Anreisewege
Nachdem ich viele Stunden in Dämmerschlaf verbracht hatte, gab es Hoffnung, dass der Flieger am Nachmittag abheben würde. So verzehrte ich in dem einzigen Restaurant, das man ohne Passieren von Sicherheitskontrollen erreichen konnte, meine 15 €, d.h. ihren Gegenwert in der Gestalt eines japanischen Essens, dessen Ursprung mir etwas zweifelhaft vorkam. Bereits beim Ansteuern eines Tisches sprang mir ein Jüngling entgegen und sagte, bitte wo anders essen, wir filmen gerade. In die Restaurantszene passte ich offenbar nicht. Aber mit Lärm und Scheinwerfern gestört zu werden, war ich gut genug.
Gewöhnlich gucke ich bei längeren Aufenthalten mir die Frauen in meiner Umgebung an. Leider, leider war auch dies nicht so erfreulich, weil die meisten der wartenden Damen entweder einen Schnurrbart an ihrer Seite zu sitzen hatten oder ein Chador rundherum. Chador heißt so viel wie Zelt - und erfüllt wohl die gleiche Funktion. Es konnte ja heiter werden. Ich wusste zwar, dass die Reise ohne Alk und sonstige Freuden stattfinden würde, aber Frauen im Chador war doch ein bisschen zu viel. Denkste, im Land selber gibt es Damen, bei denen die kleine Öffnung vor den Augen noch durch eine Tüllgardine versperrt ist. Das Top-Modell besitzt eine doppelte Gardine. Ob die Stewardessen im Bomber auch so aussehen?
Der musste erst einmal kommen. Als er gegen Abend noch nicht da war, fing ich an, die Adresse des Veranstalters zu suchen. Eine ganze Nacht in dieser himmlischen Umgebung wollte ich nicht verbringen. Dann geschah das Wunder, eine große Crew mit einer Ladung arabischer Schönheiten in Uniform marschierte auf. Der Flieger war da und musste nur noch gereinigt werden.
Über den Flug kann ich nicht viel erzählen, weil ich ständig dem Koma nahe war. Ich hatte damit gerechnet gehabt, dass wir am Nachmittag irgendwie am Wasser sein würden. Nach der Abflugzeit, konnten wir nicht vor Mitternacht landen. Und dann? Ein bisschen müssten wir eigentlich fahren.
Am Flughafen angekommen, suchte ich vergeblich nach den üblichen Schaltern. Es gab welche für Saudis, OK; welche für „Businessmen“, aber keinen für Normalos. Ich stellte mich irgendwo an. Als ich dran war, zeigte mir der Grenzsoldat (es war kein Polizist wie sonst) ein Blatt, das ich hätte ausfüllen müssen. Gut, ausfüllen. Der Mann vor mir musste noch Fingerabdrücke da lassen und wurde auf einem Amtsfoto verewigt. Mich haben sie so reingelassen. Das Gepäck kam nach einer Zitterpartie fast komplett auf dem Band an. Leider fehlte meine Angelrute. So gegen 1:00 Uhr morgens wollte ich auf die verzichten. Aber die Angst vor der Todesstrafe war mächtiger. Was ist, wenn ein Heini sein Rauschgift in die Rute einschleust und damit erwischt wird? Am Ende wurde meine Rute als Sperrgut ausgegeben. Sie wiegt zwar nur wenige Gramm, ist aber wohl zu sperrig.
Draußen wurden wir von einem Agenten der Dream Divers empfangen, der uns gleich die Rückflugtickets abnahm. Er würde die Rückflugformalitäten erledigen, sagte er. Mittlerweile hatte ich meine Tauchgesellen gefunden. Kein Wunder, dass ich nicht vorher hatte entdecken können, wer zu der Tauchergruppe gehört. Ein Mittaucher war 73, ein 69-jähriger Berliner fiel noch als reifer Jugendlicher auf, weil da noch zwei Damen über 70 mit von der Partie waren.
