Häuser der Glückseligen

 

Was man weiter nördlich sieht …

Wenn man vom Zentrum in den Norden zieht und dabei nicht mit dem Auto oder mit dem Bus reist, sondern mit dem Boot, sieht man die neue Pracht der vor 50 Jahren langsam zerfallenden alten Pracht von Istanbul. Während man die schönsten von ihnen früher in Beylerbeyi sehen konnte, sind viele Perlen des Bosporus bis weit in den Norden wieder auferstanden.

In den 1950er und den 1960er Jahren diese Häuser, „yalı“, mit den übrig gebliebenen Einwohnern in einen „Verwesungszustand“ übergegangen waren, und häufig Opfer von „warmem“ Abriss wurden, änderte sich die Situation plötzlich dramatisch. Eines der schönsten Häuser am Bosporus, und dazu eines mit einem architektonischen „Wunder“, einem Saal mit einer offenen Tragweite von 30 m, in Holz (!) (Hasip Paşa Yalısı), wurde in Beylerbeyi den Flammen übergeben. Vorhersehbares Schicksal: Mietneubau, Märkisches Achtel. Die Täter hatten nur eine Kleinigkeit übersehen, der Bauminister dieser Tage im Jahre 1974, Ali Topuz, war in dem Ort aufgewachsen und seine Jugend in der Nähe dieses Hauses verbracht. Als das Haus brannte, peitschte er ein Gesetz durchs Parlament, das eine anderweitige Nutzung unmöglich machte. Das Haus musste in der alten Form wieder hergestellt werden.

Der Atem der Täter war lang, der des Staates noch länger. Das riesige Grundstück wurde etwa 25 Jahre leer gehalten, was die Kinder der Gegend besonders glücklich machte. Nun steht die alte Pracht wieder da. Und die Zukunft ist wirklich gesichert, vielleicht doppelt. Zum einen hat ein Wettbewerb unter den Reichen, nicht nur aus Istanbul, eingesetzt, um das schönste alte Haus zu besitzen. Zum anderen wurden beide Ufer des Bosporus unter Denkmalschutz gestellt. Manche Häuser dürfen nicht einmal mehr anders gestrichen werden als früher. Wer baut und dabei ein altes Haus rekonstruiert, das schon lange das Zeitliche gesegnet hatte, darf nicht einmal Baumaschinen einsetzen.

Yalıs sind Holzhäuser, die am oder gar halb über dem Wasser stehen. Der raue Wind des Bosporus, Poyraz, greift das Holz unablässig an. Das bedeutet, dass der Unterhalt der Häuser prächtige Summen schluckt. Geld scheint aber hier kein Thema zu sein. Wer in die erste Reihe will, zieht zuweilen eine Million Dollar aus der Westentasche. Nicht ganz, man bringt einen Sack voll Geld mit. Allerdings bekommt man für die Million Dollar nicht etwa so ein Haus, bestenfalls eine Wohnung in der zweiten Reihe.

Das sichtbarste Zeugnis des neuen Reichtums liefern kleine Schiffe mit einem seltsamen Bug. Der steht offen und sammelt den ganzen Dreck ein, den die Strömung an bestimmten Stellen zusammen wirbelt. Damit auch die Ausländer verstehen, worum es sich hierbei handelt, tragen die Schiffe englische Namen. Sweeper!

Früher war es üblich, dass die Leute, die so ´ne
schlappe Million aus der Tasche ziehen konnten,
anschließend ihre Gartenabfälle und gar
ihren Müll, einfach in den Bosporus
kippten. Dieser zog anschließend an
den anderen Millionenobjekten
vorbei in Richtung Mittelmeer.
Heute gibt es Sweeper!

Times, they are a
changin´
frei nach
Bob Dylan,
der übrigens
türkische
Vorfahren
haben soll.
Auch wenn´s
ein Gerücht
ist, die Leute
hören es gerne.

Das Meer ist keine Müll- und Sickergrube mehr. Ja, ein weiteres Wunder. Ein Bürgermeister von Istanbul hat binnen weniger Jahre viel geändert, indem er rücksichtslos vorging. Anders als seine Vorgänger oder Kollegen aus anderen Ländern traf seine Rücksichtslosigkeit nicht die Armen, sondern die Reichen. Er ließ große Teile der Ufer vom Bosporus in eine Promenade verwandeln, indem er einfach eine Straße vor die Wasserhäuser bauen ließ, damit das Volk dort flanieren kann. Da es aber eher Hunger hat, stehen die Ufer des Meeres voller Angler. Seine größten Taten waren aber die Reinigung des Goldenen Horns sowie die Planung eines Abwassersystems, das den Bosporus von der Kloake wieder in ein blaues Meer verwandelt hat.

