Bilder und Geschichten aus meinen Reisen
Papa war ganz früh hier
Nach einem Kampf von etwa 30 Minuten bis sechs Stunden kommt der Fisch, jetzt ermattet, langsam an die Oberfläche, wo ihn die Harpune erwartet.
Anders als bei Hemingway muss der Fischer nicht nach Hause, um den Fang zu sichern. Es ist nämlich ein Gerücht, dass Haie Blut aus mehreren Kilometern riechen würden und sofort Gebiss bei Fuß stünden, wenn ein Fisch blutet oder ein Schwimmer. Wer Glück hat, kann sich noch einen zweiten oder gar dritten Fisch in der selben Nacht fangen. Am nächsten Morgen warten die armen Viecher auf den Abtransport zum Fischmarkt.
Bereits ein einziger Tun über zwei Meter bringt mehr Geld ein als eine alte Frau ein Leben lang erstricken kann. Der Rekord für einen Blauflossen-Tunfisch mit 342 kg. liegt bei 279.000 Euro. Üblich sind Preise von 100 Euro per Kilo, wenn man seinen Fisch an einen Japaner bringen kann. Allerdings sieht der Fischer nie so viel Geld, wie man aus dem Preis für einem Happen Sushi ableiten könnte.
Egal wie viel. Für einen Fischer fällt genug Geld ab, dass er davon etwa drei Monate leben könnte. Leider schluckt die Feierei nach dem großen Fang einen nicht zu knappen Anteil von dem Fischpreis. Nur den allerklügsten Fischersfrauen gelingt es, dem Gatten das Geld rechtzeitig abzujagen. Einer der Männer, die man unten im Bild sehen kann, hat in einer Nacht zwei Tunfische etwa a´4 m, und während der Rückfahrt noch einen mit einer Länge von 2 m, als Nachtisch sozusagen, gefangen. Den Erlös hat er mit seinen Kumpels in einer Woche abgefeiert. Er hatte keine Gattin. Fischer haben nie eine Gattin. Wenn man ihm heute die Preise ins Grab flüsterte, könnte es passieren, dass er wieder aussteigt und die Harpune greift.
Ein Fischerdorf, das Papa begeistert hätte
Von seinem Anfang an, wobei man heute den ehemaligen Namen nicht mehr ausfindig machen kann, war der Ort Beylerbeyi ein Fischerdorf gewesen. Selbst die Nachbarschaft des Sultans, der immerhin für etwa 150 Jahre der mächtigste Mann auf der Welt gewesen ist, hat daran nichts ändern können. Sultane kommen und gehen, oder werden ermordet, aber Fischer leben munter fort. D.h., wenn sie dem Fisch begegnen. Ansonsten sitzen sie im Kaffeehaus im Dunst von unzähligen Zigaretten und kloppen Karten, wenn sie nicht Lust auf Rakı verspüren. Egal wie viel Promille, sobald sich der Fisch meldet - und das sehen viele Augen gleichzeitig -, sausen Alle in die Boote, die exakt vor dem Kaffeehaus dümpeln.
Es gibt aber auch geplante Jagden, im Herbst. Die Natur hat es so eingerichtet, dass riesige Schwärme von Fischen im Frühjahr den Bosporus Richtung Norden passieren, um vom Planktonreichtum des Schwarzen Meeres zu profitieren. Sie müssen allerdings das von mächtigen Flüssen bediente Gebiet im Herbst wieder verlassen, weil der Winter da oben sehr ungemütlich werden kann. Das Schwarze Meer ist nämlich ein Sonderfall in mehrfacher Hinsicht. So ist es an der Oberfläche noch fast ein Süßwassersee, in der Tiefe eher dem Mittelmeer ähnlich, schön salzig, und unterhalb 200 m einfach tot! Wenn die Oberfläche abgegrast ist, ist es besser, sich ein warmes Plätzchen im Mittelmeer zu suchen. So ziehen ab Ende August ständig größer werdende Fischschwärme mit immer größer werdenden Fischen, wie die der Gattungen wie Stöcker, Makrele, Tunfisch und Schwertfisch in den Süden.
Und an denen hätte Papa, alias Ernest Hemingway, sein größtes Vergnügen gehabt. Sie werden von Beylerbeyi bis Kavak im Norden fast exakt so gejagt, wie er in „Der alte Mann und das Meer“ beschrieben hat. Einziger Unterschied: Man zieht nicht nur den Kopf aus dem Wasser raus, wenn der Kampf zu Ende geht. Das liegt nicht etwa an einem Mangel an Haien, die bei Papa Ernesto dem alten Mann die Beute streitig machen. Die sind da und manchmal in ungeahnter Größe. So soll ein Hai von etwa sieben Meter Länge dort gefangen worden sein, wo der arme Fischer seine kleinen Stöcker raus zieht. Fünf bis sechs Meter sind meistens keine Rede wert. Des Rätsels Lösung bietet der Speiseplan der Haie. Der ist nämlich übervoll, wenn große Tune und Schwertfische die Gegend beehren. Vorher, etwa im August fangen die Tunfische ihre Reisen an. Sie sind dann etwa so groß wie eine Forelle, eine Portionsforelle. Danach werden sie immer größer und jagen große Schwärme von Mittelmeermakrelen, Makrelen und Stöcker. Natürlich fressen die Makrelen auch fleißig, was das Meer hergibt. Sie werden aber nicht größer. Komischerweise rotten sich bei den Tunen immer Fische von einer bestimmten Größe zusammen. Und die kleinsten treten die Reise in den Süden zuerst an. Die Makrelen sind aber immer gleich groß. Da sie nun nicht in voller Größe aus dem Ei schlüpfen können, verbringen sie ihre Jugend wohl wo anders.
