Durch die dunkle Nacht

 

Die Überfahrt auf die Inseln hatte ich mir irgendwie einfacher vorgestellt, weil ich mit solchen Angelegenheiten bereits sehr erfahren war. In Istanbul fährt man mit einer großen Passagierfähre und in großen lustigen Gruppen, weil die dortigen Inseln, die Prinzen Inseln, für die meisten Picknickort sind. Man ist lustig bis beschwipst, wenn man zurück fährt. Manchmal bereits auf der Hinfahrt. Die denkwürdigste Überfahrt habe ich auf den Seychellen erlebt, als ich mit einer großen Gruppe von Tauchern die neu entdeckten Inseln überfallen wollte. Man hatte gerade den Flughafen von Mahe eröffnet und angefangen, Tauchlustige ins Land zu holen.

Die Insel La Digue hatten wir als Ziel auserkoren, weil sie eine fast „unbewohnte“ Tropeninsel sein sollte, wo man nicht einmal eine Mole zum Landen gebaut hatte. So wurden wir bei Nacht - ohne Nebel - an einem Korallenriff abgesetzt und wateten jeder mit einem Seesack auf der Schulter durch die Korallen einer dunklen Insel entgegen, wobei wir nicht einmal die Silhoutte der Palmen erkennen konnten. Einige der Mitläufer auch nicht - sie waren schwarz - und die Nacht noch schwärzer. Ein Tropentraum schien aufzugehen. Als wir dann den weißen Sandstrand betraten, gingen überall Scheinwerfer an, und die Palmen vibrierten im Takt von heavy metal - die Band hieß Brown Boys und hatte sich hinter den Palmen versteckt. Unser Gastgeber, ein Seychellen-Franzose namens Pierre St´Ange, hat bis zu seinem Lebensende nicht verstanden, was wir denn gegen seine Willkommens-Überraschung hatten. Eigentlich nichts - außer dass wir eine unberührte tropische Insel haben vorfinden wollen. Und Nu? Brown Boys mit 110 dB (dicht über dem Lärmpegel eines Dampfhammers), Scheinwerfer wie im Theater und Tod der Romantik der Tropen. Versteht Du uns? Pierre verstand uns nicht!

Als wir ablegten machte Klaus klar, wer der Chef im Hause ist. Später, als Führer von Booten aller Art, habe ich seine Motivation gut verstehen gelernt. Wir durften nicht allein an die Reling, und vor allem, nicht allein pullern! Na, ja! Wie pullert man denn, wenn die Nachbarin zuguckt? Wie dem auch sei - niemand durfte sich der Reling nähern, ohne dass ein Zweiter zugegen war. Klaus sagte: „Ich will Euch alle lebendig. Aber ich werde heute Nacht nicht stoppen, um nach einem Ausschau zu halten. Schaut Euch doch rum … Wer kann hier einen Schiffsbrüchigen in der Nacht ausmachen?“ Amen!

Nüchtern mussten wir auch noch sein - wer will denn über Bord gehen, ohne dass ihn der Teufel holt? (Vier aus der Gruppe haben einige Jahre später dies wirklich erlebt und mussten acht Stunden um ihr Leben schwimmen, und das hier umme Ecke - kein Scherz also.)

Alles war halb so schlimm. Niemand wollte die Nacht mit Singha-Bier verschlimmern und auch noch schwimmen lernen für die Ewigkeit. Die Nüchternheit war allerdings doppelt so schlimm!

Als sich die Nacht über das Boot senkte, herrschte unendliche Stille auf der Andamanensee. Nicht umsonst heißen diese Breitengrade die „Kalmen“, calm wie ruhig. Um die Tropen herum herrscht fast immer Windstille - und die kennt man aus den Piratenfilmen und dem Segelkurs. Dumm, wenn man selber Darsteller in so einem Film wird. Das Wasser liegt wie Blei um einen, die Sonne liefert einen letzen Kampf mit der Zeit und geht schlafen. Das Bleierne steigt höher und höher und verschluckt die letzten roten Strahlen. Schwarze Nacht und ewige Stille - und drum drum drum des Diesels.

Donner und Doria!

 

Die Überfahrt zu den Similans stand unter einem anderen Stern. Zum einen erwartete ich eine Überraschung a´la La Digue. Zum anderen war ich auf der Flucht. Daher war mir alles egal. Sie endete mit großen Überraschungen anderer Art …

Diese Szenerie allein hätte noch keinen Anlass abgegeben, sich zu gruseln - aber in Verbindung mit einem Geräusch, dass immer näher zu kommen schien. Bevor es zum ersten Mal hörbar wurde, fing es in der Ferne an zu flackern. Wetterleuchten! Weit in der Ferne. Das Auge sieht auf dem offenen Meer bis zu 20 Meilen weit, vielleicht noch weiter, wenn die Luft rein ist. Wir fuhren so durch die reinste Luft, die es geben kann. Daher der Weitblick. Mein Gespür sagte mir aber noch mehr. Das Wetterleuchten kam nämlich nicht nur aus einer Richtung. Das hieß, wir waren von potenziellen Gewittergebieten umringt. So etwas sieht wunderbar aus, wenn man bei Tage reist. Backbord voraus, 10 Meilen, Platzregen. Achtern klarer Fall vom trüben Ende eines Sonnentages. Und auf der Steuerbordseite eine wunderbar sonnenbeschienene Insel. Alles gleichzeitig. In der Nacht sieht die Sache eher nach einer Szenerie aus einem Gruselfilm aus. Überall, wo die Blitze zucken, sieht man für Augenblicke die drohenden Wolkenhaufen. Dann, viel später rollen die Donnergeräusche heran. Zuerst ganz leise, dann immer lauter.

Bei uns hieß es früher, Heldentum bestünde zu 90% in Weglaufen und zu 10% überhaupt nicht da gewesen sein. Wie gern wäre ich in dieser Nacht ein Held! Ich träumte, ich wäre weg, weit im Norden, wo sich die kühlen Gletscher in kristallklare Seen verwandeln. Da kann es keine tropischen Stürme geben. Den anderen erging es auch nicht besser als mir. Als dann endlich der Regen kam, hatten wir uns auf dem Achterdeck zu einem Klumpen aus menschlichen Leibern zusammen gekauert, der immer dichter wurde. So ähnlich klumpen die Bienen zusammen, wenn es kalt wird. Uns wurde aber immer heißer. Denn tropische Regengüsse kühlen nicht. Ganz im Gegenteil! Ich schlief tief ein - auch eine Art Heldentat!

Als ich meine Augen wieder öffnete, sahen sie in eines der schönsten Bilder, die ich je gesehen habe. Die Sonne schien tief in eine Lagune, in der das Boot lag. Große Gruppen von schwarzen Doktorfischen tauchten auf und ab über Korallentücken, geküsst von der Sonne. Fledermausfische, groß wie ein formidables Tablett spielten um die Ankerleine herum. Und ein herrlich weißer, blendend weißer, Sandstrand wartete darauf, in Besitz genommen zu werden. Dahinter ragte der erste wahre Tropenwald, den ich gesehen habe, in den Himmel. Bis dahin dachte ich immer, tropische Wälder bestünden aus lauter Palmen - seitdem nie mehr. Obwohl die ganze Truppe mit Kameras bis an die Zähne bewaffnet war, hat an diesem Morgen niemand ein Foto geschossen.