Wer viel weiter nördlich fährt, so etwa 20 sm, kann das Schwarze Meer sehen, aus dem im Herbst große Fischschwärme in den Süden ziehen, bzw. zogen. Die armen Fische wurden entweder hier gemeuchelt oder sie kamen aus dem Mittelmeer nicht wieder zurück, weil sie mittlerweile in Japan weilen. Von den großen Tun, die viele hundert Kilo auf die Waage brachten, träumt so mancher Fischer. Die großen Delfinschwärme, die den Tunfischen nachsetzten, natürlich den kleineren, lassen sich immer seltener am Bosporus sehen. Ob die Schutzmaßnahmen bald greifen, kann keiner sagen. „Da sagt der Walfisch zum Tunfisch „Was tun, Fisch?“ Der Tunfisch antwortet zum Walfisch „Haben wir eine Wahl, Fisch?“. Leider können weder Wale noch Tune etwas tun.

Palmen, Palmen, Palmen! Einst eine Seltenheit am Bosporus, weil mit rauem Klima, zieren heute viele Palmen die Ufer. Viele von ihnen haben eine lange Reise aus Ägypten hinter sich. Ob sie sich hier wohlfühlen werden, hängt vom Klimawandel ab. Der hat dem Bosporus viel von seinem rauen Image genommen. Fühlten sich einst hier als Fremdlinge besonders die Lasen vom Schwarzen Meer wohl, dürften nicht wenige Häuser mit Palmen im Garten Leuten gehören, die aus Gefilden mit Palmen stammen. Seitdem Beirut als Playground der Scheichs ausgefallen ist, fließt immer heftiger Geld nach Istanbul. Nicht nur Geld - die Stadt hat eine formidable Nachtkultur entwickelt. Am Bosporus hämmern nachts die Diskos, wo einst nur leise Töne erklangen. Bestimmte Teile des Stadt erinnern an Rom kurz vor dessen Untergang, feiern, feiern, feiern.

Die Häuserpracht tagsüber kann man auf verschiedenste Art bewundern. Am billigsten ist eine Fahrt mit einer Fähre, die in der Stadt losfährt und bis zum Ort Anadolukavağı fährt. Man zahlt eine lächerliche Summe. Man kann die gleiche Tour zurück fahren, oder auf die andere Seite rüber setzen und mit dem Bus die Rückreise antreten. Wer Abenteuer sucht, kann es mit einem Minibüs versuchen. Die Dinger sind die größere Ausgabe der Tuktuks aus Bangkok bzw. eine weniger hübsche der Jeepneys aus Manila, aber von der Fahrkultur her gesehen ein echtes Pendant. Billiger kann man das Grauen einer Autofahrt selten erleben.

Teuerer wird es mit den Tourschiffen, die auch sehr komfortabel sein können. Dem Luxus sind keine Grenzen gesetzt. Wer es ganz ganz persönlich haben will, mietet ein Boot. Auch hier sind die Grenzen nach oben sehr flexibel. Von 20 € die Stunde (ohne Feilschen) bis etwa 800 € am Tag kann man so ein Vehikel heuern. Wer Luxus will, kann natürlich entsprechend teurere Schiffe chartern. Die Yacht von Atatürk, Savarona, soll 50.000 $ kosten - am Tag!

Am gemütlichsten und spottbillig sind die alten Bosporusfähren, auf denen ständig ein Kellner mit Tee vorbei flaniert und Sandwiches anbietet. Diese waren zeitweilig aus der Mode geraten, bieten aber mittlerweile richtich „speed“ gegenüber Bussen und Autos, weil der Verkehr auf der Straße öfter mal seinem Namen keine Ehre macht. Er steht. Bereits 1922 hatte Hemingway davon berichtet.

Vor einer Fahrt sollte man sich mit einem hübschen Buch über die Yalıs bewaffnen, vor allem mit einem, das das Interieur abbildet. Diese Häuser sind nämlich von innen häufig viel prächtiger als von außen. Wer eines der Yalıs von Innen bewundern will, kann sich in Beylerbeyi beim Bosporus Palace Hotel anmelden. Nicht billig, aber ein echtes Yalı. Wer etwas mehr Kleingeld hat, das er loswerden muss, kann dieses Hotel von der anderen Seite aus bewundern, z.B. von Four Seasons oder Çırağan Palace Kempinski aus. Allein der Preis der Suiten genügt, um einen in einen Rausch zu versetzen, ganz ohne Schnaps. Und bewundern tut man eher das eigene Hotel - die  1002. Nacht könnte man auch sagen.