Bilder und Geschichten aus meinen Reisen
Odyssee? Nix gegen dies!
Da unsere Anreise noch vor der Erfindung des Billigfliegers erfolgte, bei dem man sogar für den Gang, den auch der Kaiser zu Fuß antreten muss, zahlen muss, mussten wir uns etwas einfallen lassen. Da wir zwei Leute kannten, die bei einer Fluggesellschaft namens Air France (kennt die noch jemand) arbeiteten, war die Idee einer selbst gebastelten Billigreise schnell geboren. Das eigene Personal fliegt ja billiger, und der Rest rottet sich zu einer Reisegruppe zusammen, und fliegt auch zu moderaten Preisen. Bleibt nur noch das Hotel.
Da mussten wir nicht lange überlegen. Jemand kannte die Tochter einer Berlinerin, die auf Mauritius ein Hotel betrieb. Eigentlich kein Hotel, aber ein Hotelbetrieb war das schon. Sie hatte neben ihrem Hotelhaus eine Reihe Bungalows, die, anders als sonstwo auf der Erde, mit Personal vermietet wurden. Einen besseren und praktischeren Hotelbetrieb habe ich bis heute nicht wieder erlebt.
Man musste aber erst dorthin kommen. Die Berliner Freunde hatten sich eine ziemlich „einfache“ Route zurecht gelegt. Also, erst ma´nach Paris. Die Stadt liegt zwar nicht in Richtung Mauritius, aber in Berlin starten keine Interkontinentalmaschinen, schon gar nicht welche von der Air Franz. Außerdem schmeckt ein Bier auf der Avenue des Champs-Élysées, einer der großen Prachtstraßen der Welt, besonders gut, wenn man Azubi globe trotter ist. Und dann? Na, ja. Dschibuti liegt auf dem Weg. So einen halben Tag in der Hauptstadt von französisch Somaliland wär doch was? Dass dort gerade ein Vulkan entstanden war, Ardoukôba, interessierte uns nicht. Bei uns Berlin gibt es Berge, die stärker gasen. Danach ab auf die Seychellen. Paar Stunden in Mahe - und damit noch keine Ende. Auch La Reunion wollte besucht werden. Und endlich, endlich die Landung in „Sir Seewoosagur Ramgoolam International Airport of Mauritius“, auch Plaisance genannt.
Ende der Geschichte? Nö, der Flughafen liegt bei Mahébourg und damit am anderen Ende der Insel, von unserer Bleibe aus gesehen. Das sollte noch Folgen haben. Die erste war aber eine dreistündige Busfahrt.
Das war die Route meiner Freunde. Ich hatte eine etwas längere. Eigentlich wollte ich damals in die Karibik, weil man mich nach Kanada eingeladen hatte. Eine Woche auf Dominica sollte die Kälte ausgleichen. Dummerweise wütete dort gerade ein Hurricane und verwüstete die Insel weitgehend. Davon habe ich gelernt, dass man die Karibik während der Hurrikansaison lieber auf der südlichen Halbkugel suchen sollte. Dort ist dann Frühling. So flog ich, wieder aus preislichen Gründen, von Toronto nach New York, von dort nach Reykjavik, Kopenhagen und schließlich Berlin, um mich an die Truppe nach Paris anzuhängen. Das Billigste von dieser Reise war der Schwips. Als wir am Ende der Busfahrt in Cap Malheureux ankamen, fühlte ich mich etwa wie mit einer Füllung von einer Flasche Cognac, und das bei 0,0 Promille.
Surfen und Tauchen
Dort, in Cap Malheureux, hat ein gewisser Helmuth Otto Wilhelm Kux mit seiner Frau Elke Marie ein wunderbares Anwesen eingerichtet. Malheureux heißt so viel wie der Unglückliche bzw. kreuzunglücklich. Wer in seiner Anlage, Kuxville, wohnt, ist genau das Gegenteil von dem. Leider erfuhren früher nur wenige davon, weil die üblichen Gäste ihr Wissen für sich behielten. Kuxville war Geheimtipp bei Crews von Fluggesellschaften. So etwas erleben zuweilen auch schöne neue Restaurants, die Tolles bieten. Kein Journalist erzählt es weiter, damit er dort zu kleinen Preisen speisen kann. Zum Glück gibt es heute Internet und jeder kann lesen, wie es in Kuxville zugeht. Deswegen beschränke ich mich auf die Beschreibung unserer Erlebnisse auf Mauritius und gehe auf Kuxville nur ein, wenn es denn unbedingt nötig ist. Damals gab es hier keine Tauchbasis, wodurch wir einige witzige Erlebnisse hatten. Heute befindet sich eine wohl sehr nette Basis auf der Anlage. Noch wichtiger: Auf der anderen Seite der Straße gibt es eine Tauch- und Kitesurfschule. Wenn man sich die Farbe der Lagune anschaut, müsste man erkennen, dass dies eine tolle Stelle für Surfen und Kitesurfen ist. Wer´s nicht glaubt … Ab in den Flieger!
