George - Mir graut´s vor Dir! Wirklich!

 

Was treibt einen hierher?

Nachdem ich den armen Colin Powell, Secretary of State der USA, vor der UNO mit wichtiger Miene die Massenvernichtungswaffen von Irak vorführen gesehen hatte, verging mir jede Lust, den Fernseher wieder einzuschalten. Bei seinem denkwürdigsten Auftritt vor der UNO hatte der siegreiche Feldherr erklärt, wie die Iraker auf fahrenden Lastwagen Massenvernichtungswaffen produzierten. Als Beleg diente ein abgehörtes Gespräch, aus dem man entnehmen konnte, dass irgend jemand irgend etwas verstecken sollte. Genügt das nicht als Kriegsgrund? Eigentlich ja, denn sie mussten eine ungeahnt hochwertige Technologie entwickelt haben, die nicht nur erlaubte, Massenvernichtungswaffen nur mit der Energie aus der Batterie eines Lastwagens zu produzieren, sondern auch die Erzeugnisse unsichtbar zu machen. Denn gefunden wurde bis heute nichts. 

Als dann unsere Angie dem George ihre Aufwartung machte, hatte ich die Faxen richtig dicke. Weg! Weg, weg! Ich wollte mir nicht den Frühling versauen lassen. Was macht man aber im März ohne Fernseher, wenn man in die Ferne sehen will? Richtig! In die Ferne gehen. Aber wohin? Am besten dorthin, wo man untertauchen kann. Dann hört man garantiert nichts.

Ich rief bei der Kranich-Airline an und fragte, wie weit sie mich bringen könnten, auf dass ich Kriegsgetöse nicht höre. Die Tore der Welt standen für mich offen, weil niemand fliegen wollte - Säbelrasseln, erstens, und SARS zwotens. Freie Wahl! Ach, ja. Damals war die Vogelgrippe noch nicht in, dafür SARS.

Besuch der neuesten Teile von Deutschland

Das Gerede von Old Europe, mit dem der große Kriegsmeister der USA, Minister wer-war-das-noch, versuchte uns klein zu reden, brachte mich auf eine super Idee. Ich wollte die neuesten Teile von Deutschland sehen! Neu Hannover z. B., oder Neu Mecklenburg. Die liegen nämlich so weit weg, dass kaum jemand noch weiß, dass sie dem Reich gehörten. Nicht ganz gleichberechtigt, aber immerhin. Anders als die anderen Teile von Deutschland muss es dort schon immer paradiesisch gewesen sein, so jedenfalls nach der Zahl der Arten der Paradiesvögel zu urteilen, die dort leben. Neu Guinea trägt den Namen „Insel der Paradiesvögel“ mit Stolz. So stolz, dass sie auch die Fahne des Staates schmücken dürfen.

Also auf nach Papua-Neu Guinea, auch PNG genannt. Wie man dahin kommt? Leicht, wenn man die richtige Route nimmt. Da ich aber auch etwas Australien sehen wollte, wurde die Reiseroute etwas länger. Als Berliner fliegt man zuerst nach Frankfurt, weil die uns das Luftdrehkreuz weggeschnappt haben, das wir noch bauen wollen. Normalerweise geht es zwei Stunden später weiter, wenn man nicht mit der Lufthansa fliegt. Bei diesem speziellen Flug musste ich allerdings geschlagene 11 Stunden auf harten Bänken warten, weil sich die Dienstleistungsfirma etwas ganz Supernettes ausgedacht hat - das aber später. Am nächsten Morgen taumelt man dann in Singapur auf dem Flughafen durch die Gänge. Bei meiner Reise wieder eine Spezialsituation: Einer der größten Flughafen der Welt wie ausgestorben - Kriegsangst hie, SARS dort! Davor die obligatorische Schleife über Bangkok, um die Sextouris abzuladen. Denn Singapur ist absolut clean.

Wenn die Zeit in Singapur um ist, besteigt man den Bomber nach Brisbane am südlichen Ende des Great Barrier Reef. Jeder normale Mensch hat danach genug und will erst einmal ausspannen. Dafür hatte ich 12 Stunden eingerechnet, wovon ich aber 11 in Frankfurt hatte absitzen müssen. So blieb gerade mal eine Stunde zum Entspannen, bevor ich weiter fliegen musste. Und die ging für „besondere Maßnahmen“ des Zolls drauf. Dieser hatte gewisse Zweifel daran, dass ein Berliner für nur eine Stunde Aufenthalt nach Australien kommen würde, zumal der Inhalt meiner Taucherlampe unter dem Röntgengerät eher wie eine Sprengladung aussah und die Mistlampe nicht funktionierte. Ich hatte sie nämlich bereits in Berlin auseinander nehmen müssen, um das Leuchtmittel heraus zu nehmen. Jetzt ging das Ganze nicht und der Krieg stand unmittelbar bevor. Der Nachweis meiner Unschuld nahm noch die letzte Stunde in Anspruch. Die Polizei stoppte den Flieger nach PNG so lange. Nur noch vier Stunden Flug bis Port Moresby. Und danach noch etwa vier zum Zielort Kavieng. Na, bitte!

