Es war einmal …

 

Das Schicksal eines bestimmten Wesens aus Mauritius scheint typisch für unseren Umgang mit der Natur. Den Vogel Dodo kann man nur noch im Museum bewundern, allerdings nicht in aller Schönheit. Es gibt allenfalls Skelette, die man aus Mooren ausgegraben hat. Obwohl sein Fleisch nicht allzu schmackhaft gewesen sein soll, wurde der letzte Dodo in weniger als 100 Jahren nach der ersten Sichtung durch einen Europäer von einem Spanier erschlagen.

Über den Vogel Dodo existieren unwahrscheinlich viele Berichte, Abbildungen und Erzählungen, obwohl er bereits 1690 ausgestorben sein soll. Der letzte Bericht über ihn stammt aus 1681. Sogar der indische Miniaturmaler Mansur fehlt nicht unter den Künstlern, die ein Bild vom Dodo hinterlassen haben. In Wikipedia heißt es: “Von Berichten her weiß man, dass der Dodo blaugraues Gefieder hatte, einen 23 Zentimeter langen, schwärzlichen, gebogenen Schnabel mit einem rötlichen Punkt, sehr kleine nutzlose Flügel, gelbe Eier legte und einen Büschel mit gekräuselten Federn als Schwanz hatte. Dodos waren sehr groß und wogen über 20 Kilogramm. Wegen seiner schwachen Brustmuskulatur konnte der Dodo nicht fliegen. Das war auch nicht nötig, da er auf Mauritius keine Fressfeinde kannte.“

Dann kamen seine Fressfreunde. Das waren zunächst die Seefahrer, die die Mega-Pute zum Fressen gern hatten. Nicht nur den Vogel, auch seine Eier. Das war allerdings ziemlich verheerend, weil der Dodo im Jahr nur ein Ei legte. Im Vergleich: Das Superhuhn unserer Tage legt so etwa 300 Eier im Jahr. Man kann es auf Turbo schalten, indem man den Tag künstlich verkürzt - ein Huhn kann nur ein Ei pro Tag produzieren - und erhält so ein paar mehr. Was ist aber, wenn man nur ein Ei legt? Man ist erstens langlebig, und zweitens wirklich ohne großartige Feinde. So etwas können sich nicht einmal Wasserbüffel oder Nashörner leisten. Deswegen brüten sie das Ei im Mutterleib aus, damit es doch nicht schnell gegessen wird.

Neben dem Menschen, der dem Dodo zusetzte, waren zusammen mit ihm noch seine treuen Begleiter, Ratten und Schweine, auf Mauritius angekommen. Mit noch verheerenderer Wirkung. Die fressen nämlich gerne Eier.

Der Dodo, oder auch Dronte genannt, war etwa metergroß, konnte, wie gesagt, nicht fliegen. Musste auch nicht. Er legte sein jährliches Ei auf den Boden und wartete, bis ein Dodochen daraus geschlüpft kam. Ob er und sein Kind immer so fett war, wie die Abbildungen zeigen, ist umstritten, weil diese wohl Hausdodos zeigen. Ob der Vogel wegen der Dodoleberpastetenproduktion auf fett getrimmt wurde, ist nicht überliefert.

Wie viele ausgestorbene Tiere wäre der Dodo dem kollektiven Vergessen anheim gefallen und hätte nur noch in alten Büchern sein Wesen getrieben. Für sein Weiterleben sorgte Lewis Carroll in „Alice im Wunderland“. Da spielt er eine große Rolle. Daher ist der Dodo neben den Dinos das bekannteste ausgestorbene Tier.

