieht so aus (vom einfachsten zum kompliziertesten angeordnet):

Simitçi: Das ist kein Gastronom, sondern einer, der Sesamkringel verkauft. Abends, wenn die Beamten und Angestellten, Schüler und Lehrer an die Brücke strömen, um den Dampfer nach Hause zu nehmen, verkauft er seine Ware. Schmeckt super, insbesondere wenn man Hunger, aber nur wenig Geld hat.

Börekçi: Sein Laden könnte eher als Gastronomie gelten, ist aber in der Regel eine Bäckerei. Der Vielfalt sind keine Grenzen gesetzt. Dort kann man auch eine Speise kaufen, die die Welt erobert hat: Pizza. Ist aber weder rund noch reichlich belegt wie die „italienische“  Pizza, die ihre uns bekannte Form wohl eher in Deutschland gefunden hat. In der Türkei ist sie zuweilen rund, aber unbelegt und heißt pide. Das ist das Brot, in das man Döner einfüllt. Man kann sich welche backen lassen, wenn man die Zutaten mitbringt. ist aber eher Brot als Pizza und wird langgezogen in den Ofen geschoben. Das Hauptprodukt von börekçi ist aber börek, gefüllter Blätterteig. Käse, Spinat, Fisch, was das Herz so begehrt. Für Kenner gibt es nicht börek so, sondern je nach bevorzugter Landschaft, in Istanbul gebacken von Leuten aus Xinchiang bis Bosnien. Früher Metier von Albanern, die börek Byrek oder Pite nennen (Pizza, ist höre Dir trapsen). Bei den Bulgaren heißt das Zeug Baniza, bei den Griechen Burékki (μπουρέκι) oder Píta (πίτα), bei den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens Burek oder Pita, bei den Russen Tschebureki (чебуреки).

Kokoreççi: Verkauft meistens sein Grillprodukt am Straßenrand. Die EU wollte es verbieten, natürlich nur in Griechenland, wo sich der Name ähnlich anhört, aber anders geschrieben wird. Obwohl es auch in Europa ähnliche Speisen gibt (Saumagen in Germanien, Haggis in Schottland) wird einem Mitteleuropäer flau im Magen, wer er hört, kokoreç ist geröstete Schafseingeweide. Fast food a la turka.

Işkembeci: Verkauft etwas, wovor sich die nordischen Germanen grausen: Flecksuppe. Die Südlichter hingegen kennen die Sache als Pansen, auch als Suppe. Das Lokal ist denkbar einfach ausgestattet, der Koch häufig unrasiert. Bitte mit Knoblauch und Zitrone genießen. Ein Saufgelage durch die Stadt endet gegen Morgen beim Işkembeci, weil die Suppe angeblich gegen den Kater wirkt.

Kelleci: Kaum ein Europäer wird in den Genuss seiner Produkte kommen, weil er beim Anblick des Schaufensters die Flucht ergreift. Dort lachen ihn gekochte Lammschädel an. Kelleci verkauft die Köpfe von Lämmern. Man kann sich selber daran machen, oder besser sich den Schädel zerlegen lassen. Das Fleisch schmeckt köstlich, dazu sollte man piyaz essen, das ist ein Salat aus gekochten weißen Bohnen, Grünzeug und meistens hartem Ei.

Dönerci: Was der verkauft, ist hinlänglich bekannt, aber meist nur als fast food. Diese Version ist vor etwa 40 Jahren in Berlin von einem Türken erfunden worden. Von seiner Erfindung hat er nicht viel mehr als Sutter von seinem Gold in Kalifornien. Der wahre Dönerci betreibt ein Restaurant und bietet Speisen um den Dönerspieß an.