Leider wollte der Übergang von Old Europe nach PNG sind so problemlos vonstatten gehen. Der Trouble begann damit, dass mir die Stewardess in Berlin die bereits ausgestellten Bordkarten aus der Hand riss und berichtete, dass die Maschine etwas Verspätung hätte. Daher würde ich bald neue bekommen. Wer so etwas glaubt, ist dümmer als die Polizei erlaubt. Ich sollte das noch zu spüren bekommen. Das Flugzeug war nicht verspätet, sondern der Flug gestrichen. Sowas tun alle Airlines gerne, wenn sich nicht genügend Passagiere einfinden. Plötzlich gibt es einen technischen Defekt oder ähnlich. Wie wundersam …

Wer erfahren möchte, was Hölle ist, möge in die Hauptstadt der Insel der Paradiesvögel reisen. Port Moresby sieht nicht einmal auf den ersten Blick schön aus, obwohl schön exotisch. Die Favelas von Rio scheinen gegenüber dieser Stadt ein Ausbund an Ruhe und Ordnung zu bieten. Wer sicher reisen möchte, bewege sich in die Gebiete, wo die „Wilden“ leben. Dort ist PNG am zivilisiertesten.

Die nächste Maschine würde den Flieger nach Australien gerade noch schaffen. Deswegen wollte ich die Bordkarte dafür bekommen. Die Bodenstewardess vertröstete mich auf das Gate, wo aber niemand von meinem Problem gehört haben wollte. Dort wurde ich auf die Crew im Flugzeug verwiesen. Die wusste aber auch nichts von meinem Glück und erzählte die Mär, in Frankfurt am Gate würde man mich in Empfang nehmen und zum Flieger begleiten. Dort verwies man mich auf einen Schalter in etwa 100 m Entfernung.

Darauf folgte eine Szene, die ich gerne der Presse gezeigt hätte, wäre sie anwesend. An der Tastatur des Geräts, das mich einbuchen sollte, werkelte kein Profi, sondern ein Azubi. Die Dame dahinter erklärte diesem, wie man die Tastatur bedient. Meine lauter werdenden Einwände, mein Flieger nach Brisbane würde gleich abheben, wimmelte sie ab, als wäre ich eine lästige Fliege. Als sie mit ihrer Lektion fertig war, war mein Bomber bereits auf dem Wege nach Australien. Ganz professionell übergab mir die Dame dann zwei Essengutscheine a´15 €, womit man sich einen guten Teller bezahlen kann. Meinen Vorschlag, mir Zugang zur Lounge zu verschaffen, wies sie brüsk ab, als hätte ich den ganzen Schlamassel verursacht und nicht sie. Als ich ganz laut wurde, gab sie mir die Adresse der Stelle, wo ich nach meiner Rückkehr meine Beschwerde absetzen sollte. Wer sich darauf einlässt, ich noch viel dümmer. Diese Stelle ist, anders als die Schalter, mit Profis besetzt, die alle Register ziehen, um einen zu überreden, damit er keine Klage einreicht. Manchmal holt man auch eine Entschädigung raus. „Reisender, fliegst Du Lufthansa, nimm Deinen Anwalt mit.“ Und viele weiche Sitzkissen! Etwas Baldrian wäre auch nicht schlecht, reicht aber bei Weitem nicht. Warum nicht eine andere Airline? Nächstes Mal!

Port Moresby

In meinem recht luxuriösen Gefängnis sinnierte ich viele Stunden darüber, wie es kommen konnte, dass einem Fremdling nicht Gefahr droht von Menschenfressern oder Schrumpfkopfjägern, sondern von entwurzelten Städtern - und Moskitos. Ja, die waren auch da, allerdings zur Zeit meiner Reise (Regenzeit) weitgehend theoretisch. Ihre Stiche können nicht nur mit einem Juckreiz enden wie bei unseren,  sie übertragen auch nicht die unangenehme Form der Malaria, sondern die tödliche - malaria tropica! Ängstlichen Leuten sei gesagt, dass malaria tropica nicht immer tödlich ist, sondern bei jedem dritten Fall. Immerhin!

