Insel Thira

 

Thira ist der größte Brocken, den der Vulkanausbruch von Santorini hinterlassen hat. Zusammen mit Thirasi und Aspronisi bildet sie den Rand einer vom Meer gefluteten Caldera. Früher soll der Ring der Inseln geschlossen gewesen sein. Nur die Mitte ist weggeflogen. Wenn man bedenkt, dass etwa 500.000 PS benötigt wurden, um die 3.000 Tonnen schwere Apollo Rakete anzuheben, kann man sich vorstellen, welche Gewalt dahinter gesteckt hat, einen Berg mit einer Fläche von 80 qkm in die Luft zu jagen. Angeblich entstand dabei eine Welle mit einer Höhe von 250 m. Kein Märchen, es ist nachgewiesen, dass im letzten Jahrhundert eine Welle eine Höhe von 510 m erreicht hat. Noch schöner: Zwei Männer haben diese Welle überlebt. Hingegen ist nicht bekannt, ob irgend ein Mensch die Tsunamiwelle von Santorini überlebt hat.

Eine Caldera ist für einen, der Aufregendes sucht, eigentlich etwas Abregendes. Einfach eine Platte mit Hügelchen darauf. So erlebte ich die auf Hawaii. In Yellowstone war ich noch nie, deswegen konnte ich die größte Caldera nicht in Augenschein nehmen. Calderen von Supervulkanen können riesige Ausmaße annehmen, so war die Caldera des ersten Yellowstone-Vulkanausbruchs 80 km lang und 55 km breit. Calderen füllen sich häufig mit Wasser und bilden dann einen Calderasee, in dem sich wiederum durch neue Vulkane oder Lavadome Inseln bilden können. Tanz auf dem Vulkan, ahnungslos!

Wird der Schlot im Zentrum einer Caldera wieder aktiv, kommt es zu einer erneuten Bildung eines Kegelbergs. Entsteht daraufhin ein neuer Vulkan auf einem alten Vulkan, spricht man von einem Somma-Vulkan. Wie man den Kegel vor Thira nennt, ist mir egal. (Das ist das dunkle Ding in der Mitte.) Geheuer war mir die Sache nicht. Der Vulkan kann nämlich jeden Augenblick hochgehen. Na, ja. Bisschen übertrieben. Erst merkt man Erschütterungen der Erde. Bei Yellowstone sind es Tausende im Jahr. Das haben die Menschen auf Santorini aufgezeichnet. Dann wird es bedrohlicher. Das haben die Leute vor Krakatau z.B. nicht so erlebt. Man stelle sich vor, ein Vulkan fängt an zu beben, und am Ende der Story soll die gesamte Erdkugel für mehrere Jahre verdunkelt werden. Und die Leute schicken eine Expedition hin, die auch noch den Vulkan hoch krabbelt. Die damalige Kolonialverwaltung der Niederlande in Indonesien entsandte hintereinander zwei Expeditionen zu Krakatau, von denen die erste beim Anblick der Schäden auf der Insel zurückkehrte, die zweite hingegen – in teilweiser Unkenntnis der Gefahren – den Vulkan noch einmal bestieg und sozusagen als letzte das Innere des bereits aktiven, aber kurzzeitig ruhenden Vulkankraters sah, bevor dieser kurze Zeit später in einer gewaltigen Calderaexplosion verschwand. Der Krakatau hat 20 Kubikkilometer Masse bis 25 km in die Höhe gepustet. Die gewaltigste Katastrophe, die hübsch verfilmt live zu erleben war, Mount St. Helens, brachte es gerade mal zu einem Kubikkilometer.

Die Caldera von Santorin umfasst eine Fläche von etwa 84,5 km². Die absolute Höhe beträgt im Norden von Thira vom Meeresgrund etwa 700 Meter. Der Caldera-Boden besteht aus vier Teilbecken. Das nordöstliche Teilbecken erreicht eine Tiefe von nahezu 400 m und wurde wahrscheinlich mit den Vorgängen der Minoischen Eruption gebildet. Wenn man mit einem winzigen Schiff davor steht, sieht man eine gewaltige Mauer vor sich, die weitgehend schwarz mit grünen Sprenkeln gen Himmel strebt. Menschlich wirken nur die Mulis, die die Touristen hoch schleppen. Runter kommen sie, die Mulis, von selbst. Von oben hingegen, mit einem Gläschen Rotwein in der Hand, sieht die ganze Sache richtig hipp aus. Die gewaltigen Kreuzer, die täglich Tausende Touris ausspucken, sehen ganz schön winzig aus. Anders natürlich, wenn man neben so einem Kreuzfahrer dümpelt und die Insel weit scheint.

Die Insel ist ein Magnet für Kreuzfahrer, erst recht zu Ostern, eine Zeit, die wir mit Absicht ausgesucht hatten. Ostern auf Santorini, mit Hammel am Spieß - aber nicht mit Sirtaki, den hat Theodorakis erfunden - mit einem schönen Rotwein auf Vulkanboden gewachsen, was kann besser sein?