Köfteci: Köfte ist die türkische Art der Bulette. Fast baugleich mit keftedes (Griechisch), kofta (Arabisch, Indisch), kefta (Libanesisch), kufteh (Iranisch). Kebabcheta (Bulgarisch) und ćevapčići (Kroatisch) sind enge Verwandte. Man kann köfte (s. weiter unten) auch in einem gesitteten Restaurant (lokanta) essen, und das in vielen Varianten gekocht oder gegrillt essen, beim Köfteci nur gegrillt. Dazu meistens piyaz mit vielen Zwiebeln. Wer sich ein Bild davon machen will, auf wie viele Art und Weise man profanes Hackfleisch schmackhaft zubereiten kann, möge sich die Rezepte aus den genannten Ländern besorgen und sie aus einem großen Topf Hack produzieren. Am Ende sollte noch etwa 1 kg Fleisch übrig bleiben für den „Falschen Hasen“. Den gibt es aber nur in Norddeutschland.

Kebabçı: Kebap ist eine der Seelen der türkischen Küche. Der Name deutet auf einen arabischen Hintergrund hin. Bedeutet einfach gegrilltes oder gebratenes Fleisch. Die berühmteste Variante bis zur Geburt des Döner Kebap war der  Şiş Kebap, eingedeutsch auch als Schisch Kebab oder Schaschlick mit seinem russischen Namen. Beim Kebabçı darf man dazu mindestens vier raffinierte Varianten erwarten, Z.B.: Iskender (aus Bursa), Adana aus der gleichnamigen Stadt, Urfa dito, Fıstıklı (mit Pistazien), Patlıcanlı (mit Auberginen), Beyti, Alinazik, … Die traditionelle türkische Küche kennt von Abugannuş bis Yörük kebabı etwa 120 Kebabarten (siehe da). Allerdings besteht die Mehrzahl aus Speisen mit Fleisch mit einer bestimmten Art der Zubereitung und nicht aus gegrilltem Fleisch allein wie Döner oder Schisch Kebab. Man kann in Istanbul mehrere Wochen jeden Tag Kebap essen, ohne zwei Mal dasselbe vorgesetzt zu bekommen. Das ist dem Umstand zu verdanken, dass nicht nur alle türkischen Städte hier mit ihrer Küche vertreten sind, sondern die gesamte Historie des türkischen Volkes, der arabischen und der iranischen Küche. Istanbul vereinigt Einflüsse von Italien, der Adria, der Ägäis, der gesamten Levante und zurück bis nach China. (Die französische kommt noch)

Aşçı: Heißt einfach Koch. Wenn ein Restaurant so heißt, handelt es sich um ein einfaches Lokal, in dem viele viele Eintöpfe angeboten werden. Viele türkische Imbisse in Deutschland funktionieren ähnlich. Es sind Speisen, die man auf Vorrat kochen und bei Bedarf sofort servieren kann.

Lokanta: Der Name weist eindeutig auf Italien (locanda). Heißt schlicht und einfach so viel wie eatery auf amerikanisch, Esslokal. Lokale mit diesem Namen können von sehr einfach bis äußerst luxuriös reichen. Daher Vorsicht beim Betreten. Man kann sich z.B. hier informieren, was es so alles gibt, dass unter lokanta läuft. Hier gibt es auch Bewertungen von 10.216 (!) Lokalen.

Restoran: Auch wenn heute die Unterscheidung von lokanta häufig schwer fällt, früher wurden hochpreisige Gaststätten mit französisch geprägter Küche so genannt (Restaurant). Sehr gute, gediegene Küche mit europäisch beeinflussten Speisen. Die türkische Küche wurde insbesondere im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts stark von der französischen beeinflusst, was z.B. dazu führt, dass ein Istanbuler ohne jegliche Kenntnisse der Landessprache in Frankreich nicht viel schlechter leben muss als Gott, so er genügend Geld sein eigen nennt und etwas Fantasie beim Lesen aufbringt.

Meyhane: Eigentlich „Kneipe“. Allerdings gehen die Türken in meyhane nicht zum Trinken allein. Während man in Berlin in die Kneipe geht und zu Bier und Molle auch mal eine Bulette bestellt, wird in meyhane ausgiebig und lange gegessen. Die Speisen heißen meze, auf Griechisch mezes oder mezedes, auf Bulgarisch mese, auf Serbokroatisch meza und auf Arabisch mezze. Obwohl im Osten des Mittelmeeres heimisch, kommt der Name aus Spanien: Mesa heißt Tisch. Wenn man meze isst, wird der Tisch mit vielen kleinen Tellern bedeckt, von denen man immer Häppchen nimmt. Übliche Länge des Tafelns für Genießer so etwa 4 Stunden. Danach geht man noch zum Işkembeci, und isst noch ein kokoreç auf dem Wege dazu.