Während sich die Krankheit in Afrika auf eine Daseinsberechtigung berufen kann - wer sie überlebt ist immun gegen die noch tödlichere Schlafkrankheit der Tsetse Fliege -, ist sie hier wirklich fehl am Platze. Nur die Mücken haben es nicht begriffen. Zum Glück harrten die Unbelehrbaren noch in ihren Verstecken und wetzten ihre Rüssel in Erwartung der nächsten Touristensaison. Es soll eine einzige wahre Möglichkeit gegen die Plagegeister geben, ein dickes Fell. Die schöne Bräune, die entweder von Innen kommt (Möhren vertilgen) oder vom Solarium geholt werden muss, schützt nicht wie das von der Sonne gegerbte Fell, weil nur die Sonne die Haut verdickt.

Eingesperrt in meiner Luxusherberge mitten in einem Bidonville träumte ich von der einstigen Seefahrt, ausgeführt von Schiffen mit Namen wie Hyäne, einem Kanonenboot des Kaisers. Er hatte einst eine Flotte hierher geschickt, auf dass sich das Deutsche Reich auch an der boomenden Kolonialwirtschaft beteiligen konnte. Wie man weiß, war der Sache kein nachhaltiger Erfolg beschieden, sie blieb ein kurzer Ausflug nach Melanesien. Immerhin brachte sie den Namen des wahren Herrschers des Reichs in die Südsee, obwohl dieser, Otto von Bismarck, einst gesagt hatte: „Wir sind aber noch nicht reich genug, um uns den Luxus von Kolonien leisten zu können.“ Das Meer in der Gegend heißt heute noch Bismarck-See.

Der Eiserne Kanzler schickte 1884 die Zivilisation in diese Gegend - nach Art des Hauses - mit Fregatten und Kanonenbooten. Eines der Kanonenboote hieß Hyäne. Wer da nicht verstanden hat, dass die Zivilisation kommt, hatte Pech. Der Expeditionsleiter hieß Kapitän Schering wie die neulich an Bayer verkaufte Mega-Apotheke von Berlin. Kein Wunder, der Kapitän war der Bruder des Herrn mit dem gleichen Namen. Seiner Seemacht unter der Führung der S.M.S Elisabeth entgegneten die Einheimischen mit einer formidablen Armada aus Einbäumen. Was für ein Aufbäumen!

Man nahm den Nordosten in Besitz und hisste hier und da die Reichsflagge. So z.B. in Neu Hannover, Neu Mecklenburg - allerdings ohne Pomm, weil es auch noch ein Neupommern gab. Im Nu hatte der Kaiser Wilhelm sein Land, das Kaiser-Wilhelms-Land, im Norden der Insel Neu Guinea. Und im Norden davon liegt die Bismarck See, so genannt zu Ehren des Kanzlers. Dass die Bundeskanzlerin nicht Herrin über dieses Land sein kann, sondern nur eine Abgeordnete aus Mecklenburg-Vorpommern, hat die große Weltpolitik zu verantworten.

Kaiser-Wilhelms-Land blieb nicht das einzige Besitztum des Reichs, es kamen noch viele Inselwelten dazu, die heute Traumreisen für Taucher bieten, so auch Palau, Karolinen, Nauru, Solomonen, das Bismarck-Archipel. Nicht zu vergessen der Ort des tiefsten Grabens der Welt, die Marianen.

Man wusste schon damals, wie man mit Leuten aus solchen Gegenden umgehen musste. Leider konnte ich kein Bild mit Leuten aus Papua finden, aber das mit den Kongoweibern reicht ja auch. (Man merke den Marketingtrick, der heute „Sex sells“ heißt. Es werden 50 Menschen ausgestellt, aber nur die Frauen groß heraus gestellt.). Die Weichen waren bereits ein Jahrhundert früher gestellt worden, als man gelernt hatte, den Rassismus mit Bildern zu betreiben. Europa war halt das Zentrum der Welt und dessen Menschen wollten ihre Wurzeln in der Antike gehabt haben. Sie haben übrigens ihren edlen Ursprung nicht nur mit solchen hübschen Bildern belegt, sondern auch mit antiken Ruinenstädten, die im 19. Jahrhundert eigens gebaut wurden (z.B. der Ruinenberg in Sanssouci). Über die Griechen, deren Land Goethe einst mit der Seele hat suchen lassen, erzählte man nicht selten, sie seien ausgestorben, und die heutigen Griechen wären ein anderes Volk. So isses, wenn man von Barbaren beerbt wird.

Allerdings müssen sich die Herrschervölker unterschiedlich nett angestellt haben. So erfreuen sich die Engländer in vielen Ländern, die ich besucht habe, keiner besonderen Beliebtheit, während man den Franzosen, denen die Engländer manche Kolonie schon vor 150 Jahren abgejagt haben, immer noch nachweint. Sowohl auf den Seychellen oder Mauritius, als auch in der Karibik wird Creole gesprochen und gegessen. Für die Deutschen hingegen, konnte ich mangels Masse keine Informationen bekommen. Dafür hörte ich aber das größte Kompliment, das ein ehemaliges Kolonialvolk den ehemaligen Herrschern machen kann. Diese wurden allerdings nicht von ihnen verjagt, sondern von anderen Kolonialherren. Schwein gehabt!