Die Insel Thira hat leider eine dumme Eigenschaft. Sie hat keinen richtigen Hafen, d.h., einen Hafen, den man sicher erreichen kann. Letztes Jahr hatten wir einige Ängste zu überstehen, um in den Hafen zu gelangen. Meine Mitsegler strichen aber die Segel, und wir waren vier Tage auf Thira. Diesmal sollte es anders werden. So taten wir etwas, was wir ungern tun, vor einer Felseninsel vor Anker gehen. Dies schien machbar, weil der Wind von Osten kam, und zwischen der Caldera und dem Wind ragte die Insel 300 m fast senkrecht in die Höhe. In Norddeutschland reicht eine Hecke von 2 m Höhe. Bei 300 m ist man gut geschützt, oder? Als Segler darf man sich nicht einmal darauf verlassen, dass Gott den Doofen hilft, weil die seine Schöpfung sind. Der schämt sich nämlich manchmal ob seiner Schöpfung und wendet sich mit Grausen ab. Das nennt man dann gottverlassen. In dem so gut geschützten Vulkan fahren kleine und leider auch große Schiffe (so wie im Bild hinten). Obwohl die Menschen, die mit den Schiffen fahren, es überhaupt nicht eilig haben, diese Kreuzfahrer wollen nicht Jerusalem erobern, sondern die Zeit tot schlagen, fahren die so, dass sich eine formidable Welle bildet. Obwohl ich nicht an die Welle gedacht hatte, blieb ich sicherheitshalber beim Schiff, während die anderen über die Insel düsten. Plötzlich rannte ein Grieche alle verankerten Yachten ab und forderte sie auf, Anker zu lichten. So sagte jedenfalls der Skipper vom Nachbarschiff. Obwohl man bei der erwarteten Welle mit fünf Meter mehr Achterleine klar gekommen wäre, folgte ich dem und legte ab. Dieser fuhr aber immer weiter und verschwand irgend wann Richtung Hafen. Man erzählte uns später, er wäre dort im Sand stecken geblieben.

Die böse Welle machte uns Sorgen für die Nacht. So machten wir am Abend an den Tonnen fest, die etwa 100 m vom Ufer verankert sind. Tonne ist gut, die Dinger sind fast so groß wie unser Schiff. Da draußen war richtig gut surfen, aber gerade deswegen ungemütlich übernachten. Scharfe Fallwinde schossen die Kraterränder herunter und auf dem ruhigen Wasser weiter. Unser Boot drehte sich ständig hin und her.

Für die Nacht beschlossen wir, erst einmal die Schiffsbewegungen zu betrachten. Nach etwa vier Stunden hatte sich das Schiff nicht einmal nach vorne bewegt und flatterte wie eine Fahne im Wind. Die Bescherung sollte nachts folgen. Der Wind hat wohl einige Male nachgelassen, so dass das Schiff Richtung Tonne gezogen worden war. Als dann der Wind aus eine anderer Richtung blies, hat sich das Schiff in der eigenen Vorleine gefangen. Die Befreiungsaktion vor dem Morgengrauen dauerte über eine Stunde. Nun war aber nicht mehr an Schlafen zu denken.

Wir beschlossen, die Fahrt nach Kreta sofort anzutreten. Dazu mussten wir in der Dunkelheit die gesamte Caldera durchqueren. Wind hatten wir mehr als genug, nur die Sicht fehlte. Man kann zwar nachts ohne Licht mit Karte fahren und per GPS seinen Standort recht gut bestimmen. Trotzdem bleibt das Gefühl mulmig, weil der Sonar in der Caldera nichts anzeigt oder 2 m Wassertiefe bei 400 echten Metern. Unweit davon können aber die 2 m wahr sein, weil in der Caldera die Felsen fast senkrecht nach oben gehen. Also nach Gehör fahren. Schiffe versenken ist lustig, aber nur auf dem Bildschirm.

Wir waren froh, als wir den Leuchtturm hinter uns gelassen hatten. Er markiert das letzte Stück Land zwischen hier und Kreta. 60 Meilen ohne Landsicht. Für Columbus wäre das nichts, für Captain Cook auch. Aber Amateure können sich dabei blutig machen. Zudem hatten wir keine Zeit mehr gehabt, Wasser einzukaufen, weil die Läden erst vier Stunden später öffnen würden.

Bilder von der Schönheit der Insel kann man zuhauf finden. Für mich war besonders überzeugend, dass ein japanisches Paar um 10.000 km und bisschen mehr geflogen war, um sich hier ein Hochzeitsfoto machen zu lassen. Solche Szenen kannte ich von Parks in Asien, Peking, Seoul oder Tokio, aber auf Santorini? Einen überzeugenderen Nachweis für den Ruf der Insel wird man wohl nicht so leicht finden. Besonders eindrucksvoll erscheint das Schwarz vom Vulkangestein durch das weiße Brautkleid. Dass der arme Bräutigam dabei ganz untergeht, lässt sich auch als Menetekel für die kommenden Jahre deuten. Und das Herz auf der Vulkanasche wird nicht erst den nächsten Ausbruch abwarten, um sich zur Ruhe zu setzen. Wir wollten aber nur weg!

Als sich die Nacht verzog, hatten wir die Insel hinter uns gelassen. Und der Wind flaute ab. So wurde uns bewusst, dass der Schutz der Insel ein vermeintlicher war. Die Insel produziert ihren Wind selbst. Die Erkenntnis sollte uns auf der Rückfahrt eine schlimme Erfahrung bescheren. Das aber später, bei der Beschreibung von Milos, der Insel der Aphrodite. Nicht ihre Geburtsinsel, sondern wo sie berühmt wurde. Danach wurde sie nach Frankreich verschleppt und in ein Museum eingesperrt. Seitdem wundern sich die Leute, wo ihr Arm abgeblieben ist. Ihrer Schönheit tut es keinen Abbruch.


 

Besuch einer tollen Insel