Ein Tag auf Rarotonga

 

Rarotonga erscheint einem nicht wie eine Touri-Insel, sondern als ein Ort mit richtigen Menschen. Vielmehr sind es viele Orte, weil sich neben der Hauptstadt der Cook Islands, Avarua, etliche Dörfer das 65 qkm große Land teilen. Insgesamt leben hier 12.000 Menschen, etwa die Hälfte der Bevölkerung des ganzen Staates. (Bild Wikimedia Commons).

Wer einmal im Leben einen Staat, genau genommen fast einen, an einem Vormittag mit dem Fahrrad umrunden möchte, sollte sich ein solches Gerät leihen und in die Pedale treten. Das muss er nicht allzu heftig tun, denn die Hauptstraße der Insel ist flacher als die Straßen von Berlin. Sie führt an der unendlichen Lagune entlang etwa 33 km um die Insel. Wer es noch schneller haben möchte, kann sich ein Moped oder ein Auto leihen, nachdem er sich einen örtlichen Führerschein besorgt hat. Dieser kostet nur $$ und keinen Schweiß. Und lohnt sich nicht. Was soll man mit einem Auto auf einer Insel mit einem Durchmesser von 10 km?

Besser ist es, sich ein Pferd zu besorgen. Damit kann man die Lagune entlang reiten. Ein Galopp auf dem schneeweißen Strand - ein echter Südseetraum. Ganz verwegene stehen morgens früh auf und gehen einfach zu Fuß. Gute Wanderer sind abends wieder im Hotel, etwas weniger gewichtig und mit neuen Augen versehen, die ihrer Behandlung mit Pflastern und Salben entgegen sehen.

Avarua ist ein Städtchen, das mit allerlei Pracht der tropischen Vegetation gesegnet ist, viel Pracht aus Menschenhand aber lässt sich dort leider nicht finden. Egal wo lang man auch guckt, die Szenerie beherrscht der Vulkan Te Manga, der sich zwar mit seinen 653 m ü.M. gegenüber Mauna Loa, 17.000 m vom Sockel aus gemessen, bzw. 4.170 m ü.M., mickrig ausnimmt, aber aus jeder Perspektive anders schön ausschaut.

Wer weder reiten, radeln oder ein Mietauto kutschieren möchte, kann sich mit dem Bus fortbewegen, d.h. eigentlich nicht fort, sondern im Kreis herum. Der Bus fährt einmal in der Stunde ab und umrundet die Insel, daher der Name Island Bus. Mal rechts herum, mal links herum. Und hält immer dann, wenn man will. Anders als bei den Schafen in Ostfriesland, die den Deich rechtsherum oder linksherum abgrasen, und deswegen auf der anderen Seite längere Beine haben, fahren die Busse auf gleich großen Rädern, die Straße ist wirklich flach.

Aus dem Fenster guckend sieht man so die schönsten Lagunen, die einem irgendwo begegnen, dazu Motus, kleine, unbewohnte Inselchen, vier an der Zahl, und nur wenige Durchlässe in die türkisfarbenen Gewässer. Avarua schätzt sich besonders glücklich, weil gleich zwei der Durchlässe im Riff dort stehen, woraus sich zwei Häfen entwickelt haben. Vermutlich lag die historische Reihenfolge anders, zuerst waren die Durchlässe da, dann kamen die Menschen und die Häfen entwickelten sich, und dann gab es endlich Avarua. Die „Menschen“, das waren die Māori, die von hier aus mit 14 waka (Kanus) zur Besiedlung von Neuseeland aufgebrochen sein sollen, um das Land zu erobern. Vorher, so etwa 800 a.D., sollen die Polynesier erst einmal hierher gekommen sein. Wer vorher da gewesen sein soll, weiß keiner so genau. Auch wenn die Insel danach ausschaut, der Ort, aus dem Adam und Eva einst verjagt wurden, befand sich wo anders. Die Insel soll aber immerhin vor 5.000 Jahren besiedelt gewesen sein. Da nach Meinung von Kreationisten der Geburtstag der Erde auf den 23. Oktober 4004 (vor Chr.) zu verlegen ist, war Rarotonga demnach bereits im Erdaltertum besiedelt. Für moderne Menschen aber fängt die Geschichte einer Insel immer dann an, wenn ein Weißer sie betritt. Da weiß nicht immer weiß ist, muss der auch noch richtiger Weißer sein. Goodenough eben. Gut genug!

In der Nähe des Flughafens im Nordwesten liegt am Strand ein großer, schwarzer Stein (Blackrock), um den sich viele Legenden ranken. Von hier sollen die Seelen der toten Māori ihre letzte Reise westwärts über das Meer zum legendären Land Avaiiki oder Hawaiki, dem Ursprung aller Māori, antreten. Die Cook Islands sollen also dem sagenumwobenen Hawaiki entsprechen.

Alles in Allem, ein Ort der Verzauberung. Das ließen sich bestimmte Mafiosi aus Bella Italia nicht zweimal sagen und schmissen 1990 eine Maschinerie an, die ein schönes Resort mit dem Namen einer renommierten Hotelkette, Sheraton, erstellen sollte. Nun kann man eine Ruine besichtigen, in der 60 Mio $ der hiesigen Regierung stecken, aber nie wieder rauskommen werden. Pferde und Kühe lassen sich heute auf dem Gelände gut ergehen. Wasser von oben, Gras von unten, ergo: all inclusive!

