Aufsitzen!

 

Auf die Berge, los!

Die Truppe wurde von einem Kleinbus zum Barskoon Canyon zu den Pferden gebracht, die uns außer sich vor Freude begrüßten. Wenn man ehrlich ist, müsste man gestehen, dass die Pferde von uns eher keine Notiz genommen haben. Das sollte die ganze Reise so bleiben, keine Liebeserklärung, keine Schmuserei, auch nicht Leckerli oder Zuckerli. Eine indifferente Geschäftsbeziehung …

Die „Reiter“ bestanden sehr zum Staunen der Guides zur Hälfte aus Frauen. Angesichts der Verhältnisse in deutschen Reitställen fiel die Zahl für mich gar nicht so überraschend aus, weil das Verhältnis von Frauen zu Männern dort eher an die Nachkriegsjahre erinnert. Dennoch hätte ich nicht so viele Frauen erwartet, weil die Reise den hygienebezogenen Bedürfnissen der Frauen ganz und gar nicht entsprach. Dazu kam, dass Männer, die darunter nicht so stark leiden, im Laufe der Zeit einen immer stärker werdenden Duft verströmen, dessen Wirkung nicht einmal die besten Aphrodisiaka der Welt rückgängig machen können. Nach schätzungsweise vier Tagen kann man (frau) mit geschlossenen Augen ein Pferd nicht mehr von einem Vertreter des starken Geschlechts unterscheiden. Oder doch? Bei jedem Essen verzehrten wir etwa zwei bis drei ganze Knoblauchzehen, was dazu geführt haben könnte, dass wir uns doch von Pferden unterschieden - geruchsmäßig, meine ich. Übrigens, der Knoblauchverzehr erklärt auch, warum bei der Völkerwanderung bestimmte Völker zumindest teilweise hier geblieben sind, während Graf Dracula mit der gesamten Sippe schnell nach Transsilvanien gerauscht ist.

Die Truppe kam aus fünf Bundesländern zusammen, wobei Sachsen die Hälfte der Reiter stellte, Mama, Papa, Tochter, Freund und noch´n Freund. Alle schienen zu wissen, wo beim Pferd vorn und wo hinten ist - mit einer Ausnahme. Eine Dame erklärte schon beim ersten Gespräch, sie könne zwar nicht reiten, aber sich vorstellen, den Trail doch zu Ende zu bringen. Lange Gesichter, aber keine große Reaktion. Entweder glaubte ihr keiner oder die lange Nacht im Flieger war schuld. Eigentlich war ein Reiseabbruch fällig - wer will denn fast zwei Wochen in den Bergen verbringen mit einer Nicht-Reiterin?

Die Pferde wurden beladen mit allem, was wir für die ersten Nächte benötigten. Später sollte ein Auto weitere Utensilien an einen Treffpunkt bringen. Bereits das erste Stückchen Ritt roch nach Abenteuer, den Hang in den Fluss reiten und heil auf die andere Seite kommen. Unsere drei Guides schienen Profis zu sein. Einer, der Chef, ritt voran, einer, der Dolmetsch, stand am Fluss, während der dritte im Bunde hinter uns stand. Da die Tiere ebenso Profis zu sein schienen, hielt sich die Aufregung in engen Grenzen. Das einzige Problem bildete die Fotografiererei. Dazu musste man stehen bleiben, am besten dort, wo es am gefährlichsten ausschaut. Auch das schien den Pferden kaum Sorge zu bereiten. Leider haben sie bei jedem Halt, der unserer Begeisterung für die Natur entsprang, ihrer Begeisterung für dieselbe freien Lauf gelassen - schnell ein Büschel Gras ins Maul. Deswegen sind nicht wenige Bilder verwackelt, Videos ohnehin.

Immer mit dem See im Rücken kletterten wir unablässig höher. Während dieser immer kleiner wurde, erwischten uns seine Produkte dann und wann - die Wolken. Der Wind trieb am Nachmittag die vom See aufsteigende warm-feuchte Luft die Hänge hoch, und diese hatte nichts Besseres zu tun, als abzuregnen. Bereits mittags hatten wir die 2.000 m hinter uns gelassen, wobei die Pferde bereits beim Schritt gehen ordentlich nass geschwitzt waren. Insgesamt sind wir, d.h. die Pferde, etwa 1.300 Höhenmeter geklettert.

