Crystal Waters Ranch

 

Landen über den Forellen …

Als der Bomber das Plateau erreicht hatte, flogen wir von einem Bergsee zum anderen. Dazwischen standen Tausende und Millionen Bäume bzw. haben welche gestanden. Die Kanadier haben früher die Wälder auf eine geniale Art und Weise bewirtschaftet: Runter mit allen Bäumen, und neue pflanzen. Leider funktioniert die Sache nicht so genial, weil hier oben in Cariboo Setzlinge nach 20 Jahren immer noch wie Weihnachtsbäume aussehen. Das Leben der Pflanzen läuft sehr sehr beschaulich ab.

Unser Ziel, die Crystal Waters Ranch war nicht so. Dem Farmer war ein toller Trick gelungen, womit er sowohl die schießwütigen Jäger als auch die Baumkiller vom Halse gehalten hatte: Anlage einer Raststätte als Refugium für arktische Enten auf ihrem Wege zu den Winterquartieren. Diese Aufgabe hat sich eine Organisation namens Ducks Unlimited gestellt. Die Ranch hat hinter dem See an dem sie liegt, noch eine Teichlandschaft von etwa 8 km Länge angelegt, wo die Enten rasten. Dort darf nicht geschossen werden, weil … Man glaubt es nicht, Ducks Unlimited Fans sind keine Naturfanatiker, sondern Jäger. So kann man auf ihrer Website auch Entenrezepte und Lockpfeifen finden. Geschossen wird eben wo anders.

Crystal Waters war eine wunderbare Oase der Ruhe, auch wenn die Reiterei alles andere als ruhig war. Das sah der Besitzer naturgemäß etwas anders. Das aber später.

Der Flieger legte an wie ein Boot. Für die letzten Meter hatte John sogar ein Paddel. Wir sahen viele Blockhütten und das Haus der Familie, bei der wir untergebracht waren. Dort wurde auch gegessen. Wer Berlin-Kreuzberg für multi-kulti hält, sollte sich diese Farm ansehen. Der einzige Mensch, der länger in Kanada gelebt hatte, war der Besitzer, Gary Cleveland. Seine Frau stammte aus Mazedonien, die Wranglers, also die Cowboys, aus Frankreich und Portugal. Und die Sitten aus den USA. Deswegen sah das Haupthaus ziemlich amerikanisch aus. Gary sah zwar auch amerikanisch aus, benahm sich aber sehr kanadisch.

Wir wurden sofort in unsere Hütte am See geführt, das meiner Vorstellung vom Logcabin entsprach. Ob dies wirklich so stimmt, kann ich nicht behaupten, weil ich diese Dinger nur aus Schulbüchern kannte. Und aus den Abenteuern von Il Grande Blek, der eine Art Nationalheld des amerikanischen Freiheitskriegs darstellte. Blek kämpfte gegen die Rotröcke, also Briten, war aber italienischen Ursprungs. Die Amerikaner kennen ihn genauso wenig wie Lucky Luke. Dafür lieben ihn die Türken und die Griechen, vermutlich weil er die Probleme der Welt mit zwei Fäusten zu lösen pflegte. Damit sich die ganze Geschichte nicht wie die von Bud Spencer liest, hatte er einen kleinen (Roddy) und einen alten (Prof. Occultis) Freund. Und die lebten häufig in Logcabins.

Zumindest das Bett in diesem Objekt entsprach garantiert nicht den Vorstellungen Il Grande Blek, es war nämlich superweich. Besonders bemerkenswert für uns, weil wir gerade von einer Rafting-Tour von Colorado kamen, wo wir eine Instruktion des Reisebüros übersehen hatten - Schlafmatten mitzubringen. Nach einer Woche Schlafen auf Felsen - Hard Rock Hotel - fühlte sich das Bett an wie Paradies oder Samt und Seide. Das hatte ich am zweiten Tag auch bitter nötig, weil Gary meinen Brief nicht gelesen hatte. Ich hatte ihm geschrieben, wir müssten uns in Westernreiten noch üben …

Der erste Ritt

Wie geht denn das, Westernreiten üben? Nach Garys Vorstellungen etwa so: Man sattle sich ein Pferd und reite hinter ihm in die Prairie. Nach meiner Meinung sollte dies aber am ersten Tag nicht weiter als fünf Kilometer gehen. Gary machte sich keine Mühe, uns zu erzählen, dass eine Null an der Zahl eher angemessen wäre. So düsten wir buchstäblich über Stock und Stein, bis wir etwa 60 km hinter uns brachten. Naturgemäß wäre eine solche Leistung mit Pferden einer Reitschule aus einer Großstadt nie erreichbar. Wenn die nicht schlapp machen, machen sie den Reiter fertig. Nicht so mit den Quarterhorses von Gary!

