Lissenung - Eine Insel so klein wie …

 

Während mich bei Borneo fasziniert hatte, dass sie eine der größten Inseln der Welt ist - genau genommen drittgrößte, wenn man Australien nicht mitzählt - beeindruckte mich Lissenung mit ihrer Kleinheit. Leider ist es nicht üblich, weil nicht möglich, die kleinsten Inseln der Welt zu klassifizieren. Auf den Malediven guckt von manchen (zukünftigen) Inseln ein Sandkörnchen aus dem Wasser, wogegen sich eine bei Karikaturisten einst beliebte Insel mit Palme wie ein Riese ausnimmt. Lissenung war schon etwas größer, als sie sich am Horizont zeigte. In natura ist sie gerade so groß, dass man ein Fussballfeld darauf anlegen könnte. Ob es den Vorschriften der FIFA genügen kann, sei dahin gestellt.

Der Name der Insel bedeutet so viel wie „Ort der Ruhe“, wobei ich leider nicht weiß, in welcher Sprache. Die Besitzer der Insel, Edith und Dietmar, stammen aus Wien, sprechen aber auch Pidgin. (Edith soll mittlerweile die Insel verlassen haben.) Sie, Dietmar und unser Freund aus Australien sollten für die nächsten zwei Wochen die einzigen Nicht-Einheimischen sein, die ich auf der Insel sehen sollte. Die Insel war Ort der Ruhe im wahrsten Sinne des Wortes. Und ich blieb der einzige Gast. Das ist natürlich nicht immer so. Es können bis 12 Gäste aufgenommen werden.

Leider gibt es auch im Paradies seltsame Vögel. Die größte Sorge von Dietmar und Edith wurde ihnen von der katholischen Kirche bereitet, die Rechte auf der Insel hatte. Man wollte die Beiden von der Insel runter haben. Und dann? Wie häufig bei Neidern, warfen sie Dietmar vor, zu erfolgreich zu sein. Wenn die Kirche damit eines Tages Erfolg haben sollte, wird Lissenung eine der vielen leeren Inselchen auf der Weltkarte sein.

Dass ich ganz allein war, war hauptsächlich dem ankommenden Krieg zu verdanken. Aber auch sonst würde die Insel wohl nicht ganz voll werden - es war Regenzeit in PNG. Und diese macht ihrem Namen alle Ehre. Wenn der Himmel die Schleusen öffnet, schwimmen die Fische nicht mehr um die Insel herum, sondern direkt darüber. Besonders lustig fühlt sich der Regen an, wenn man im offenen Tauchboot so mit 50 Sachen gegen die Welle von oben saust.

Tauchen im Regen

Ich will der Versuchung widerstehen, mein Problem mit dem Wetter der Tauchbasis anzulasten, wie es manche Besucher von Lissenung im Internet gemacht haben. Sie sind tatsächlich in der Regenzeit dorthin gefahren, um sich später über das Wetter auszulassen. Tropengüsse sind eben kein Vergnügen! Zum Glück dauern sie nicht so lange - mal drei, mal vier Stunden. Zuweilen hören sie aber auch nach 10 Minuten wieder auf. Auf PNG habe ich allerdings die heftigsten erlebt, die mir je begegnet sind. Dabei war ich bereits an zwei Stellen der Welt gewesen, denen die größte Regenmenge pro Jahr nachgesagt wird, so etwa 25 m insgesamt, was im Vergleich zu der „verregneten“ Stadt Hamburg mit 773 mm im Mittel gewaltig ist. Ob die 25 m stimmen, sei dahin gestellt, da in anderen Statistiken kleinere Zahlen erscheinen. Trotzdem: So etwa 10 m Regen an exponierten Bergstellen in den Tropen sind durchaus drin. Obwohl Lissenung ein schön flaches Inselchen ist, scheint es in der Regenzeit mit denen locker aufnehmen zu können.