Ein kleines Beispiel für die ökologische Vernetzung der Lebewesen soll die Beziehung zwischen unserem Vogel und einem Baum deutlich machen. Diese hat ein Zeit-Redakteur vor langer Zeit geschrieben. Einige behaupten, zusammen gereimt. „Zwischen den gefundenen Skelettresten lagen häufig fossile Samenkerne der tropischen Baumart Calvaria major. Auch sie war früher auf Mauritius nicht selten; heute jedoch stehen auf der ganzen 2045 Quadratkilometer großen Insel nicht mehr als dreizehn Exemplare dieses Baumes, von denen wiederum keines jünger als 300 Jahre ist. Der amerikanische Ökologe Stanley Temple von der Universität von Wisconsin fand jetzt einen Zusammenhang zwischen dem Aussterben des Vogels, und dem Rückgang des Baumes: Er meint in einem Bericht in der Wissenschaftszeitschrift Science, dass der Baum ausstirbt, weil ihm der Dodo fehlt. Der Dodo nämlich, so scheint es, war ein wichtiger Faktor in der Fortpflanzung des Baumes.

Die Samen des Calvaria-Baumes zeichnen sich gegenüber anderen Baumsamen durch eine extrem harte und dicke Schale aus, die so stabil ist, dass der Keimling sie nicht sprengen kann. Versuche, den Baum aus seinen Samen zu züchten, schlugen deshalb fehl. Temple meint nun, dass die Schale so hart sein musste, weil der Dodo die Samen fraß. Samen, die ein Tier verspeist, werden nämlich besonders weit verbreitet — und haben daher eine bessere Überlebenschance.

Für eine Baumart ist es also günstig, seine Früchte durch Tiere verbreiten zu lassen. Die Samen müssen jedoch besonders stabil sein, damit sie den Weg durch das Verdauungssystem unbeschädigt überstehen. Besonders hohe Anforderungen stellen dabei Mägen von Vögeln. Viele Vögel, zum Beispiel die Hühner, nehmen zusätzlich zur Nahrung Steinchen auf, die im Magen bleiben und dort helfen, Körner und Samen zu zermahlen. Solche Magensteine fanden Forscher übrigens in Saurierskeletten ebenso wie bei Dodo-Überresten.

Temple schließt daraus, dass die Samenschale des Calvaria-Baumes in einem Evolutionsprozess genau so dick wurde, um im Dodomagen nicht zerrieben, sondern gerade so weit angegriffen zu werden, um dem Keimling nach dem Ausscheiden des Samens das Durchbrechen der Hülle zu ermöglichen. Zur Untermauerung seiner These fütterte Temple einigen Truthähnen Calvaria-Samen. Erfolg: Nach dieser Behandlung mit Magensteinen und Verdauungssäften begannen, drei der Kerne zu keimen. Wahrscheinlich sind dies die ersten keimenden Calvaria-Samen seit dreihundert Jahren.“

Dodo und der Baum

Ach, ja. Der Journalist hat das zusammen geschrieben, was der Forscher zusammen gereimt hat. Alles nur Theorie? Man kann die Fortsetzung der Geschichte (Ursprung 1977) 30 Jahre danach in Wikipedia verfolgen: „In den 1970er Jahren gab es nur noch 13 lebende etwa 300 Jahre alte Bäume dieser Art, die sich nicht mehr fortpflanzten. Inzwischen wurde herausgefunden, dass die Samen der Bäume keimen können, wenn sie entweder an Truthühner verfüttert werden, oder wenn die dicke Samenschale manuell angeschliffen wird. Der Bestand der Bäume hat seither durch Pflanzungen der Forstverwaltung in Mauritius wieder zugenommen.“

Auch die Geschichte von Stanley Temple scheint zu stimmen: „Das Aussterben des Dodo, einer einheimischen flugunfähigen Taube, soll danach für den Rückgang der Calvariabäume verantwortlich sein. Der Dodo habe die Früchte gefressen und so die Samen, die in seinem Verdauungstrakt abgeschliffen wurden, auf die Keimung vorbereitet. Seit der Dodo ausgestorben war, konnten sich auch die Calvariabäume nicht mehr natürlich verjüngen.“

Andere Forscher haben gemeint, die Story könnte nicht stimmen. Für die Nicht-Entwicklung der Bäume wären später ausgestorbene Tiere verantwortlich gewesen. Irgendwie erinnert mich die Sache an den Spruch „Die Werke von Shakespeare wurden nicht von ihm geschrieben, sondern von einem Onkel mit dem gleichen Namen.“