Ein Tag auf der Insel

 

Als die Sonne Anstalten machte, aufgehen zu wollen, packte die Nacht mit der Dunkelheit auch die Wolkendecke weg. Ein zauberhafter Morgen zog auf. Die Fische von Gestern hüpften noch in der Lagune herum, eine Schildkröte absolvierte den ersten Tauchgang des Tages am blendend weißen Strand und die beiden Seeadler, die die Schießorgie des Kölners heil überstanden hatten, betätigten sich ihrerseits als Killer - von kleinen süßen Fischlein, die auch gerne die Sonne hätten wieder untergehen sehen wollen.

Ich sah überraschenderweise vier Seeadler. Ein Geschenk des nächtlichen Regengusses. Der unaufhörlich nieder gehende Regen hatte bei einem ungünstigen Moment ein Sandkorn hochgeschossen, das exakt mein Auge getroffen hatte, als ich beim Träumen von einer grünen Tropeninsel die Augenlider weit aufgerissen hatte. Tagsüber merkt man so etwas sofort, aber nicht im Schlaf. So hatte das Sandkorn die ganze Nacht unschöne Kratzer auf meiner Hornhaut gezeichnet. So sah ich alle Gegenstände doppelt, weil dieses beschädigte Auge mein Leitauge war. Nun, ja: Warum soll man sich mit Alkohol voll pumpen, um die schönen Dinge des Lebens doppelt zu sehen?



Die Landung auf der Insel vollzog sich ein bisschen geordnet und ein bisschen chaotisch. Der geordnete Teil ging auf das Konto der Crew. Vor allem der Koch erwies sich als ein Meister der gekonnten Landnahme. Er blies zuerst einen Autoreifen auf, in dem er ein Tablett platzierte. Dieses belud er genauso wie ein zweites, das wir ihm auf den Kopf legen mussten, nachdem er ins Wasser gegangen war. Er schob den Autoreifen ans Ufer, wo helfende Hände den Inhalt teils auf einen Haufen luden, teils gleich in den Mund schoben.

Nach gelungener Entladung es Bootes machte sich der Koch daran, einige Feuerstellen zu bauen, während wir erst einmal die Insel erkunden wollten. Leider wurden wir gleich durch einen Schrei aus dem Inseltraum gerissen. Jemand war in eine Scherbe getreten. Nur unweit davon lag ein ganzer Scherbenhaufen, die sterblichen Überreste von etwa 40 Bierflaschen. Teils mit dem Hammer zerdeppert, teils mit Gewehrschüssen, wie man unschwer anhand der Patronenhülsen sehen konnte, die in der Nähe des Scherbenhaufens den Sand verunzierten. Der Schütze hatte, von der Entfernung zu urteilen, nur gelegentlich auf die Flaschen geschossen. Als ihm das auffiel, sagte Klaus „Verdammt, die Idioten werden doch nicht die Seeadler abgeschossen haben?“

Er schwamm sofort zum Boot zurück und funkte wild in der Gegend herum. Es dauerte nicht sehr lange und der Missetäter war entdeckt: Ein Kölner auf Urlaub. Er hatte sich eine Jacht gemietet, dazu eine passende Frau und eine Kanone, um der Frau zu zeigen, wer er nu ist. Am nächsten Tag hat die Küstenwache ihn beim Gästehaus des Thaikönigs abgeliefert. Zum Glück war der Mann auch beim Schießen zu blöd - gegen Mittag tauchten die beiden Seeadler der Insel am Himmel auf. Nicht unbedingt zur Freude der Fische …

Wir hatten mittlerweile einen recht tiefen Graben ausgehoben, um die Hinterlassenschaft des Kölners zu entsorgen. An ihn erinnern wohl nur noch die Inschriften an der Wand seiner Gefängniszelle.

Der Tauchgang am Nachmittag endete mit einer faustdicken Überraschung. Erstens hatte der Koch einen Kuchen gebacken, so mitten in der Wildnis. Zweitens sahen unserer getrübten Augen beim Auftauchen, dass sich Odin eine Überraschung mit uns erlaubt hatte. Er hatte die Wolken der letzten Nacht wieder zurück beordert. Hinten am Horizont dräute Gefahr. Klaus meinte, es könnte nachts regnen, daher sollten wir einen Unterstand bauen. Für ein ganzes Zelt hatte er kein Material, aber für ein Dach überm Kopf. Das ließe sich mit großen Blättern etwas erweitern.

Als guter Segler schätzte ich die Gefahr eines Regens gering ein und beteiligte mich nicht am Bau der Amateur-Hütte. Außerdem wußte ich, dass so ein Menschenklumpen in einer tropischen Nacht so viel innere Wärme und Feuchtigkeit entwickelt, dass man nicht weniger nass wird als im Regen.