Wie Surfen und Kiten heute aussehen, kann man in YouTube geniessen. Tauchen auf viele Arten. Für uns bestand Surfen noch darin, dass wir Regatta surfen wollten. Auf Mauritius wurde eine Weltmeisterschaft gestartet, und da wollten wir auch starten. Früher veranstaltete sich so etwas viel einfacher als heute. Wer sich ein Ticket leisten konnte und die Gelächter der Beteiligten, konnte sich ein Brett schnappen und war ein Weltmeisterschaftsanwärter. Nun, ja! Naturgemäß wurden nur vier Weltmeister, weil damals die Felder so groß waren, dass in vier Klassen gestartet wurde, nicht Schulklassen, sondern Gewichtsklassen, zwischen Spargeltarzan und Jumbo.
Beim Anblick der Anlage in Kuxville und erst recht nach dem ersten Dinner gekocht von unseren beiden Haushälterinnen verflog die Lust, sich als Weltmeister zu betätigen. Wozu sich durch unzählige Felder schinden, wenn man kann anderswo Vergnügen finden? Frau Kux fand für uns schnell zwei Surfbretter für Dummies, wodurch unseren Bedürfnissen voll entsprochen wurde. Ihr Mann segelte uns zu fernen Inseln. Und ein gewisser Einheimischer, Claude, sorgte für tolle Tauchvergnügen. Er war zwar nicht Taucher von Beruf, sondern Leuchtturmwärter, aber auch der Präsident des Tauchklubs der Insel.
Claude besorgte uns eine Menge Flaschen und noch mehr Luft, viele viele Kubikmeter, denn wir waren meistens etwa zehn Taucher. Er kannte sich im ganzen Land gut aus, weil er seine Zeit fast vollständig mit Tauchen verbrachte. Den einen Monat unter Wasser, den nächsten, auf dem Leuchtturm hockend, in Gedanken um neue Tauchplätze. Wer glaubt, einen besseren Guide gehabt zu haben, der irrt.
Claude frönte einem Hobby, der unter Tauchern verpönt ist, harpunieren. Ich glaube zu wissen, dass der Hass auf einen Hans Hass zurück geht. Dieser hatte die Schießerei unter Wasser zwar mit erfunden, zog aber später dagegen zu Felde, als die Italiener im Mittelmeer alle Zackenbarsche geschossen und fotografiert hatten. Samt Papa mit der Harpune in der Hand, und geschwellter Brust. Als ich Student war, hat Hass uns animiert, in Taucherklamotten über den Kudamm zu ziehen. Wir wurden von der Polizei nicht zusammen gedroschen, weil diese noch nicht allergisch auf Demonstranten war. Und dann lerne ich einen Harpunier kennen!
Claude entschuldigte sich damit, dass sein Gehalt auf dem Leuchtturm ihn nicht ernähren täte. Er würde aber jeden Fisch, den er schießt, essen. Na, schön. Aber was ist mit den Haien? Ich denke, die sind gleich da, wenn Blut fließt. Claude grinste breit und erzählte, diese Märchen hätten irgendwelche Citydivers erfunden. Da die Haie von Mauritius solche Stories nicht lesen können, weil kurzsichtig, gäbe es keine Gefahr. Tatsächlich zogen wir tagelang eine Blutspur hinter uns her, ohne dass sich ein Hai uns näherte.
Dass Claude ein Schlitzohr gewesen sein muss, habe ich drei Monate nach der Reise durch das Fernsehen gelernt. Im Dritten Fernsehen lief ein Dokumentarfilm über die Haie vor Mauritius. Führer des Teams ein gewisser Claude! Und wie kam das Fernsehteam zu den Haien oder die zum Team? Claude schoss ein paar Fische und ließ die bluten. Au, backe!
