Cities of the world
Cities of the world
London sieht man deutlich an, dass diese Stadt Hauptstadt eines der größten Imperien aller Zeiten gewesen ist. Der Spruch „Reich, über dem die Sonne nie untergeht“ war zwar für dessen Feind, Spanien, gemünzt worden. Aber das Britische Reich war wohl größer und weiter. Wie dem auch sei, London sieht grandios aus, auch wegen dieser Historie.
Ein Wort zu den Vorurteilen über London. Den berühmten Nebel gab es mal. War nicht Gott gemacht, sondern nur Folge des Drecks, den die Menschen mittlerweile abgestellt haben. Den berühmten Regen, den gibt es wohl nicht. Laut Statistik regnet es in Rom (880 mm gegen 753 mm) mehr Wasser im Jahr auf die armen Touris. Wer richtig Regen meint, guckt an die Orte mit mehr als 3 m per anno. Den Weltrekord hält eine indische Region (Cherrapunji) mit sage und schreibe 26.461 mm (1861). Da ist London eine Wüste. Und die steifen Briten? Die gibt es wohl nur in den alten Krimis (deutscher Machart). Dass London sehr billig ist, gab es nicht nur als Gerücht. Sondern real. Nur sind die Zeiten vorbei. Der London-Besucher muss richtig tief in die Tasche greifen. Und die schlimme britische Küche? Die gibt es noch, aber man muss sie suchen. Man kann hier richtig fein essen gehen - halt nicht so billig …
Dafür bekommt man hier echt was geboten. An der Themse vibriert die Stadt wie einst nur in Carnaby Street während der Swinging Sixties. Bei Shakespeares Head kann man seit 1735 sein pint bestellen, aber jetzt teuerer als sonstwo.
Keine Stadt in der EU ist größer als London, in der Metropolitan Area lebten im Jahre 2001 etwa vierzehn Millionen Menschen. Und was für welche! Das kann man beim Notting Hill Carnival feststellen. Die zieht etwa 1,5 Mio Zuschauer an, gegen die unser Karneval der Kulturen etwas ärmlich aussieht. Dafür müssen sich die Berliner nicht an eine der größten Dummheiten erinnern lassen, die man hat je begehen können - Afrikanern Musik zu verbieten. Notting Hill Carnival startet mit dem Panorama, dem Wettbewerb Londoner Steelbands. Diese entstanden einst in der Karibik, weil die Briten den afrikanischen Sklaven Musikinstrumente verboten hatten. Und daraus entstand die Steelband, d.h. Gruppen, die mit Bambusstöcken, Flaschen und Löffeln sowie Metallbehältern verschiedenster Art (wie Biskuitdosen und Seifenkesseln) Musik machen. In Notting Hill trommeln sie den Londonern den Brägen weich.
Natürlich lebt in London auch das britische Establishment, aber offenbar nicht gut genug, sodass sich noble Parlamentarier wegen schäbiger Spesenabrechnungen verantworten müssen. Bei meinem ersten Kontakt mit dem war es noch echt nobel zugegangen. Ich durfte die Aussagen einer Dame namens Mandy Rice-Davies meinem Vater übersetzen, der sie verhaftet hatte. Die ärmste hatte mit ihrer Freundin Christine Keeler die britische Regierung aus den Latschen gekippt. Die gesamte Story ist als „Profumo Skandal“ in die Geschichte eingegangen. Wenn man die Bilder der Damen aus den Spesenabrechnungen von heute mit der Keeler und Rice-Davies vergleicht, sieht man, wie tief das Empire gesunken ist.
Für mich das Wichtigste aus London befindet sich in Greenwich. Nicht wegen des Meridians. Der verlief einst, lange vor meiner Geburt, nahe meiner Geburtsstätte, weil damals dort der Nabel der Welt gewesen ist. Jetzt in Greenwich. Wichtiger ist Cutty Sark, der schnellste Teeclipper der Geschichte. Man kann sie (leider ab 2010 wieder) am Kai bewundern. Oben steht das berühmte Observatorium, wo das Problem des Meridians gelöst wurde, vielmehr nicht gelöst. Der König hatte diese Stätte gegründet, damit man lernt, in der Ost-West-Richtung zu navigieren. Der große Astronom, den er sich ausgesucht hatte, John Flamsteed, hatte nach Jahrzehnten Forschung immer noch die Meinung, seine Forschung tauge nix. Das erzürnte den noch größeren Meister, Sir Isaac Newton, der die Veröffentlichung der Beobachtungen von Flamsteed veranlasste. Anschließend veröffentlichte Newton sie, ohne Flamsteed als Entdecker zu nennen. Jahre später gelang es Flamsteed, die meisten Kopien der veröffentlichten Bücher zurückzukaufen, und er verbrannte sie schließlich öffentlich vor dem Royal Observatory. Die Lösung fand schließlich ein Uhrmacher und Schreiner: John Harrison wusste, dass Navigation nicht eine Frage der Astronomie ist, sondern der Zeit. Die musste man nur genau genug messen. Ich glaube, noch nie hat sich die Wissenschaft gründlicher blamiert als in diesem Fall. Und auch noch als mieser Verlierer benommen: Harrison bekam nie die vom König ausgeschriebenen 20.000 Pfund. Newton wird als großer Geist gefeiert, Flamsteed hingegen kennen nur Eingeweihte. Und Harrison? Ich fürchte, man kennt höchstens George.
Ach, ja. In London lebt natürlich auch die Queen. Die arme hatte schlimme Zeiten zu überstehen, als sich ihre Schwiegertochter unsanft von der Welt verabschiedet hatte. 15.000 Tonnen Blumen für eine Frau! Die kamen damals zusammen. Zum Glück kam keiner auf die Idee, alle vor dem Buckingham Palast aufzutürmen.
Eine ihrer Vorfahren, die wohl mächtigste Queen der Briten, Viktoria, aus dem Hause Hannover, herrschte über 63 Jahre als Herrscherin über mehr als ein Fünftel der Erde und ein Drittel der Weltbevölkerung. Während ihrer Regierungszeit erlebten die Ober- und Mittelschichten Englands eine beispiellose wirtschaftliche Blütezeit, und das Britische Weltreich stand auf dem Höhepunkt seiner Macht. Und davon künden viele viele Einrichtungen und Bauten in London. Und Viktoria wird mit C geschrieben, das Haus Hannover mit nur einem N. Immerhin hat die Herkunft der Queen dazu geführt, dass in Papua nicht alle deutschen Namen getilgt worden sind. Ein Gebiet heißt New Hanover. Ein N weniger, aber immerhin!
Seht die Welt durch meine Augen
Städte lassen sich an ihrem Gang erkennen wie Menschen.
Robert Musil