Das Tauchen im Regen weist eine taucherische und eine sonstige Seite auf. Zuerst die sonstige: Wenn der Himmel die Wassermassen nicht mehr halten kann, biegt er sich durch und die ganze Insel verschwindet förmlich darin. Wenn diese ganz klein ist, bleibt einem nur der Kabuff als Rückzugsgebiet. Dort ist so luxuriös wieder nicht. Leute mit Luxusgelüsten sollten daher Inseln wie Lissenung meiden. Für die gibt es wunderbar überdachte, voll-klimatisierte Inseln auf den Malediven, auf denen man einen ganzen Urlaub verbringen kann, ohne jemals im Freien zu sein. Damit man von den Einheimischen nicht belästigt wird, sind die Inseln gegen den Rest des Staates recht gut abgeschottet. Kaffee und Kuchen wie zu Hause! Und jeden Tag ist Sonntag!

Wem sein Kabuff auf den Kopf fällt, geht zum Aufenthaltsbereich, der während meines Besuchs naturgemäß ziemlich verwaist aussah. Ich fühlte mich aber wohl darin, weil uns z.B. beim Dartspiel keine Störenfriede den Weg der Pfeile kreuzen konnten. Dass wir beim Backgammon standesgemäß geklappert haben, wurde auch nicht mit strafenden Blicken belegt.

Gegenüber Pulau Sapi, wo ich drei Tage ganz allein lebte, war Lissenung auch bei Regen ein ziemlich überlaufener Ort.

Nach dem Regen zeigt sich die Insel von ihrer feinsten Seite. Die Boote dümpeln lässig in der See. Und die Pflanzen leuchten in den schönsten Farben. Man kann die Regenzeit verfluchen - oder ihre wunderbaren Seiten genießen.

Das Tauchen selbst profitiert vom Regen leider nicht. Auf dem Wege zur Tauchstelle hilft das von einem PNG-Künstler wunderbar zusammen geschweißte Baldachin nicht, weil das Wasser nahezu waagrecht fliegt. Wenn man unter Wasser ist, verblassen die Farben der Korallen, als ob der Regen sie erreichen und ihre Farben auswaschen würde.

Da gibt es aber auch eine gute Abhilfe - Makrotauchen. Man kann genauso gut Mikro sagen, weil die Viecher, die man sehen möchte, mikroskopische Dimensionen aufweisen. Bei Dietmar habe ich gelernt, dass man bei einem Tauchgang nicht notwendigerweise Haie oder gar Walhaie sehen muss. Paar Nummern kleiner geht auch und macht Spaß! Man muss nur eine Lupe zur Hand haben, um winzige Wunder der Natur, manchmal nur einen Millimeter groß und sogar kleiner, in prächtigsten Farbkombinationen zu bewundern. Diesen Spaß verdirbt einem auch der kräftigste Guss nicht, den Petrus parat hat.

Fast ebenso mikroskopisch, aber dennoch ein mächtig großer Spielverderber, nimmt sich der gemeine Moskito aus, der den Regen naturgemäß liebt. Daher sind gut bewachsene Tropeninseln voll von diesen netten Tierchen. Nicht so in Lissenung. Die Insel wurde täglich von den abgefallenen Blättern befreit, die den Moskitos als Brutstätte dienen. Sehr gesund - denn malaria tropica ist tödlich, auch wenn nur in jedem dritten Fall.

Besonders schön sah die Insel aus, wenn sich der Regen den Nachmittag zum Niedergehen aussuchte. Der Ausblick schien zuweilen schöner als auf teuren Kitschpostkarten. Dann schnappte ich mir den einzigen Einbaum, der für die Gäste gedacht war und paddelte um die Insel herum. Aber nicht sehr lange, weil die Insel bald zu Ende war. Manchmal musste ich ein unfreiwilliges Bad nehmen, weil kleine Einbäume Wellen sehr ernst nehmen. Auch die Meister des Fachs, die Eingeborenen mussten oft ins Wasser, um dasselbe aus dem Boot zu treiben. Bei den dort herrschenden Temperaturen bedeutet dies nicht dasselbe wie an der Nordsee - nasskalt. Nur nass!

Die Einbäume in PNG sind übrigens wirklich Einbäume. Eigentlich wäre der Name Halbbaum richtiger, aber nur halb so schön. Bessere Einbäume habe ich indes auf Dominica gesehen, gebaut, nein ausgehöhlt, von Kariben, dem letzten Volk der dortigen Indianer.

Ich kam mir vor wie der Kleine Prinz, der auf dem Planeten mit dem seltsamen König einmal in der Stunde einen Sonnenauf- und Sonnenuntergang erlebte. Hier war ich König und Prinz zugleich.