Menschen, die aus dem, was sie für ein Paradies halten, nur großen Mist entwickeln, gibt es zu Genüge. Warum man gerade eines der schönsten Eilande der Welt zum Opfer auserkiesen musste, wird man wohl nie erfahren. Was soll´s? Obwohl wirklich klein, bietet die Insel viele tolle Sichten für den, der die Sheraton-Ruine geflissentlich übersieht. Vor allem, was das Grün anbetrifft. Kaum eine Insel, die sich mit Rarotonga messen kann. Ja, und nicht allzu viele Orte, die so viel Regen abbekommen, schlappe 2040 mm p.a. oder etwa drei bis vier Mal so viel wie in Berlin. Zum Glück nieselt es hier nicht so nieder, manchmal gießt es wie aus Kübeln. Grün ist eine schöne Farbe, wenn aber ein Land so schön grün ist, können viele graue Tage mit tief hängenden Wolken die Ursache sein. Nicht auf Rarotonga, hier scheint die Sonne zu Genüge, weil der Regen schneller fällt.

Rund umme Insel, rechts herum oder links herum?

 

Diese Schönheit wurde als erste Europäern Spaniern bekannt, die bereits 1595 die Cook Islands besucht haben, die damals natürlich nicht so hießen. Die Inseln mussten auf den Namenspatron, James Cook, noch weitere 160 Jahre warten. Danach kamen William Bligh, später sein Feind Fletcher Christian vorbei. Rarotonga will aber von Captain Phillip Goodenough in 1814 entdeckt worden sein. Offiziell. Den Entdeckern folgten die unvermeidlichen Missionare, deren 1835 erbaute Kirche noch in Avarua steht, gegenüber dem Palast der Queen, nicht der, sondern der Queen Makea. Sie wohnt nicht mehr dort, aber ihre Verwandtschaft. Rarotonga hat eine lange Tradition der Frauenherrschaft. Chief muss dort nicht Mann sein, manchmal waren sogar vier von fünf Chiefs Frauen.

Unser Resort war an der Westseite der Insel gebaut worden und besaß einen schönen großen Strand, blendend weiße Koralle, wie es sich gehört. Neben allerlei Lustbarkeiten, die die Resorts dieser Welt den Touristen bieten, wurde hier am Nachmittag eine große Zeremonie um einen Fisch abgehalten. Eine Gruppe Trommler versammelt sich um eine große Grube herum und feuert Tänzer an. Vier Männer tragen auf einer großen mit Blättern gepolsterten Trage den Hauptdarsteller des Tages und des folgenden Abends an die Grube, die vorher ordentlich befeuert worden war.

Dies sollte keine vorgezogene Bestrafung des Missetäters, diesmal eines riesigen Zackenbarsches, sein, dem die Qualen der Hölle demonstriert werden sollten. Vielmehr handelte es sich um eine Zeremonie der Zubereitung. Der Fisch wurde in reichlich viele Bananenblätter gewickelt, nachdem er in der Küche bereits gewürzt worden war. Danach wurde er unter heftigem Trommelfeuer und Tanz in das feurige Bett gesenkt. Am Ende wurde das Ganze mit Erde zugedeckt. Der Unterschied zu einer Begräbniszeremonie besteht darin, dass der Tote wieder aus der Grube heraus kommen darf, allerdings sah unser Fisch danach nicht aus, als könnte er einer Fischfrau noch imponieren.

Wieder wurde der Fisch mit der Trage auf die Schultern gehoben, nachdem er seine vier bis sechs Stunden in der einsamen Sauna verbracht hatte. Mit zwei Trommlern vorn und einer Tanzgruppe im Schlepptau ging es in den großen Saal, in dem sich die große Trauergemeinde versammelt hatte. Dem Hauptdarsteller konnten wir jetzt sehr nahe kommen, um die Teller zu füllen.

Obwohl ich Angler bin und viel Frischfisch esse, schmeckte mir dieser besonders gut. Ob es an meinem Hunger lag oder an der Zubereitung, mag dahin gestellt bleiben. Den Geschmack kann man schwer wieder vergessen.

Nachdem der Fisch den Weg allen irdischen Lebens fast bis zum Ende gegangen war, betraten die Trommler und Tänzer den Raum, diesmal in großer Zahl. Anders als die Südseeschönheiten, die für uns nicht allzu schön aussehen, weil dort echt mit Pfunden gewuchert wird, waren diese mit einer supertollen Figur gesegnet. Ein wahres Trommelfeuer, ich meine eine feurige Trommelmusik, ließ den Saal erbeben. Die Tänzerinnen und Tänzer bräuchten sich eigentlich nicht selbst bewegen, die Musik hätte sie lässig in Bewegung gesetzt.

Ob dieses glorreiche Ende dem Fisch etwas bedeutet hat, kann ich nicht berichten. Für meine Kinder und für mich stand das Ereignis am oberen Ende der Bewertungsskala der Erlebnisse einer langen Reise.

Das Ende eines großen Fisches