Bilder und Geschichten aus meinen Reisen
Den Göttern ihre Heimat
Meine Vorfahren hatten nach und nach alle Inseln östlich von Italien erobert. So auch Rhodos (1522) und Zypern (1571). Allerdings nicht von den Griechen, sondern von Leuten, die dort nichts verloren hatten. Rhodos wurde seit 1309 von Saint Jean d'Hospitaliers, also dem Johanniterorden beherrscht. In den westlichen Medien, die die Sarazenen als Barbaren und Korsaren gegen das Abendland beschreiben, verliert kein Autor ein Wörtchen darüber, dass der Orden die für 200 Jahre die gefürchtetsten Korsaren im Mittelmeerraum stellte. Der Sultan ließ den Orden von Rhodos wegziehen wie danach auch von Bodrum (Halikarnassos). Das sollte sich rächen. Der Orden übernahm Malta und war von den Osmanen dort nicht mehr zu vertreiben. Die Eroberung von Zypern war hingegen eine Kleinigkeit. Die Venezianer, die Zypern vorher von den Franzosen gekauft hatten, kämpften nicht allzu lange und heftig.
Nicht so Kreta. Die Insel wehrte sich 25 Jahre gegen die Eroberung durch die Übermacht. Auch diese Insel gehörte den Venezianern, die den Krieg durch eine Kaperfahrt gegen ein Pilgerschiff der Osmanen provoziert hatten.
Als das Osmanische Reich zu schwächeln begonnen hatte, wollten andere Mächte die Insel sich einverleiben. Darunter auch Frankreich, das dort auch nichts verloren hatte. Als Napoleon III der Sultan halb scherzhaft anbot, die Insel ihm abzukaufen, zeigte sich dieser erfreut und nannte den Preis: Die Insel war zum Einkaufspreis zu haben.
Teuerste Insel der Welt
Kreta war auch für die Griechen in der Antike teuer gewesen. Athen musste König Minos Tribut zahlen - und zwar in Form von sieben Jünglingen und sieben Jungfrauen, die Minotauros geopfert wurden. Das war der Preis dafür, dass sie den Sohn von Minos getötet hatten. Dieser hatte dann Athen angegriffen und besiegt. Die Athener mussten halt das Blut des Königssohns mit siebenfachem Zuschlag bezahlen.
Erst Theseus konnte die Tributpflicht beenden, allerdings nur mit List und Tücke, und mit der Hilfe der Königstochter Ariadne. Die hat ihm, Theseus, geholfen, Minotauros zu besiegen, den wilden Stier. Dieser aber aber mit der Dame verwandt, denn er war aus einer Verbindung der Frau von König Minos mit einem Stier entstanden. Der Stier war vermutlich Poseidon selbst, den Minos bei einer Wette betrogen hatte. Der zeugte mit der Dame Minotauros, der halb Mensch, halb Stier war, und mindestens so wild wie Arnie, allerdings ohne seine Mega- Kalaschnikow. Als der tot war, war es aus mit der Tributzahlerei. Und Theseus konnte zurück mit der Halbschwester als Trophäe, die er, wie bereits gesagt, unterwegs auf Naxos ablegte. Kein feiner Zug. Theseus war nunmal kein Diplomat und auch kein Frauenversteher.
Um zu verstehen, wie teuer Kreta war, muss man wissen, dass Athen für die Osmanen keine 25 Jahre Krieg, sondern eher ein paar Dukaten gekostet hatte. Kreter sind stolz und erzählen gerne, sie seien keine Griechen.
