Cities of the world

 
 

Als Kind habe ich davon geträumt, New York zu sehen. Als ich dort war, hatte ich längst vergessen warum. Ich stand auf der Aussichtsplattform vom Empire State Building, guckte die Straßenschluchten entlang und dachte „Da war doch noch etwas, da war doch …“ Dann fiel mir ein, warum ich ausgerechnet nach New York wollte. Schnell riss ich mir ein Blatt aus einer Broschüre, faltete einen Flieger und ließ ihn los. Er flog Richtung Hafen, bis er so klein war, dass ich ihn nicht mehr erkennen konnte. Die Papierflieger meiner Jugend flogen leider nur paar Meter. Daher die Sehnsucht.

Andere Flieger haben dafür gesorgt, dass die ideellen Nachfahren des Empire State Building, die Zwillingtürme  des World Trade Centers, nicht mehr stehen. Sie haben eine stolze Nation derart traumatisiert, dass das einstige Volk von Mavericks sich eher ausnimmt wie eine Ansammlung von Neurotikern. Dort im Ground Zero entstehen jetzt neue Gebäude, aber sehr langsam. Heute kam eine Meldung durch, die einen härteren Schlag für die USA bedeutet: GM ist pleite. Und das zuständige Insolvenzgericht ist in New York. Dass das Empire State Building ist wieder das höchste Gebäude der Stadt ist, ist eine Ironie der Geschichte - immer weiter, immer höher, und dann bummm!

Über die Stadt ist so viel geschrieben worden, dass eine Wiederholung eher unangemessen wäre. Daher nur Bemerkungen, die man eher seltener findet. Der wohl weltweit dominierendste Wirtschaftszweig der USA, die Film- und Unterhaltungsindustrie, sitzt nicht allein in Los Angeles (Hollywood) sondern auch und gerade in New York. Die größte Pleite der Weltgeschichte, die GM-Insolvenz, wird hier inszeniert. Der größte Betrug, einer von unvorstellbaren Maßen, wurde von Bernard Madoff in New York veranstaltet, dem ehemaligen Chef der US-Technologiebörse „Nasdaq“. Er hat mit einem simplen Trick 50 Milliarden $ ergaunert. Für mich ist die Sache eher die größte Dämlichkeit aller Zeiten, weil der Trick von Madoff schon einige Jahrhunderte bekannt war. Dennoch fielen gerade die Banken mit den feinsten Computern „business intelligence“ darauf ein.

Ob die Dame, die den Neuankömmlingen aus der Alten Welt das Licht reichte, auch Betrug ist, muss man diskutieren. Wenn, dann nicht von Amerikanern begangen. Sie wurde als Geschenk des französischen Volkes an die Amerikaner in Paris gebaut und nach New York verschifft. Deswegen ist sie dünnhäutig und stützt sich auf ein Gestell von Gustave Eiffel. Ausgedacht war sie mitnichten als Miss Liberty. Der Baumeister des Suez Kanals, Ferdinand de Lesseps, hatte außer der Kleinigkeit des Baus eines 163 km langen Kanals zwischen dem Roten Meer und dem Mittelmeer noch etwas Großes vor: An der Mündung des Kanals am Mittelmeer sollte eine große Frauenstatue stehen, die darstellen sollte, dass das Licht Asiens aus Ägypten kommt. Der Franzose Frédéric Auguste Bartholdi, der als junger Künstler Ägypten schätzen gelernt hatte, bekam den Auftrag, die Statue zu erstellen. Einen Teil der Kosten soll der Sultan bezahlt haben. Dem Khediven von Ägypten aber war eine Frauenstatue zu viel für ein islamisches Land und er befahl Ferdinand, die Statue dort zu lassen, wo sie war. Später grub Édouard René Lefebvre de Laboulaye die Idee aus. Der Sockel ist aber sehr amerikanisch, und das Geld dafür hat niemand weniger als Joseph Pulitzer gesammelt.

Einige Dinge, für die New York berühmt ist, haben sich zum Positiven gewendet. „Mordhauptstadt“ ist die Stadt schon lange nicht mehr. Vielleicht war sie es nie. Und die Slums von Harlem? „Rats & Roaches. The jungle is, above all, inexorably and everlastingly dreary. There is no fun, no glamour here. There is little excitement even in the violence and sin.“ (TIME, 1964), keine Banken, keine Kaufhäuser, keine Restaurants, zwei Drittel der Häuser im Besitz der Stadt, Fenster und Türen vernagelt, Gärten verwildert und ganze Häuserzeilen verfallen. Nicht mehr! Der amerikanische Geist hat Mord, Zerfall und Hoffnungslosigkeit umgedreht.  Und Bill Clinton hat, als „Past President“, sein Büro in Harlem eröffnet. Auch die zerfallenen Docks, die nach dem Ende der Passagierschifffahrt über den Atlantik aufgegeben worden waren, sehen heute ganz ganz anders aus.

Nicht zu glauben in dem Autoland USA - Times Square, ein Meer aus Autos, zwischen denen sich muntere Menschenmassen schlängeln, wird Fußgängerzone. GM kann sich ja nicht mehr dagegen stemmen. Der New Yorker Broadway hat ungeachtet der schweren Wirtschafts- und Finanzkrise 2009 die beste Spielzeit seiner Geschichte hinter sich. Vielleicht hilft die Fußgängerzone das zu toppen.

Hier hat die Frau gelebt, die ich etwa seit meinem 16. Lebensjahr geliebt habe. Freilich hatte ich keine Chance, sie jemals zu sehen, sie war gestorben lange bevor meine Urgroßmutter geboren wurde. Mich beeindruckte allein der Name Annabel Lee und ihre Todesursache, der Seewind.

It was many and many a year ago,

In a kingdom by the sea,

That a maiden there lived whom you may know

By the name of ANNABEL LEE;

And this maiden she lived with no other thought

Than to love and be loved by me.

I was a child and she was a child,

In this kingdom by the sea;

But we loved with a love that was more than love-

I and my Annabel Lee;

With a love that the winged seraphs of heaven

Coveted her and me.

And this was the reason that, long ago,

In this kingdom by the sea,

A wind blew out of a cloud, chilling

My beautiful Annabel Lee;

So that her highborn kinsman came

And bore her away from me,

To shut her up in a sepulchre

In this kingdom by the sea.

The angels, not half so happy in heaven,

Went envying her and me-

Yes!- that was the reason (as all men know,

In this kingdom by the sea)

That the wind came out of the cloud by night,

Chilling and killing my Annabel Lee.


Annabel Lee war die Frau von Edgar Allen Poe und hieß Virginia Clemm Poe. Man kann das Haus besichtigen, in dem sie starb. Poe Cottage - eine der vielen vielen kulturellen Punkte in New York.

Das schönste Denkmal für New York lässt sich nicht besichtigen. Es ist das literarische Werk von William Sydney Porter, besser bekannt als O. Henry. Man lese nur „Two Thanksgiving Day Gentlemen“ mit Stuffy Pete oder „The Last Leaf“, in der ein mittelloser alter Maler aus Greenwich Village der jungen Frau Sue das Leben rettet und - seins verliert.

 

Seht die Welt durch meine Augen

Städte lassen sich an ihrem Gang erkennen wie Menschen.

Robert Musil