Taverna: Dasselbe wie meyhane, früher immer mit Musik. Bouzouki … leider ausgewandert nach Griechenland. Bouzouki stammt vom türkischen Wort bozuk ab, was so viel wie kaputt bedeutet. Oder verändert. Verändert von dem Wort tambouras, auf Türkisch tambur, die Langhalslaute, die es bereits in der Antike gegeben hat. In Griechenland gibt es als Abkömmlinge bouzouki, in der Türkei baglama, daher bozuk. Die seinerzeit berühmteste Taverna (oder meyhane) war Todori auf der asiatischen Seite. Er, ein Grieche, und Selahattin Pınar, ein berühmter türkischer Komponist mit tambur in der Hand, bildeten ein Zentrum der meyhane-Kultur von Istanbul. Pınar hatte auch das Lied geschrieben, in dem er sagt, Gott möge ihn niemals aus der Taverne jagen. Er ist bei Todori gestorben. Jeden 6. Februar gibt es eine Feier zu seinem Andenken.

Muhallebici: Muhallebi ist ein arabisches Wort, das Pudding bedeutet. Muhallebici ist ein Gastronom, dessen Produkte auf Pudding und Milch aufbauen. Allerdings macht er sogar aus Hühnerfleisch Pudding. Natürlich kann man das Zeug auch in lokanta essen. Zu muhallebici geht man aber, um sich zu treffen, z.B. mit einem Mädchen, das bestimmt keine Einladung zum Essen oder gar in ein meyhane annehmen würde. Muhallebi ist unverfänglicher.

Baklavacı: Baklawa ist wohl die berühmteste Süßspeise aus der Türkei. Der Name klingt auch arabisch, soll aber türkisch sein und von einem mongolischen Namen abgeleitet. Die Speise soll ihre letzte Vollendung im Topkapı Palast gefunden haben. Von dort aus hat sie ihren Siegeszug um die Welt angetreten, was man an ihren vielen lokalen Namen erkennen kann: z.B. auf Arabisch بقلاوة , Persisch باقلوا, Somalisch  baqlawad, Kurdisch, Zaza baqlawa, Albanisch bakllava, Rumänisch baclava, Ungarisch baklava, Bulgarisch, Serbisch баклава, Kroatisch, Bosnisch baklava, Polnisch bakława, Tchechisch baklava, Russisch пахлава, бахлава, Ukrainisch баклава, Griechisch μπακλαβάς, Armenisch փախլավա, Georgisch ფახლავა, Abchasisch абаклау́а, Bengalisch বাক্লাভা, Philipponisch baklava, Englis-Amerikanisch baklava. Baklavacı ist ein Lokal mit Süssspeisen auf der Basis von Mehl und Blätterteig. Ein Süssbäcker.

Pastacı: Tortenbäcker. Pastacı - hat mit Pasta relativ wenig zu tun - bietet eher westlich orientierte Süssspeisen, Torten u.ä. an. Sein Lokal heißt pastahane, was so viel wie „Haus der Torte“ bedeutet.

Tatlıcı: Wem die Sache bei muhallebici, baklavacı und pastacı nicht süß genug geworden ist, möge zu ihm gehen. Bietet alles an, was süß ist.

Und jetzt noch dazu denken, was es noch für Möglichkeiten wie in anderen Ländern gibt. Pizzerien, Brasserien, Steakhouses, Fischlokale ohne Ende, Eiscafes, Fast Food aller Art … Man ist immer noch nicht am Ende: Einigen Burschen vom Schwarzen Meer ist 1956 eine Erfindung gelungen, die nur in Istanbul existiert: Heiß gebackener Fisch im Brot vom Boot aus. Sie werfen Fischfilets in höllisch heißes Fett und klappen sie in ein Stück Brot. Man braucht absolut nichts dazu. Schmeckt himmlisch. Allerdings ist man danach für einige Stunden ziemlich einsam. Oder sprich nur Damen an, die in Luv von einem stehen.