Jagd um den Globus
 

Wie man auf eine Insel kommt, von der man nicht einmal gehört haben kann, wäre mir rätselhaft. Den ersten Schritt dazu habe ich vorne erklärt: Frankreich wollte mich nicht haben, und ich war kurz vor´m Tor: in Sydney. Etwas verkürzt ist die Sache schon, denn von Sydney nach Bora Bora kann man nicht schwimmen, wenn man nicht gerade die schnellsten Flossen anhat. Nach Fiji auch nicht. Etwa fünf Stunden muss man schon fliegen.

Dieser Flug gestaltete sich aber wirklich commod! Die Airline, die mich nach Fiji befördert hat, hieß zwar nicht Air Fiji, wie man vermuten würde, aber ähnlich klang der Name schon. Vor der Abreise gab es einige Kleinigkeiten, die einen ordentlichen Familienvater zum Verlust seines gesamten Skalps führen würden, weil er sich seine wertvollen Haare, die vorher zu Berge gestanden haben,  völlig ausrupfen würde. So war ich in Sydney mittellos angekommen, weil mir eine amerikanische Gesellschaft für Kreditkarten - man merkt, ich versuche, den Namen geheim zu halten - vermittelt hatte, ich könnte dort mit meinem guten Namen bezahlen. In Sydney angekommen wollte aber niemand etwas auf meinen guten Namen geben. Wie bucht man eine Reise, wenn man überhaupt kein Geld hat? Versuchen …

Es ging. Ich sass in einem halb-leeren Bomber, dafür waren die kleinen Flaschen mit Rotwein voll, vorher. Nach ein paar Fläschchen fühlte ich mich putzmunter und würde sogar Odysseus spielen. Zum Glück war es nicht nötig. Allerdings musste ich ein Problem lösen, das dieser Held garantiert nie zu hören bekommen hat: Wie spät ist es denn? Normalerweise ist so eine Frage leicht beantwortet. Es ist halb zwölf, Liebling. Nicht hier. Matagi befindet sich hinter der Datumsgrenze, von uns aus gesehen. Eigentlich ist es dort Gestern, wenn wir Heute haben. Klar? Nee … Man stelle sich vor, man schwimmt langsam von einer Insel zur anderen, und plötzlich ist gestern?

Es geht noch besser! Um nach Matagi zu kommen, muss man nach Taveuni fliegen. Was ist daran Besonderes? Taveuni befindet sich auf dem Meridian 180, der Datumslinie. Zwar hat man die Geburt des neuen Tages aus politischen Gründen etwas weiter östlich verlegt, das ficht die Taveunis aber nicht an. Auf deren Hauptstraße, die parallel zum Meridian gebaut worden ist, gibt es in der Mitte ein Verkehrszeichen, das in drei Richtungen zeigt, Gestern, Morgen und Jetzt! Als Krönung ist die Inselzeit noch eine Stunde vorgestellt, damit man die Sonne besser genießen kann. Also, man kommt aus dem deutschen Winter nach Australien, in den Sommer. Aber ohne Sommerzeit. Dann nach Fiji, mit oder ohne? Danach nach Gestern, + 1h. Klar?

So hat sich bereits das Buchen des Fluges als Problem erwiesen. Niemand im Reisebüro wollte mir ein verlässliches Datum nennen. Eine kluge Frau im Büro sagte mir, Sir, Sie buchen ein Hotel in Nadi, am Flughafen, und merken so, wenn Ihr Flieger abgeht. Klar!

Scheint allen klar geworden sein. Einem Amerikaner hat die Zeitverschiebung sogar gehörigen Ärger eingebracht. Er und seine Frau waren auf Taveuni abgestiegen und hatten den kleinen Sohn von ihr mit einem anderen Mann in San Francisco bei der Oma gelassen. Nun rief der Vater an und erzählte, die Oma wäre gestorben und er könne das Kind nicht beaufsichtigen. Die beiden sollen zurück reisen. Der neue Ehemann sagte dies zu und versprach, er werde am Donnerstag fliegen. Der andere fing an zu brüllen, weil er dachte, die Beiden wollten sich auf seine Kosten noch eine Woche vergnügen. Ihm war nicht klar, dass bei uns zwar morgen war, aber doch nicht.

Die irre Zeitreise sollte mir noch ein paar Kopfschmerzen bereiten, so z.B. bei der Frage an die Hotelleitung, welches Datum denn ein Telex trüge, das ich erhalten hätte, das am Sendeort oder jenes am Empfangsort? Einsteins Relativitätstheorie hatte ich noch halbwegs verstanden, aber mich zwischen Gestern, heute und Morgen zurecht finden?