Als es langsam Abend wurde, mussten wir wieder einmal zur Schaufel greifen. Diesmal wurde ein kreisförmiger Graben ausgehoben, und in dessen Mitte ein großes Loch. In diesem Loch loderte unser Lagerfeuer. Zwischen ihm und dem Graben entstand der Esstisch. Und der Graben ermöglichte uns aufrechtes Sitzen. Genialer Entwurf von Klaus.

Heute Nacht ging die Trockenperiode zu Ende. Es durfte so viel Bier getrunken werden, bis man am Himmel Sterne sah. Leider, leider, waren das keine echten Sterne. Die wollten heut Nacht nicht scheinen. Ansonsten kann ein Europäer selten etwas wunderbares erleben wie eine Sternennacht an einem tropischen Meer. Die Zahl der sichtbaren Sterne liegt mindestens 10 Mal so hoch wie bei uns, während die gefühlte Füllung des Himmels mit Sternen eher das Hundertfache vermuten lässt. Sterne wie Pailletten auf dunkelblauem Tuch. Leider nicht heute Nacht.

Meine Freunde krochen unter dem Dach der Behelfshütte zusammen, bis sich alle sicher vor dem Regen fühlten. Ich legte mich gemütlich auf dem Sand nieder und drehte mich auf den Rücken, auf dass eine Sternschnuppe vorbei kommt.

Donner und Doria - 2. Akt

 

Da wir beim Graben waren, legten wir noch etwas an, was man zum Leben unbedingt benötigt. Es war kein Garten Eden, aber ein Gärtchen, wo man -ähem - Erleichterung fand. Damit nicht mehrere hintereinander am selben Fleckchen Erleichterung finden konnten, wurde der Besuch mit der Aufstellung einer kleinen Holzstele im Sand beendet. Als wir abfuhren, sah die Stelle aus wie ein Pygmäenfriedhof. Aber keine Sorge - sie war mit Absicht in einem vertrockneten Bachlauf angelegt worden, damit der nächste große Regen alle Spuren der Invasion beseitigen konnte.

Als wir den ersten Tauchgang hinter uns hatten, war es Zeit, große Augen zu machen. Der Koch hatte auf seinen diversen Kochstellen viele Leckereien zubereitet, dass uns die Augen übergingen. Den fälligen Verdauungsspaziergang absolvierten wir in Form einer Expedition in den Urwald. Mächtige Würgefeigen ragten dort in den Himmel. Oder bereits jenseits? Diese Verwandten unserer Ficus benjaminii (Birkenfeige) verhalten sich wahrlich unbescheiden, was Höhe angeht. Der höchste, den ich gesehen habe, soll 108 m (!) sein. Er steht auf Borneo. Die „kleineren“ erreichen immerhin Höhen zwischen 30 und 60 m. Wie breit der breiteste Baum dieser Art ist, kann man kaum angeben. In Indien soll es welche geben, deren Fläche man in Hektar misst. In der Nähe von Waikiki Beach auf Oahu steht einer, der etliche Läden in sich verbirgt. Ihr Erscheinungsbild als imponierend zu bezeichnen, ist wahrlich eine arge Untertreibung für diese Baumart.

Bereits der erste Tag auf der Insel führte zu einer gründlichen Revision unserer Vorstellungen über die tropische Vegetation. Im fernen Europa denkt man eher an einen Karibikstrand mit Kokospalmen. Diese verdanken ihre Verbreitung aber nicht der Natur, sondern den Menschen. Noch heute fahren Malediver auf neu entstehende Inseln, um dort Kokosnüsse zu pflanzen, die dann ihre Kinder oder Enkel ernten, wenn die Insel mal fertig ist. Der natürliche tropische Wald ist reicher an Spezies, höher, dichter und auch schöner. Die Natur packt´s besser!

Was kam war eine Wiederauflage der letzten Nacht. Der einzige Unterschied bestand darin, dass der Regen nicht aufhörte. Ich versuchte, unter das Dach zu kriechen. „Njet“, sagten die grausamen Kumpels, „nach Deiner Meinung regnet es heute Nacht nicht. Also, warum willst Du unter das Dach?“ Ja, warum?

Ich versuchte, das fehlende Dach durch eine steife Geisteshaltung zu kompensieren. Die hilft zwar nicht, trocken zu bleiben, aber diesmal half sie, in strömendem Regen einzuschlafen. Immerhin hatte ich weniger Salz auf der Haut als die anderen. Da die Geisteshaltung allein nicht das Trommeln der Regentropfen auf meinem Gesicht vergessen machen konnte, habe ich mir eine großes Blatt abgeschnitten und übers Gesicht gelegt. Gute Nacht!