Unser Gepäck wurde in einen Kleinbus verladen, d.h. in seinen Hänger, denn das Vehikel wäre bald zusammen gebrochen, weil wir so viel Zeugs bei uns hatten. Die Fahrt durch Jeddah startete um 2:00 Uhr als eine Art Hindernisfahrt, die Spuren der Verwüstung (eigentlich kann man die Wüste doch nicht verwüsten) in Form von kleinen Barrikaden lagen überall im Wege.
Gegen 4:00 Uhr hielt der Bus an, und ich dachte, wir wären am Meer. Am Meer schon, aber nicht am Ziel. Rauchpause. Da merkte ich, dass ich eigentlich mit einer Rauchertruppe unterwegs war.
Wie man hierher kommt …
… ich würde sagen, auf einem elendigen Weg! Normal: Man setzt sich in den Flieger und ist schnell vor Ort. Leider ist der Flieger erstens wo anders, in Frankfurt, und zweitens er landet nicht in Al Lith, sondern in Jeddah oder Dschidda. Und drittens, der Reiseveranstalter hat die Anreise an den Tag gelegt, an dem das Islamische Opferfest, ʿĪdu l-Aḍḥā bzw. عيد الأضحى, anfängt. Es wird zum Höhepunkt des Hadsch gefeiert, der Wallfahrt nach Mekka, welche jährlich am Zehnten des islamischen Monats Dhu l-hiddscha beginnt und vier Tage andauert. Genau an diesem Höhepunkt kommt man als Touri im Heiligen Land an! Ziemlich schwachsinnig!
Eigentlich kam man nicht an, denn zu der erwarteten Katastrophe kam eine wahrlich einmalige dazu. Nach heftigen Überschwemmungen ist es vor unserem Anreisetag in der saudi-arabischen Stadt Jeddah zu einem Chaos auf den Straßen gekommen. Autos wurden durch die Wassermassen mitgerissen und keilten ineinander. Die Straßen der Wüste verwandelten sich in reißende Ströme. In einer kurzen Zeit von vier Stunden fiel mehr als 90 Liter Regen pro Quadratmeter. Da das Kanalisationsnetz schlecht ausgebaut ist, konnten die Wassermassen nur oberflächlich abfließen. Noch besser, das heiß ersehnte Nass quoll aus der Toilette hoch in die Wohnungen. Sonst muss man auf den Segen von 90 mm Regen insgesamt zwei Jahre warten.
Um meinen Flieger von Frankfurt nach Jeddah nicht zu verpassen, hatte ich mich bereits um 6:00 Uhr in den Flieger von Berlin geschmissen, was bedeutete, dass man so um 4:00 Uhr morgens aufsteht. Das allzu frühe Aufstehen verdanke ich den Regeln der Tourismusindustrie. Kauft man sich ein Lufthansa-Ticket bei der Lufthansa selbst, darf man sich bereits 24 Stunden vorher einchecken. Kauft man dasselbe Ding bei einer Tochter von derselben Firma zum selben Preis, muss man früh antanzen. Was ich nie verstehe ist, dass das Einchecken im Internet den Firmen Geld sparen soll. Warum machen sie sich mehr Arbeit, wenn man sein Ticket woanders kauft? Das hässliche Wort Schikane wäre vielleicht angebracht.
Als ich mich in Frankfurt an den Schalter der Saudi Airways gestellt hatte, war die Welt noch in Ordnung. Man wollte gerade mit dem Einchecken beginnen, als jemand kam und den Stewardessen etwas ins Ohr flüsterte. Sie zogen sich zurück und verteilten Bons über 15 €. Kurz gesagt, man konnte sich auf eine mehrstündige Verspätung gefasst machen. Die Damen erzählten, der Flieger könne nicht kommen, weil er in Jeddah in der Flut stünde. Ha, haa … Flut in Jeddah - war doch zuletzt unter Noah passiert, oder? Die Airlines sind doch die Größten im Erfinden von Märchen, wenn sie Geld sparen wollen. Da die Saudis ja im Orient beheimatet sind, werden sie mehr als tausend und eins Märchen können.