Ankommen auf Matagi Island

Nadi ist bestimmt kein Südseetraum. Eher so ´ne Art Bidonville, früher. Die Stadt beherbergt den internationalen Flughafen von Fiji, 10 Minuten mit dem Taxi. Dort lässt sich alles zwischen Bruchbude für Backpackers und Luxusschuppen für Runaways finden. Was ich zu finden hoffte, war der verlässliche Zeitpunkt des Abflugs von Sunflower Airlines.

Obwohl auf Fiji Sonnenblumen nicht wachsen, weiß jeder, was der Name bedeutet, hier kannst Du die Sonne genießen. Wir fliegen Dich zum neuen Tag entgegen. Taveuni ist die Insel, auf der der neue Tag geboren wird. Sagen die Taveunis.

Bis nach Taveuni muss man schon eine Weile fliegen. Das ist nicht so aufregend wie die Reise eines Herren, der das Meer unter uns bereisen musste, von Captain Bligh, den die Meuterer von der Bounty in ein leckes Boot gesetzt hatten, damit er absäuft. Captain Bligh hat überlebt, fast alle Meuterer eingefangen und aufgehängt. Deswegen heißt das Meer Bligh Waters.

Hängen musste ich nicht, aber ähnliche Qualen ertragen. Der Flieger, eine de Havilland Heron aus dem Jahre 1950, landete auf einer Insel namens Savu Savu, was an sich gesehen nicht bedeutsam ist. Wer aber die Landung miterlebt hat, entwickelt schon Gefühle. Nach einer halben Stunde in der Luft kreiste der Pilot über einer Stelle, unter der ein Typ mit einem Handrasenmäher Gras mähte. Als der Pilot ihm zuwinkte, stellte er das Gerät an die Seite und erlaubte uns die Landung. Der Mann war alles, Manager des Flughafens, Hausmeister, Gärtner, Agent der Airline u.v.a.m.

Das Flughafengebäude von Savu Savu wies die Abmessungen einer Bushaltestelle in Berlin auf, allerdings war sie nicht so modern ausgerüstet. Die Sitzbank war noch aus Holz. Drei Menschen verließen den Flieger, vier stiegen ein, bevor der Gärtner die Piste frei machte. Die Heron düste Richtung See, überflog eine Insel, ca. 10x10 m mit einer Palme darauf, und nahm Kurs auf Taveuni. Dort wartete ein Taxifahrer auf mich, schlafend neben der Landebahn.

Immer noch nicht angekommen

Landen da, wo der neue Tag geboren wird. Wunderschön wäre ein arge Untertreibung. Auch wenn man vorher das Paradies erlebt zu haben glaubt, so ich in Valle de Mai auf Praslin, muss man gestehen, es gibt noch eine Steigerung. Die Insel ist so weit vom Schuss, dass man behaupten darf, in der Ferne angekommen zu sein. Hatte ich den Flughafen von Savu Savu für so eine Art Folklore gehalten, weil der aus einer Graspiste, geschnitten in eine Palmenwald plus Sonnendach einer Bushaltestelle mit Parkbank drunter bestand, war ich hier richtig baff. Der Flughafen machte nicht gerade den Eindruck, er sei das Tor zu einer großen Inselwelt. Allerdings war die Piste schon geteert. Die Leute warteten nur wenige Meter vom Flieger entfernt, und niemand schien Angst davor zu haben, dass einer von ihnen vor eine landende oder startende Maschine läuft. Das Gepäck wird wahrscheinlich heute noch per Bollerwagen oder ähnlich entladen. Und nur Minuten danach ist man von einer wundervollen Natur umgeben.

Auf einem Fluss sah ich Kinder auf einer Insel von Wasserhyazinten davon treiben, zwischen den Felsen standen Frauen, die die Wäsche darauf klopften. Monstera und Philodendren rankten sich an den Bäumen gen Himmel. Eine Unzahl tropischer Vögel schwamm auf dem Wasser. Würgefeigen in allen Stadien des Wirtsmordes ließen grüßen. Und überall meine Lieblingspflanze, die Banane.

… aber jetzt!

Nach etwa 15 Minuten Fahrt lud mich der Taxifahrer freundlich an einer Stelle ab, an der ein leeres Boot wartete. Eigentlich wäre ich nicht abgeneigt loszudüsen. Leider wusste ich nicht wohin. Überall sah man Inseln. Einige Minuten später kam der Fahrer mit einer jungen Amerikanerin wieder und sagte, wir würden bald abfahren können.

Ab ins Boot, und wir rauschten an vielen kleinen Inseln vorbei, mit Regenwald bewachsen und grün über grün. Wenn wir in der Nähe des Saumriffs der Inseln fuhren, preschten Fischschwärme unter uns weg, und vor uns stiegen manchmal ganze Schulen fliegender Fische auf, um irgendwo in 100 m Entfernung wieder ins Wasser zu tauchen. Noch nie war ich so weit von zu Hause gewesen und fühlte mich dennoch zu Hause.