Diese Pferde sind geborene Arbeitsmaschinen, stark, ausdauernd und zahm zugleich. Sie nehmen einem nichts übel. Sie helfen den Dudes, ohne mitleidig über sie zu schmunzeln. Daher könnte man durchaus geteilter Meinung sein, ob ihnen der Professorentitel angemessen ist. Diese, die Professoren an der Uni, bringen einem zwar auch was bei, grinsen aber zuweilen grässlich.

Die Hilfe der Pferde machte sogar den überlangen Ritt erträglich. Zudem konnte ich die qualvollen Abnutzungserscheinungen meiner Sitzfläche einigermaßen leicht verdrängen, weil die Landschaft so schön war. Eine wunderbare Galoppade entlang einem Ententeich mit überdimensionalen Maßen, grün über grün. Vorbei an Biberburgen, begrüßt von gophern (Erdhörnchen) und Kojoten.

Die ganze Schönheit der Welt mag ihre hässlichen Seiten erträglich machen. Leider kommt irgendwann der Augenblick, wo man eine kleine Zellentür schließen muss, die die ganze Pracht von einem trennt. Dann ist man allein mit seinem Schmerz. Kein Weltschmerz, sondern eher einer popolärer Art. Das malträtierte Sitzfleisch meldet seine Rache. Wenn man beim ersten Ritt nach langer Zeit auch noch schlechtes Beinkleid getragen hat, kommen die Schmerzen an den Waden dazu. Die stolzen Beinhaare des Mannes zwirbeln sich beim Reiten zu kleinen Klumpen und quälen einen bei jeder Berührung. Manchmal reißen die Klumpen großflächig, so dass die Wade an der Stelle wie die Haut eines geflammten Huhns aussieht. Das war mir allerdings erspart geblieben, weil ich mit Reithosen und -stiefeln angereist war.

Der nächste Ritt

Meine Tochter und ich fingen an, ein Waldstück zu bearbeiten. Schritt, Galopp, Trab, Hügel rauf, Hügel ab! Nirgendwo waren die dummen Bullen zu sehen. Als wir an einer Stelle mit hohem Gras anhielten, merkte ich, dass das Gras um uns herum etwa mit einem Durchmesser von sechs Metern komisch gewachsen war. Ich stieg vom Pferd, um zu sehen, ob nicht die Bullen Außerirdische gespielt hatten, die anderswo Kornfelder mit Kreisen und so markieren. Nein, das war nicht das Werk Außerirdischer. Ein dämlicher Farmer hatte seinen Stacheldraht hier entsorgt. Da ich Angst hatte, den Weg zurück zu reiten, weil ein in Stacheldraht gefangenes Pferd alles andere als zahm bezeichnet werden kann, schnitt ich uns eine Schneise durch die Stacheldrahtrollen mit dem Leatherman. Uff!

Wir hielten in der Nähe eines Sees an, um nach Geräuschen zu horchen. Sekunden danach sah in den Busch rechts neben mir auseinander gehen - und ein ausgewachsener Bulle, 1.000 kg Power, kam rausgaloppiert. Ich guckte nach meiner Tochter, die etwa zehn Meter weiter vom Bullen stand. Held oder nicht Held? Ich brüllte ihr zu, sie möge abhauen und gab dem Pferd die Sporen. Meine Tochter dachte nicht daran, abzuhauen. Sie hielt nur die Zügel so, dass das Pferd wusste, es muss stehen bleiben. Der zornige Bulle galoppierte auf die zu … und blieb ein Meter vor dem Pferd stehen! Tochter wusste besser Bescheid, wie man mit Bullen umgeht.