Märchen oder nicht, wir konnten die wahnsinnig tolle Architektur des Frankfurter Flughafens mehrere Stunden genießen. Diese hatte noch in der Sichtbetonperiode der deutschen Architektur ihre grausliche Form gefunden, als der Airport gebaut wurde. Später fand eine deutsche Firma für Lichttechnik, dass man auch das schlimmste Grauen toppen kann und wettete ihren Ruf darauf. Die Wette haben sie gewonnen, der Ruf ist aber perdue! Wer die Steigerung von scheußlich für nicht möglich hält, möge in der dunklen Tageshälfte einen kleinen Spaziergang dort machen.
Ein echtes Schmankerl, das man nur selten erleben kann, sind die düster-grauen Hallen und Schluchten desselben Airports morgens früh nach einem langen Flug in der Nacht. Auch eingefleischte Gegner der Todesstrafe kommen bei deren Anblick zu der Überzeugung, eine kleine Lockerung des Verbots wäre doch angemessen, für bestimmte Berufsgruppen, die an dem Schlamassel beteiligt waren. Man soll zwar nicht unmenschlich sein, ist aber die mutwillige Verschandelung des Lebensraums menschlich?
Ich weiß nicht, warum mir gleich diese nette Tier einfiel, als ich die Raucher sah. Immerhin haben sie dafür gesorgt, dass ich meine Zigarillos, für den abendlichen Schmaus besorgt, zum größten teil wieder mit nach Hause nahm. Mitrauchen erspart das Rauchen.
Wir standen in einem winzigen Wüstenort mit einer Moschee, die wie eine Jahrmarktbude beleuchtet war. Immerhin, die Zivilisation war hier bereits vor uns angekommen. Der sonst gemütliche Vorraum der Moschee war mit dem Licht der gleißend weißen Neonlampen (vulgo Energiesparlampe oder Kompaktleuchtstofflampe) wahrlich hinreißend erleuchtet worden. Mittlerweile war ich 24 Stunden unterwegs und hatte nicht die geringste Lust, mich über Licht oder Architektur zu unterhalten. Was zu sehen war, war ja auch nicht der Rede wert.
Die Fahrt, die sonst etwas über drei Stunden dauern soll, hat etwa vier Stunden in Anspruch genommen, die Strecke war ja auch viel länger als sonst, weil man viel Geröll auf und ab fahren musste. Ganz so schlimm war es zwar nicht, aber die Straße war an vielen Stellen zerstört gewesen und mit Baustellen übersät.
Als der Morgen graute, hielt der Bus an einer Mole an. Da waren wir endlich. Und konnten gleich das Schiff entern. Leider nicht das richtige. Der Name fing zwar mit Dream an, war aber nicht eines der beiden Schiffe, die mit acht Kabinen ausgestattet ist, sondern Dream Island, eine Dau mit fünf Doppelkabinen und einer Vierbettkabine. Das andere Schiff lag ausgebrannt an der Mole.
Ich musste mit einem anderen in eine Kabine, in der wir nicht mal richtig stehen konnten. Für beide war der verfügbare Schrankraum gerade mal so groß wie eine Hausapotheke, in die man die Tabletten hochkant stellt. Grummel, grummel! Was hilft´s, wenn das Schiff ausgebrannt ist. Etwa den Weg wieder zurück nach Berlin?
Die Mannschaft war aber so nett, dass wir es beim Grummeln haben sein lassen. Sie bestand, wie wohl überall bei der christlichen und unchristlichen Seefahrt, aus Philippinos. Wir haben überhaupt kaum Saudis zu Gesicht bekommen, bis wir zurück in Jeddah waren. Man sagte uns, die täten ungern arbeiten.
Mit etwa 12 Knoten fuhren wir auf die See hinaus, zu den Farasan Banks. Nur wenige Stunden später hatten wir die erste Wasserberührung. Noch im Halbschlaf. Aber sich den Tauchtag vermiesen lassen, wollte keiner.
Yarramalong ist das Land der wilden Pferde