Einer der Opfer von Claude hat unter meinen Freunden eine Berühmheit erlangt, allerdings posthum. Ein Zackenbarsch namens Henry. Das aber später. Ein Nachwort zu der Leidenschaft von Claude sowie zu der Haigeschichte: Bis ich etwa 25 war, schoss ich gerne Fische, allerdings waidmännisch ohne Flasche. Angst vor Haien hatte ich nicht, weil ich die in anderen Gewässern wähnte. Bis eines schönen Tages die Fischer bei uns einen riesigen Hai der Marke Carcharodon carcharias fingen. Der war so außergewöhnlich groß, etwa 7 Meter, dass er in der Stadtmitte ausgestellt wurde. Die Fischer trösteten mich und sagten, ich solle keine Angst haben, die werden meistens nur vier Meter lang. Wie tröstlich! Der Kerl da unten im Bild maß ganze zwei Meter. Wie sehen 7 Meter aus?
Der zweite außergewöhnliche Taucher der Insel war ein Profi. Er betrieb ein Tauchshop in Trou aux Biches. Obwohl er Chinese war, benahm er sich eher wie, - wie sagt man Filou, ohne einem Volk weh zu tun? - einer, der in den Tag hinein lebte. Daher wurden nicht alle Tauchtage mit ihm tatsächlich welche. Ich glaube, er hieß Bai Lin, war groß gewachsen und tauchte unglaublich geschmeidig. Wenn er denn tauchte.
Bai Lin legte nicht allzu viel Wert auf Planung. Sein Tauchgeschäft war offen, wenn es offen war. Schluss! Er hatte nämlich ein teures Hobby, das ihm zwei Situationen bescherte, die man Yin and Yang (Sonne und Schatten) auf Chinesisch, und Auf und Ab bzw. manisch-depressiv in der Psychiatrie nennt. Krank war er nicht, sondern süchtig nach Glücksspielen. Er spielte bei Pferdewetten und gewann oder gewann nicht. Die Folge war aber die gleiche. Bai Lin war betrunken. Mal aus Freude, mal aus Trauer. Aber dazwischen war er einer der besten Taucher, die ich je gesehen habe. Und immer lustig, on Yin oder Yang bzw. Auf oder Ab.
Die Spezialität von Bai Lin, die mir nicht aus dem Gedächtnis weicht, war seine Methode, das Team zusammen zu halten. So etwas ist nötig, wenn man Taucher unbekannter Herkunft mit zweifelhafter Qualifikation zusammen unter Wasser bringt. Der eine kommt mit einer Pulle gut zwei Stunden rum, während der andere nach 20 Minuten nach Frischluft schnappt. Was tun? Taucher gleicher Güteklasse einsammeln, konnte er ja nicht. In Touristengegenden muss man nehmen, was kommt.
Bai Lin hatte den Dreh raus. Er ließ vom Zodiac den Anker hängen und klemmte ihn zwischen die Beine, während er uns folgte. Seine Haltung erinnerte an die von chinesischen Mönchen. Nur dass dieser Kerl kein frommer war. Er paddelte seelenruhig hinter uns her und schickte jeden, dessen Luft alle war, an der Ankerleine nach oben. Dort saß der und wartete auf die letzten, die hoch kommen.
Wie herrlich, solche Menschen hautnah zu erleben. Und welch ein Unterschied zu uns Neurotikern. Bei uns sind ja nicht nur die Irren irre, sondern auch die, die sie reparieren sollen. Eigentlich gibt es keine Irren, weil die Industriegesellschaft fast nur aus solchen besteht. Das ist zwar nicht irre gut, aber normal. Wenn Bai Lin oder Claude eine Woche in Paris oder Berlin wohnen würden, müsste man um ihr Seelenheil bangen. In New York nicht. Dort muss man keine Gedanken darüber machen, was kommt. Die Geschichte der beiden Herren ist eng verbunden mit der eines Mitglieds unserer Truppe, das zwar auch ein netter Mann war, aber eher unsereins ähnelte denn Claude oder Bai Lin. Er hieß Peter wie viele Menschen. War aber doch etwas Besonderes.
Zwei irre Typen
Yarramalong ist das Land der wilden Pferde