Am nächsten Morgen beim Frühstück eröffnete ich Gary, dass meine Tochter und ich heute unpässlich wären und daher nicht reiten wollten. Eigentlich eine ungeheure Übertreibung, wir konnten gar nicht. Gary zeigte sich voller Verständnis und fragte, ob ich etwas dagegen hätte, zwei Bullen aus dem Wald zur Farm zu bringen. Die müssten gegen 40 Kühe aus den nahegelegenen Hügeln ausgetauscht werden. Warum nicht? So eine Truckfahrt macht doch auch Spaß!

Leider existierte der Truck nur in meiner Phantasie. Wir mussten in den Wald reiten. Und die Bullen befanden sich nicht in einem Stall oder Gatter, wie es sich Dudes so vorstellen, sondern in freier Wildbahn. Sie dachten nicht daran, entdeckt zu werden.

Eine seltsame Truppe marschierte nach dem Frühstück los. Gary, zwei Wranglers aus Europa, ein Nachbar, und zwei Touris aus Germany. Nach etwa 15 km voller Pein erreichten wir das Waldstück, wo sich die Bullen versteckt hielten. Mein Sitzfleisch hatte aufgehört, sich zu melden, weil seine Appelle allesamt ungehört geblieben waren. Gary gab Befehl, uns in Gruppen zu zwei Reitern aufzuteilen und den Wald zu durchkämmen. Jetzt hatte ich endlich verstanden, warum diese Ranch als eine „working ranch“ bezeichnet wurde. Wer dumm genug ist, hierher zu kommen, muss auch noch arbeiten, egal wie schlimm er unten ausschaut.

Sie trieb den Bullen sachte in den Morast am See und sorgte dafür, dass er Dampf abließ. Nach ein paar hundert Metern benahm sich das Tier beinah zivilisiert. Wir trieben es zu den anderen, die den zweiten Bullen schon gefunden hatten. Damit die Kuscheltierchen nicht unterwegs abhauten, hat sich Gary einen Trick ausgedacht. Wir ließen eine Kuh mit Kalb voranmarschieren. Da unter Bullens Höflichkeit Vorrang hat - Ladies first - und Kuh von Muttergefühlen gebremst wird, würde die Marschgeschwindigkeit vom Kalb bestimmt werden. Tatsächlich konnten sechs Reiter die vier Viecher ohne Vorkommnisse zur Ranch treiben.

Nun sollten die vierzig Kühe zurück in den Wald, auch angeführt von der glücklichen Mutter. Leider verlief diese Tour nicht so glücklich. Als wir an eine Wiese kamen, erblickten die Tiere eine Art Aliens, ein Rentnerpaar aus den USA, das sich in Liegestühlen sonnte. Die Aufmachung der Gattin, die die übelsten Vorurteile über Amerikaner weit übertraf, wirkte sich auf die Tiere verheerend aus. Die Leitkuh galoppierte mit ihrem Kind davon, die Herde geriet durcheinander und stob von dannen. Ich folgte der Leitkuh, weil ich dachte, man könne die beiden am ehesten packen. Denkste! Im Notfall können Kühe wie Kälber schnell wie ein Pferd laufen. Zudem kann man allein weder Kuh noch Kalb einkreisen, vor allem dann nicht, wenn sie vorher ein Bild des Grauens erblickt hatten, das nicht jugendfrei sein konnte. Hinzu kam mein Weltschmerz …

An einem kleinen See habe ich den Trick der Tochter angewandt und die Tiere in den Morast getrieben. Sie befreiten sich aber schneller als mein Pferd. Am Ende musste ich beide laufen lassen. Eine einsame Mama mit ihrem Kälbchen in der Wildnis!

Nach Sonnenuntergang kehrte ich zur Ranch zurück. Die Reiter waren noch draußen und suchten mich. Abends erfuhr ich, dass Gary angeordnet hatte, die Leitkuh nicht mehr zu verfolgen, weil er an ihrem Brandzeichen erkannt hatte, dass sich diese Dame an seine Bullen herangeschlichen hatte, ohne zur Herde zu gehören. Au, Backe! Eine neue Version des Samenraubs …

Das Einsammeln der versprengten Herde dauerte zwei Tage. Ob es zu 100% gelungen ist, wird sich nie klären lassen, weil Gary vergessen hatte, die Kühe zu zählen, Gary, der Profi.