Mein Ziel war am Ende des Kaiser-Wilhelms-Landes, vor Kavieng auf der Insel, die einst einen deutschen Namen hatte. Es ist so klein, dass man es auf keiner Karte finden kann, vielleicht auf den Messtischblättern der Kaiserlichen Marine, so sie diese gehabt hat. Das Inselchen heißt Lissenung. Um nach Lissenung kommen, muss man von Port Moresby nach Neu Mecklenburg, Pardon, New Ireland, fliegen, vorbei an Vulkanschloten wie in Rabaul, die noch dampfen. Was die bedeuten können, habe ich etwa zwei Jahre später kennen gelernt, andere auch: Die Welle, leider nicht La Ola, sondern ein Tsunami. Die Erde hier faucht und bebt und speit Feuer - nicht immer, aber immer ö…! Daher ist von den deutschen Siedlungen nicht viel übrig geblieben.

Auch ihre Namen wurden von den Briten sorgfältig getilgt. So wurde aus Neupommern New Britain. Neulauenburg nennt sich jetzt York Island, und der einstige Simpsonhafen hört auf den Namen Rabaul. Da, wo die Erde so nett Feuer speit. Wer auf die Idee kam, die Herbertshöhe Kokopo zu nennen, bleibt hoffentlich im Dunkeln. Wie kann man nur … Nur Neu Hannover hat seinen Namen (fast) behalten und heißt heute New Hanover, weil die Queen ja aus dem Hause Hannover stammt.

Nach der Landung in Kavieng habe ich erst einmal aufgeatmet. Eine ganz normale Stadt, sogar mit einem Country Club! Freundliche Menschen, die mich nicht so angucken, wie es meine Vorfahren mit deren Vorfahren gemacht haben. Endlich ein normaler Mensch. Es dauerte nicht lange und ich fand einen zweiten Menschen, der auch auf das winzige Eiland wollte - einen Aussie aus Brisbane. Abgeholt wurden wir von einem Wiener, dem Betreiber von Lissenung. Echt Multi-Kulti!

Ausstellungsplakat für einen Auftritt von Afrikanerinnen und Afrikaner im Panoptikum, Berlin 1913

Was wird aus Wilden, Kannibalen, Steinzeitmenschen und bösen Schrumpfkopfjägern, wenn man sie zivilisiert? Als ich endlich in Port Moresby ankam, sausten lauter zynische Gedanken durch meinen Kopf. Während unsere Urgroßväter noch die Kunst solcher Leute haben bewundern können, weil ihre Zivilisation noch nicht vollständig vernichtet war, ist es heute nicht einmal ratsam, das Hotel zu verlassen, weil die einstige Ordnung dem Chaos Platz gemacht hat. So lungerten bereits am Ausgang des Flughafens recht unangenehm aussehende Figuren auf der Wiese. Paradiesvögel hingegen sah man nicht.

Mich holte der Agent des Hotels mit einem robusten Fahrzeug ab. Nach einer kurzen Fahrt standen wir vor etwa drei Meter hohen eisernen Gittern, die sich knatternd öffneten, um sich sofort hinter uns zu schließen. Diese Gitter sollten meine nächsten 24 Stunden bestimmen, denn sie setzten sich auch im Gebäude fort. Einzelne Teile des Hotels waren hermetisch gegeneinander abgeschirmt. Nur Gäste mit entsprechenden Schlüsseln konnten diese überwinden. Ein Hauch von Gefängnis lag in der Luft, allerdings mit klimatisierten Zellen. Das Essen wurde auch nicht auf Blechtellern serviert, sondern eher ganz vornehm.

Angesichts der martialisch aussehenden Security Leute beschloss ich, das Hotel bis zum Abflug nicht zu verlassen. So blieben körperliche Schäden aus, allerdings nicht die mentalen, verursacht durch die vielen Fernseher, in denen nur MTV mit den unsäglichen Musikvideos lief. Und das bereits zum Frühstück. Wenn ich mir die anmutigen, dynamischen oder gar wilden Tänze der Einheimischen angucke, schwillt meine Brust vor Stolz ob der zivilisatorischen Dinge, die wir ihnen geschenkt haben. Stolz wie der Besitzer der ersten Frittenranch am Avenue des Champs Élysées. 

Vom Reichskanzler zur Bundeskanzlerin

Historische Bilder aus www.deutsche-schutzgebiete.de