So gegen November ist es denn so weit, man kann zur Jagd auf die Großen blasen. Tunfische von etwa zwei bis fünf Meter Länge, Schwertfische etwa drei Meter. Black Marlins, die bis sieben Meter lang werden sollen oder 750 kg schwer (bitte Vorsicht bei allen Angaben, Fischerlatein), oder der 18-Fuss-Fisch, den der Alte Mann gefangen hat, machen einen Bogen um das Mittelmeer. Vorher muss man sich einen Fisch angeln, als Köder, versteht sich´s, bei dessen Größe normalen Anglern die Augen über gehen würden. So etwa einen halben Meter muss der seine Länge rühmen. Der Kerl kriegt dann den Bauch voll Blei, so umme fünf kg. Dazu kommt ein Haken, an dem man auch ein Rind aufhängen könnte, ohne dass sich der biegt. Der Haken endet mit einem Stahlvorfach mit einem formidablen Durchmesser und wird in den Fisch eingenäht. Eine Angelsehne von zwei Millimetern hält den Fisch in der Waagrechten während der Jagd. Sie besitzt darüber hinaus keine Bedeutung und reißt, wenn der Fisch anbeißt. Verständlicherweise darf die Leine nicht reißen. Allerdings muss die nicht so lang sein wie die von Papa, weil der Bosporus nicht allzu tief ist, so etwa 100 m in der Mitte, zuweilen viel weniger.
Bis zum Anbiss muss man den Köderfisch mit angemessener Fahrt und in angemessener Tiefe durch das Wasser ziehen. Manchmal mehrere Nächte lang. Das Boot darf zu diesem Zweck nicht allzu groß sein, denn man angelt aus der Hand. Wenn der Fisch anbeißt, muss der Fischer die Leine noch halten können, wenn es rrrummss macht. Dann geht es los in wilder Fahrt, je nach Größe des Fisches. Dauern tut die Sache auch unterschiedlich lang, je nach Kampfkraft der Beute. Das Prickelnde dabei ist, dass der Alte Mann von Hemingway auf dem offenen Meer jagt, während die Fischer vom Bosporus auf einer der am meisten befahrenen Meeresstraßen der Welt angeln. Und der Fisch nimmt keine Rücksicht darauf, ob das kleine Boot gegen einen großen Tanker zusteuert. Er sieht den Tanker ja nicht! Wenn er ihn sähe, würde er erst recht in die Richtung schwimmen, weil der Fischer geschwind die Leinen kappen muss.
Ob Hemingway wirklich nie hier gewesen ist, weiß man nicht. Denn er pflegte einige Kilometer westlich in Pera Palas sich einen hinter die Binde zu kippen. In dem Hotel, in dem Agatha Christie „Mord im Orient Express“ geschrieben hat, oder Mata Hari ihrer Entdeckung als Spionin geharrt, bis sie das Schicksal wirklich ereilt hat. Auch Greta Garbo, Alfred Hitchcock, Sarah Bernhardt oder Jacqueline Onassis gaben sich hier die Klinke. Nicht zu vergessen „deutsche“ Größen wie Inge Meysel, Karl-Heinz Köpcke und Julio Iglesias.
Die Zeiten, die sind nicht mehr so! Der Tunfisch stirbt mit zunehmender Geschwindigkeit aus. Er wird nicht mehr gejagt wie in Istanbul oder bei Hemingway (dessen Fisch war übrigens kein Tun!) mit der Hand. Man spürt die Schwärme mit Flugzeugen auf, sammelt alle mit einem Ringwadennetz zusammen. Die Großen, die gefangen werden dürfen, kommen an Bord, während man die Kleinen im Netz stehen, Pardon schwimmen, lässt. Sie werden in einer Bucht dann weiter gemästet, bis sie geschlachtet werden. Das Glück, Papa oder Mama zu werden, werden sie nie erleben, weil Tune erst mit acht Jahren geschlechtsreif werden. Na, ja -viel haben sie ohnehin nicht von der Brüterei. Die erledigen sie naturbedingt im Schwimmen. Tune müssen nämlich ständig schwimmen, sonst sterben sie. So auch …
Ernest Hemingway, noch als Reporter von Toronto Daily Star, kam 1922 nach Istanbul, wo er seine erste Arbeit als Kriegsreporter absolvierte. Er hatte den berühmten Orient Express benutzt und an dessen planmäßigem Ende - erst Bahnhof Sirkeci, dann Hotel Büyük Londra alias Grand Hotel de Londres - gelandet. So allzu begeistert war er wohl nicht. Aber der Fisch hat ihm angetan. Ein Wunder? (hier meine Reise mit dem Orient Express)
Yarramalong ist das Land der wilden Pferde