Nicht mehr so wehrhaft
Als wir nach einer irren Fahrt in den Venezianischen Hafen der Stadt Iraklion einliefen, mussten wir an der Festung vorbei, die die Einfahrt zum Hafen blockiert. Die eigentliche Aufgabe der Festung bestand darin, die Schiffe zu versenken, die es bis hierhin geschafft hatten. Die alten nannten es „ultima ratio“, das letzte Argument. Den Spruch kann man an vielen Orten der Welt auf den Kanonen finden. Er soll bedeuten, dass die Waffen erst dann sprechen, wenn es aus ist mit den Argumenten. Etwas unmodern die Sache. Heute sitzt einer in einem Bunker in Arizona, wo früher John Wayne bzw. die Typen, die er verkörperte, sich Duelle lieferten, Mann gegen Mann - Mann o Mann!, und schiesst einen, sagen wir mal in Waziristan, mit einer Drohne ab, nachdem sich das Küchenkabinett des Präsidenten den für gefährlich erklärt hat. Wer das Pech hat, mit dem Kerl ein Käffchen zu trinken, wenn die Drohne feuert, bekommt eine moderne Bezeichnung - Kollateralschaden. Hat der Tote einen Bart, ist er Islamist, hat er keinen, ist er aus Versehen über den Jordan gegangen.
So war es früher nicht. Man konnte beim Feuern der Kanonen (unten) dem Kapitän des feindlichen Schiffs in die Augen blicken, zumindest aber seine Pfeife riechen. Das teuere Olivenöl den Feinden auf den Kopf zu gießen, dazu waren die Zinnen gebaut worden. Heute hat man eine bessere Verwendung dafür - ALDI verkauft bevorzugt Öl aus Kreta.
Dass die Griechen heute nicht mehr so kriegerisch sind wie einst, kann man an dem Dingi des Bootes der Küstenwache sehen. Das Boot hatte keine Kanone mehr, und das Dingi keine Luft. Das eine finde ich gut, das andere hingegen schlimm. Denn die Küstenwache soll nicht Krieg führen, sondern die segelnden Touris davon abhalten, sich selbst zu versenken. Wer in Seenot gerät, sendet sein SOS - leider nicht mehr in, man muss heute mayday rufen - und wird flugs von den Helden der sieben Meere aus den Wogen gezogen. Die ganze Zeit, als wir im Hafen lagen, dachte ich an Odysseus, wie der mit diesem Dingi seine Odyssee wohl abfahren würde.
Dabei hatten wir bereits bei der Ankunft die Hilfe dieser Helden gut gebrauchen können. Als wir nach über 60 sm von Thira aus den Eingang des Hafens erblickten, hatte sich der Wind schon längst zur Ruhe gelegt. So kochten wir erst einmal Mittag und tuckerten mit leisem Motor gen Kreta. Als die Soße auf die Teller verteilt war, setzten wir die Segel, weil wir nicht mehr befürchten müssten, dass die Teller über die Plicht fliegen. Die Soße konnte auch nicht mehr auslaufen. Denkste - binnen Minuten steigerte sich der Wind von 0 auf etwa 7 Bft. und alles gegen uns. Für die letzten Meilen, für die wir dem Motor nicht einmal mehr als nur Standgas spendieren würden, brauchten wir fast zwei Stunden - bei Volldampf voraus. Der Windmesser hat auch mal 8 Bft. angezeigt. Uff!
Der Sinn der Segelei nach Kreta bestand im Wesentlichen aus Unsinn. Wir wollten mal einen langen Schlag machen. Dass wir dann den längsten Schlag unseres Lebens fast hingekriegt haben, war indes nicht eingeplant. Aber allein die 60 Seemeilen + stürmischer Endspurt haben schon gezeigt, warum die Götter der Griechen auf Kreta geboren waren. Die Insel ist am A. der Welt. Jedenfalls für Segler.
Man kann die Lage auch als am Busen der Natur bezeichnen. Kreta ist berühmt für ihre Gewürzpflanzen. Und der Wind vom Norden hat 60 Meilen Zeit, den Dreck der Zivilisation loszuwerden. Der vom Süden gar kommt aus Ägypten ungebremst hierher. Zu unserer Ankunft würde der nördliche Wind - Meltemi - weder hier noch weiter im Norden zu finden sein. Und gegen den aus dem Süden waren wir durch eine mächtige Barriere geschützt - Kreta. Denkste! Kreta macht ihre Winde selbst.
