Zum Pass

 

Kraxeln ohne Ende

Der erste und letzte Pass, den ich bei etwa 4.000 m überquert hatte, liegt zwischen Denver und Aspen, und ich saß in einem Auto. Ansonsten bin ich als Flachlandtiroler sehr glücklich in etwa 1 m ü.M., z.B. auf einer Malediveninsel oder in einem Boot auf dem Wannsee. Warum ich dann im Sattel solch einen Pass nehmen muss? Meine Vorfahren haben es wohl auch getan, ansonsten wären sie noch hier.

Leider versagen Bilder beim Ausdruck eines unbeschreiblichen Eindrucks. Deswegen habe z.B. ein Video vom Grand Canyon vernichtet, das den Einzug des Tages über den Colorado zeigen sollte. Das Ding zeigte halt irgendwelche Schatten, die langsam wichen. Ansonsten ließ das Video keinerlei Ähnlichkeiten mit meinem Erlebnis erkennen. Doch die Fotos von meinem ersten Pass in Asien sind so schlimm nicht. Auch das Satellitenfoto zeigt etwas Wahrheit, etwa die halbe. Allein das Gefühl, in einem gigantischen Stein- und Geröllhaufen zu reiten, ist allerhand. Noch erhabener fühlt man sich, wenn man sich die Gletscher auf Fünftausendern anguckt. Den Gipfel der Erhabenheit bringt indes die dünne Luft, man schwebt so leicht über sich, die Sinne eine Hand breit über dem Gehirn.

Zum Glück war es den Pferden egal, wie erhaben sich der Reiter fühlt. Unsere Berliner Cityrösser hätten uns vermutlich mehrfach abgeworfen, wenn wir mal nicht alle Tassen beisammen zu haben schienen. Die Pferde der Kirgisen waren hingegen echte Profis. Sie gingen extrem trittsicher über Stock und Stein, Matsch, Geröll und was einem noch so alles einfällt. Nur zwei Mal ist ein Pferd in eine Behausung eines Murmeltiers getreten, davon war ich das eine Mal betroffen. Was beim Galopp hässlich hätte ausgehen können, endete mit einem eleganten Sturz. Das Pferd ist heil geblieben. Ich auch weitgehend. Der andere Unfall hätte viel schlimmer ausgehen können, weil er beim steilen Abstieg stattfand. Zum Glück ist das Pferd mit dem Vorderlauf auf der Bergseite eingebrochen. Hätte es die Talseite erwischt, hätten Pferd und Reiter als Knäuel das Ende des Hangs erreicht, Reiter platter als Pferd.

Der Pass sah eigentlich nicht allzu spektakulär aus. Einer sagte bei dessen Anblick, guck mal, Erosion ganz ohne Umweltsünder. Man sah tatsächlich, wie schiere Unmengen Wasser, Schnee und Eis noch größere Unmengen Gestein abtrugen und ins Tal rollten. An manchen Stellen sahen die Flüsse aus, als wären sie eine 60-spurige Autobahn im Bau, Steine ohne Ende, dazwischen Wasser, das sich mal den einen, mal den anderen Weg zum Tal sucht. Kaum zu glauben, dass sich jenseits dieses Gebirges die zweitgrößte Sandwüste der Welt, Takla Makan, breit macht, und eine der trockensten. Hier herrscht aber das allmächtige Wasser, in allen drei Aggregatzuständen, flüssig, fest und gasförmig.

Die Herden von Rindern, Schafen und Ziegen, die weiter unten das Bild der Landschaft prägten, ließen sich plötzlich nicht mehr blicken. Doch dies hängt nicht nur mit der Höhe zusammen, weil wir an anderer Stelle Herden in noch größerer Höhe gesichtet haben. Die höchsten waren Yaks in etwa 5.000 m Höhe. Aber Rinder in 3.500 m waren keine Seltenheit. Mein Traumtier aus dieser Gegend, der Schneeleopard, hat es vorgezogen, Traumtier zu bleiben. Wir haben seine Spuren nur in Reiseprospekten entdecken können.

Hingegen pfiffen überall Murmeltiere und man konnte sich von deren Existenz leicht überzeugen - anhand vieler Löcher, die häufig am Trampelpfad enden, den man entlang reitet. Egal ob Schritt oder Galopp, man sollte immer dem Chef folgen und in einer Reihe reiten. Zwar schützt auch dies nicht ganz vor den schlimmen Folgen der Grabungsaktivitäten der Murmeltiere, ist aber auf jeden Fall sicherer.

Leider ließen sich auch die Marco-Polo-Mufflons nicht so häufig sehen, wie wir es uns gewünscht haben. Man sah aber immerhin ihr Gehörn, mal mit Schädel dran mal ohne. Allzu tier-reich war dieses Tierreich allerdings nicht. Oder die Tierchen haben es vorgezogen, sich nicht sehen und hören zu lassen. Über einen Mangel an Flora konnte man sich hingegen nicht beklagen. Wer ist denn schon mal über große Wiesen mit Edelweiß galoppiert? Enzian bis zum Abwinken! Der Edelweiß, in den Alpen ein Eindringling, der auch noch geschützt wird, ist in Kirgisien, in den Steppen, endemisch. In den Alpen ist er erst nach der Eiszeit eingewandert. Warum dann die Kirgisen den deutschen Namen verwenden, bleibt mir ein Rätsel. Die Engländer und Amis benutzen auch diesen, in Amerika werden sogar Frauen Edelweiss oder einfach Edel benannt.

Als wir die Endstufe der Kletterei erreicht hatten, eröffnete sich ein in seinen Dimensionen nicht abschätzbares Tal vor unseren Augen. Kein einziger Baum, kein Strauch, einfach unendlich grün bis zur Vegetationsgrenze. Darüber nur noch Stein, Geröll und Felsen bis an den Himmel. Kaum zu glauben, dass man an solchen Orten Radler trifft. Wir haben welche gesprochen, die einen noch schlimmeren Pass als diesen hinter sich hatten. Empfindet man es strapaziös, in diesen Höhen zu reiten, muss man diese Frauen und Kerle nur bewundern, wie sie so um 50 kg schwere Mountainbikes über Geröll schieben.

Die erste Passüberquerung nach Tagen mit „mixed“ Wetter fühlte sich nach einem Highlight an. Für einen Menschen aus dem Flachland klingt dieses Gefühl eher untertrieben, immerhin ritten wir etwa 1.000 m über der Zugspitze, dem höchsten Berg in Deutschland. Die Bergspitzen, die wir passierten, waren z.T. höher als der Mont Blanc, der höchste Berg Europas. Allerdings sah das alles hier gar nicht spektakulär aus, vermutlich weil im Hintergrund die Umrisse echter Bergriesen sichtbar waren.

Ich taufte die Gegend das „Grüne Wildistan“ von. wg. der vielen Nutztierherden. An denen gemessen spielte die wilde Fauna leider eine untergeordnete Rolle. Man sah zwar nur wenige Menschen, aber man fühlte, dass hier die Menschen das Sagen hatten, auch wenn die Natur sie im Winter zum Rückzug zwingt. Mit der Schneeschmelze kommen sie wieder und bringen ihre Herden und Kinder mit. Hier und dort sieht man die Spuren von Geländefahrzeugen. Vielleicht geht es denen eines Tages wie den Samen in der Finnmark. Die müssen nicht mehr den Winter bei ihren Rentieren verbringen, weil die Schneemobile sie schnell hinbringen.