Als das Nachtlager aufgeschlagen wurde, befanden wir uns kurz unter der Baumgrenze. So wurde das erste und letzte Lagerfeuer angezündet, ohne dass der Zündfunke zu uns rüber gesprungen wäre - es regnete heftig. Ab in die Zelte! Leider, leider waren diese Dinger nicht ganz dicht. Manchen tropfte es leise rieselnd auf den Schlafsack.

Die Pferde blieben, wie immer, draußen. Bei kurzer Rast bindet man die Zügel am Vorderlauf fest, mit einem Webeleinstek, auf Slip gelegt, so dass sich die Tiere ganz langsam von der Meute weg bewegen können, aber nicht ganz und gar. Für die große Pause am Abend trägt jedes Pferd eine lange Leine plus Pflock am Sattelhorn. Manche Tiere hatten wohl gelernt, wie man dieses Ding aus der Erde zieht, und waren morgens etwas weiter weg als geplant. Einmal musste sogar der Hengst des Chefs zur Rückkehr an seinen Arbeitsplatz überredet werden.

Gleich die erste Nacht unter Regen geraten, kein guter Beginn. Bei zwei Zelten hatte es leicht durchgeregnet und eine Dame hat feststellen müssen, dass ihr nicht nur an Reitkenntnissen mangelte. Sie hatte die Temperaturangabe, es könne nachts auf 10 ºC runter gehen, zu wörtlich genommen und einen Schlafsack für 7 ºC gekauft. So allzu warm ist deren Nacht wohl nicht gewesen. Da sie und eine weitere Dame viel Wert auf Emanzipation legten, wollten sie nicht glauben, dass es für Männer und Frauen ganz andere Wohlfühltemperaturen gibt. Leider kann der Glaube zwar Berge versetzen, aber Zelte beheizen tut er nicht. So war es der Reiterin im Prinzip etwas, in der Praxis vollends, A … kalt. Die Lösung brachte eine Decke, die sie später in einer Jurte kaufte. Leider war diese nicht ohne biologische Konterbande, die sich auch als bissig erwies.

Am Morgen ging die Kraxelei munter weiter, sie sollte erst bei über 3.900 m aufhören. Am vierten Tag. Erst einmal mussten wir wieder in den Fluss runter und auf dem anderen Ufer den Berg hoch reiten. Mal Sonne, mal Regen - irgendwie ging der Tag um. Den See sahen wir immer seltener, aber seinen Regen mussten wir erdulden.

Ich hatte die Anweisungen des Reiseveranstalters ernst genommen, der angegeben hatte, wir müssten mit 5 kg Gepäck für den ganzen Ritt auskommen. Daher hatte ich ein Fahrradponcho mit getrennten Beinhosen gekauft. Die anderen Mitreisenden gaben sich wohl etwas weniger lesekundig und waren mit schwerem Regenzeug angereist. Sicher ist sicher. Dumm war an dem Poncho nur sein Flattern. Damit konnte man sich auch dem ruhigsten Pferd nicht seitlich oder von hinten nähern, nur von vorn … Außerdem wusste ich nicht, wie lange das gute Ding halten würde. Mit meinem Nähzeug hätte ich sein Leben zwar verlängern können, aber offen blieb, ob dies bis zum Ende reichen könnte.

Sämtliche Befürchtungen haben sich in den ersten vier Tagen bewahrheitet. Der Regen wurde häufiger und schlimmer, bis es einmal so hagelte, dass die Pferde die Arbeit einstellten, und sich mit dem Popo Richtung Wind stellten. Ende der Fahnenstange? Nein, Ende des Regens! Als wir das erste Tal verließen, um in ein neues einzubiegen, war es aus mit dem Einfluss des Sees. Die Sonne sollte uns bis zum Ende des Ritts nicht mehr verlassen, d.h. tagsüber. Sie schien über Täler, bei deren Anblick man versteht, was unendlich bedeutet. Oben an den Berggipfeln flogen Adler und Geier, unten pfiffen deren Mahlzeiten, die Murmeltiere.