Das merkten wir, als wir mit einem Auto und einem Bike in den Süden gefahren sind. Da wo im Norden die Wellen hoch schlugen und der Wind, der Südwind, brauste, konnte man sich im Süden gemütlich ins Restaurant setzen. Hingegen gab es oben in den Bergen nicht nur Schnee, sondern auch gewaltige Wirbelwinde. Schnee am Südhang so kurz vor Afrika?
Die Inselrundfahrt hat uns für Vieles entschädigt. Die Fahrt dauerte zwar ewig, weil Kreta nicht gerade klein ist, führte uns aber auch an Stellen, die von unbeschreiblicher Schönheit waren. Darunter auch eine Stelle, die in die Filmgeschichte eingegangen ist: Kreta ist die Insel von Zorba. Ich meine von Alexis Sorbas im Film. Der wahre Sorbas hieß Georgios, und der Autor des Romans hatte ihn auf dem Berg Athos kennengelernt. Kazantzakis war damals kein Autor, sondern Kohleminenbetreiber, und Sorbas ein Bergbauarbeiter. Die Katastrophe am Ende des Films hat es wirklich gegeben. Kazantzakis musste die Mine aufgeben.
Als der Roman von den echten Söhnen vom echten Sorbas gelesen wurde, fanden diese die Schilderung ihres Vaters zu freizügig. Die konnten nicht wissen, was für ein Mensch den Papa im Film darstellen würde. Anthony Quinn, der Mann, der Nonook der Eskimo war, oder Der Mann aus dem Westen, oder Der große Grieche. Mit ihm wäre die Handlung nicht nach Kreta verlegt worden.
Im Bergdorf Kókkino Chorió wurden die meisten Dorfszenen gedreht. Das Dorfkafenion existiert noch. Auch ein Laden, wo man Rakı in Flaschen abfüllen kann. Das Fischerdorf Stavros und Agia Triada kann man auch bewundern. Ob man die griechische Seele bewundern kann, die Anthony Quinn so super dargestellt hat, ist hingegen fraglich. Quinn war Russe, und der Tanz, der mit dem Film berühmt wurde, Sirtaki, wurde für ihn choreographiert, angeblich, weil er nicht tanzen konnte. Wie dem auch sei. Der Film hat die angebliche griechische Seele produziert, und dazu den Tanz. Und alles wirkt echt, weil es den Sorbas wirklich gegeben hat. Der hat mit Kazantzakis die Umsiedlung der Pontus Griechen aus der Türkei nach Griechenland organisiert. Mit denen kam der Bozouki in das Land.
Stille Tage auf Kreta
Kreta war ein tolles Erlebnis. Wir umfuhren den Berg Ida, noch mit dem Schnee von Gestern, fuhren über Stock und Stein durch eine wilde Landschaft. Wunderten uns, wo die schönen Griechinnen abgeblieben sind. In dem Restaurant am Hafen wurden wir sehr aufmerksam bedient. Die Stimmung war anders als im Jahr davor.
Wer später anreist, wird die Insel nicht so grün finden. Aber den Oleander, der die Verkehrsadern begleitet, in der Blüte sehen. Agios Nikolaus empfing und schön wie immer mit seinem Binnensee, an dessen Ufern wir ein kühles Bier tranken. Schnell musste es nicht sein, denn das Bier wurde nicht wärmer. Der Ort trägt den Namen von Nikolaus, der der Beschützer aller Seeleute und aller Griechen ist. (Bei seiner Kirche waren wir vor zwei Jahren in der Türkei. Allerdings waren alle Läden in der Nähe waren russisch. Denn Russen ist Nikolaus auch heilig.)