Fiji ist eine Inselgruppe in Melanesien, sie gehört zu den Pazifikinseln, deren Bewohner weder Polinesier noch Mikronesier sind. Die Menschen sind dunkelhäutig, sind aber mit Afrikanern eher über Adam und Eva verwandt. Die Ähnlichkeit der Hautfarbe hat übrigens den Afrikanern übel zugespielt, indem die Europäer eine melanesische Sitte, Kannibalismus, nach Afrika verlegt haben. Dabei ist nicht einmal bekannt, ob in Afrika jemals Kannibalismus in neuerer Zeit geherrscht hat. Dafür ist von Europäern bekannt, dass sie während der Kreuzzüge ihre Feinde nicht nur erschlagen haben, sondern auch gegessen: „Die Unseren kochten die erwachsenen Heiden in Töpfen und steckten die Kinder auf Spieße, um sie gegrillt zu verschlingen.“ So der fränkische Chronist und Augenzeuge Raoul de Caen laut Wikipedia. Geschehen beim ersten Kreuzzug 1098 in Maarat an-Numan (Syrien). Die Melanesier haben aber noch 900 Jahre danach vermutlich Menschen gegessen, allerdings mit einer Gabel.

Der Name Matagi soll in der Sprache der Ureinwohner „Das weinende Auge“ heißen. Die Sage erzählt, dass ein Mädchen, das den Göttern geopfert werden sollte, sich auf diese Insel gerettet hat. Sie war einerseits froh, dass sie am Leben blieb, und andererseits soll sie wegen der entgangenen Ehre geweint haben. Besser so als anders. Mit der Form der Insel hat der Name nichts zu tun, sie wird durch den Untergang de Vulkans bestimmt. Mädchen, die heute den Strand bevölkern, weinen vermutlich nur, wenn der Papa den versprochenen Porsche nicht kauft, oder nur billigen Champagner auf der Jacht servieren lässt, weil der Treibstoff so teuer geworden ist. Dabei verdient der Alte doch am Öl.

Die Dame, mit der ich die Insel betreten sollte, war zwar auch traurig, aber ein Opferlamm war sie nicht.  Auch nicht mit Paris Hilton verwandt. Matagi war noch nicht in. Als wir bei der Ankunft feststellten, dass wir die einzigen Gäste waren, beschlossen wir, die Insel zu teilen. Sie nahm die Bure an einem Ende der besiedelbaren Fläche, ich die an dem anderen. So hatten wir das Gefühl in der Wildnis zu leben.

So ganz Wildnis war die Insel aber nicht. Obwohl die Anlage mit acht Bures und einer Zentrale neu gebaut worden war, wohnte die Familie Douglas schon länger in ihrem Haus. Zudem kamen jeden Tag viele Arbeiter, die unentwegt Kokosnüsse knackten und das Fleisch zu Kopra rösteten. Außerdem besaßen die Douglas´ eine schicke Funktelefonanlage für Ferngespräche, die feinste Angelausrüstung, die mir je begegnet ist, die Jacht, die diese durch den Ozean zog usw. Nicht zu vergessen, die Tauchausrüstung, derentwegen ich ja her gekommen war.

Reisen nach Fiji, sofern man Zeit, Geld und Muße hat, lohnen sich. Die Leute haben nicht nur ein Herz für Leute mit großem Geldbeutel, sondern auch für Backpackers. Überhaupt, die Firmen von heute sollen gerade solche Kandidaten bevorzugt einzustellen, die sich einen Rucksack umschnallen und ein halbes Jahr … Früher nannte man das Aussteigen, oder uf trebe jehen, wenn die Reise nicht allzu weit vom elterlichen Dach führte. Man weiß zwar nicht, wann die Menschenfresserei hier aufgehört hat, wenn die aber meinen, sie hätten einen zum Fressen gern, trinkt man gemeinsam Kava. Außerdem wurden nur Menschen gefressen, mit denen man vorher einen Krieg geführt hatte.

Matagi - Das weinende Auge

Man merkte, sie waren keine Waisenkinder von Armen. Abends wurde nicht etwa gegessen, sondern getafelt. Und ich durfte nicht einmal meine Flasche an den Strand tragen, die boys machen es, bitte! Ja, später beim Tauchen, brauchte ich nicht einmal meine Flasche abzunehmen. Kaum hatte ich den Kopf aus dem Wasser gestreckt, kam eine gütige Hand und hob die Flasche hoch. Am Heck meinen Po platziert, kam ein Drink von oben, und ein Handtuch wurde um die Schultern gelegt. Nach einem weiteren Drink schmiss Noel den Autopiloten an, der das Schiff in die Nähe des Kraters steuerte. Im Hecksalon konnte man sich gut ergehen lassen.

Leben wie Gott in Frankreich, aber zum halben Preis wie in Frankreich. Das verdanke ich den dämlichen Bürokraten …

Das Boot wartet …