Cities of the world

 
 

Paris kannte ich bevor ich lesen und schreiben konnte, die bezaubernde Gigi alias Leslie Caron hat es mir angetan. Zu meiner Kindheit war Paris auch deswegen in, weil dort eine immer noch nicht vergessene Nachtigall sang, Edith Piaf. Meine Tanten trällerten ihre Lieder, mussten sich aber von der ältesten Tante, die Französisch studiert hatte, erzählen lassen, das seien unanständige Sachen. Später habe ich noch Jacques Brel und Yves Montand bewundern gelernt. Kurz danach kam À bout de souffle von Jean-Luc Godard mit der unvergesslichen Jean Seberg in die Kinos. Bis ich nach Deutschland kam, gab es für mich nur noch Nouvelle Vague und damit viel, viel Paris zu sehen.

Der Vater eines Freundes war ein berühmter Dichter und schwärmte immer von Paris, wo er studiert hatte. Ich stellte mir die Stadt vor, in der dieser imposante Mann nur eine Kleinigkeit neben Jean-Claude Brialy, Jean-Pierre Léaud oder Michel Piccoli darstellen konnte. Ich frass alle Filme von Chabrol, Truffaut, Godard und Rohmer in mich hinein. Dennoch dauerte es sehr lange, bis ich nach Paris fuhr. Vielleicht aus Respekt, oder aus Angst? Oder weil ich eher andere Landschaften bevorzugte. Denn Nouvelle Vague war meine offizielle Leidenschaft gewesen, während ich nachts heimlich in Kinos ging, wo Western liefen. Die unendliche Prairie in Nevada oder die Berge in Wyoming zogen mich eher an. So ist der Besuch einer Bar, auf die ich am meisten stolz bin, nicht etwa von Maxim in Paris gewesen, sondern eine Kneipe in Moab, in der sich John Wayne seinen Namen in die Theke gekratzt hatte, als er Red Rover drehte.

Spät, aber nicht zu spät. So etwa 20 bis 30 Mal muss ich Paris gewesen sein, weil ich dort viele Treffen besuchten musste. Bei meinem ersten Besuch geriet ich in einen Randbezirk, Banlieue, wo die Häuser aussahen wie in einem bestimmten Gebiet von Istanbul. In Rueil Malmaison. Dort erlebte ich auch, wie man abstürzt. Kurz vor dem Mittagessen kam der Barkeeper in unseren Gesprächsraum und fragte, ob er uns etwas mixen sollte. Ja! Wir tranken das Gebräu und fanden es fantastisch. O.K. sagte er, dann serviere ich es. Oh, weh! Die Sitzung ging gründlich daneben. Aber die anschließende Tour zu Fuss durch Paris war eine Offenbarung. Ich marschierte eine Strecke von etwa 20 km bis die Nacht so dunkel war, dass ich Angst um meine Sicherheit hatte. Die Metrostationen hatten bereits geschlossen. Da ich hier und da nachgetankt hatte, machte ich mir aber keine Gedanken - man schwebt so leicht über den Realitäten. Die Nacht endete in Quartier Latin, wo die Franzosen, anders als in Filmen, viel Bier trinken.

Bleibenden Eindruck hat bei mir ein Restaurant hinterlassen. La Coupole - ein Denkmal und keine Fresshalle. Dort haben wir mit einem Freund zusammen ein dreistöckiges Fischmenu bestellt, das etwa für sechs Leute reichen würde. Der Kellner guckte sich in der Gegend um, um die weiteren Mitesser zu platzieren. Wir deuteten an, die Sache ginge in Ordnung. Um ihn noch mehr zu irritieren, bestellten wir Rotwein zum Fisch. Seine Augen verfinsterten sich, wir taten so, als hätten wir unseren Fauxpas gemerkt. Und änderten die Bestellung in Bier. Jetzt hob er die Augenbrauen an und sagte laut „Terroristen“. Er brachte uns eine formidable Flasche Weißwein und der Abend geriet zu einem echten Highlight.

Leider kann man in Paris nicht überall so gut essen wie in La Coupole. Das Essen ist teuer - und zuweilen schlecht. Wer gut essen will, ist auf Empfehlung angewiesen. Der übliche Touri wird eben wie ein üblicher Touri abgespeist.

Wer lange Nachts unterwegs ist, muss sich daran gewöhnen, dass er bestimmte No-Go Areas für Weiße gibt. Zwar kenne ich niemanden, dem man etwas angetan hätte. Trotzdem sahen die Straßen nicht so kuschelig aus. Vielleicht ist mir nie etwas passiert, weil ich aus Städten wie Rio oder Johannesburg gelernt habe. Nur billigste Klamotten anziehen, möglichst vor Ort gekauft, und nichts Glitzerndes an sich. Man wird in diesem Aufzug leider nicht in allen Restaurants höflich bedient, aber besser als eine Vorzugsbehandlung im Krankenhaus ist es allemal.

Über die vielen Dinge, die man sich ansehen sollte, braucht man nicht zu schreiben. Es steht in tausend und eins Reiseberichten. Aber vielleicht darüber, wie man Paris am intensivsten erleben kann. Zu Fuß! Wie der Name meiner Reiseberichte heißt - Walkabout - kann man seine Touren planen wie ein Aborigine. Man kauft sich ein Tagesticket für die Metro, legt sich einen etwaigen Zeitrum fest, wo man an die Rückfahrt zum Hotel denken müsste, und los geht´s! Wenn die Füße einen nicht mehr tragen wollen, dann zwei Stationen mit der Metro. Wer etwas mehr Geld ausgeben will, kauft sich ein Ticket für die hop-on-hop-off-Busse (z.B. Lescarsrouges), die im 10-Minuten-Takt die Stadt durchpflügen. Man kriegt zu Beginn Kopfhörer ausgeliefert, die man in jedem Bus benutzen kann.

Ganz eine 24-Stunden Stadt wie New York ist Paris nicht, aber fast.



 

Seht die Welt durch meine Augen

Städte lassen sich an ihrem Gang erkennen wie Menschen.

Robert Musil