Cities of the world

 
 

Victoria heißen viele Städte dieser Welt. Diese ist erstens eine Hauptstadt, und zweitens die kleinste der Welt. Sie befindet sich auf der Insel Mahé, der größten Insel der Seychellen. Mahé ist zwar nicht groß, nennt aber 65 Strände ihr eigen, darunter welche von Weltklasse. Kennen gelernt habe ich die Stadt zuerst durch ihren Flughafen, was nicht ungewöhnlich ist. Aber ungewöhnlich ist, dass die Piste praktisch ins Wasser gebaut wurde. Als ich zum ersten Mal dort landete, war die Piste noch nagelneu, und unsere Truppe ein Objekt der Bewunderung. Heute würde sich niemand mehr nach uns umdrehen. 30 % der Seychellois arbeiten im Tourigewerbe und holen so 70% des Einkommens rein.

In Victoria und Mahé wurde viel Geld in Hotels, meistens *****, investiert. Für Leute, die in 1000-Sterne Herbergen übernachten, gibt es wenig Platz. Die Bars der Hotels sind das Gegenteil von Victoria, groß. Eine Sause durch die Bars von Victoria, führte mich zu zwei schillernden Figuren, die man als Touri sonst nie kennen lernen kann. Man solle ja nicht denken, dass diese Bars etwa den hiesigen entsprachen. Sie sahen für mich so immens groß aus, dass ich mich an eine Geschichte von O´Henry erinnerte, bei der er den Kellner in einer Bar mit einem Taschenspiegel anlocken musste. Da wir nachts unterwegs waren, kam diese Methode nicht zum Einsatz. Allerdings brauchten wir uns gar nicht so bemühen, weil wir überall gut bedient wurden. Die Sache war dem Umstand zu verdanken, dass mich der Sohn von Pierre, unserem Hotelier, ausführte und dieser Pierre eine wichtige Position in der Partei  inne hatte, die die Unabhängigkeit vorbereitete.

Überall, wo wir ankamen, stand eine schwere Limousine mit einem Kaugummi kauenden Fahrer vor dem Etablissement, und mein Begleiter zischte zwischen den Zähnen „Mancham f…ing“. Die Sache verstand ich nicht, bis wir in einer Bar etwas seltsam bedient wurden. Während alle am Tisch ihr Bier hingestellt bekamen, wurde einem starken Kerl im karierten Hemd sein Bier ins Glas eingegossen. Und das immer wieder. So fragte ich meinen Begleiter, wieso dieser Mann eine Sonderbehandlung genoss. Er sagte lapidar, der Mann sei Mancham, der Chief Minister. Der Ministerpräsident also. Er würde abends die ganzen Hotels abklappern und seine Bräute aufsuchen, bis ihn der Durst übermannt. Nu sei er mit uns und der Fahrer vor der Tür.

Noch bizarrer gestaltete sich die Begegnung mit einem anderen Herrn, der gekleidet war wie ein römischer Feldherr mit Toga. Ganz in Weiß gehüllt, zog er von Bar zu Bar mit einem Haufen an Begleitern, die er trefflich unterhielt. Ich taufte ihn Methusalix und bewunderte seine Ausdauer. Beim Morgengrauen war der Alte noch ganz mobil.

Als wir gegen Morgen Richtung La Digue, meiner Insel, ablegten, sah ich ihn in einem Dingi zu einer Dau im Hafen fahren. Ja, das war ein Schiff, auf dem zwischen 15 bis 20 junge Frauen und eine große Kinderschar ein Stelldichein gaben. Methusalix war der Herr über dieses Schiff und wohl der Vater aller Kinder. Er war Italiener, verheiratet mit einer englischen Lady, Besitzerin einer formidablen Teeplantage in Afrika und ständig unterwegs zwischen Mombasa bis Thailand. Vielleicht gibt es mehr Menschen, die ein solches Leben führen können, das Besondere an Methusalix war aber, dass sein Alter über 70 betrug. Und das alles ohne Zaubertrank!

Nach solchen Begegnungen wird mir niemand glauben wollen, die Stadt allzu nüchtern betrachtet zu haben. Tatsächlich kam sie mir übergroß vor, obwohl ich aus einer Millionenstadt stamme. Sie ist aber winzig.

Wer Angst vor Tropenkrankheiten, giftigem Getier, Hurricanes, Malaria oder Kriminellen hat, sollte Seychellen …? Was? Unbedingt aufsuchen. Die Regierung in Victoria hat etwa die Hälfte des Landes zum Naturschutzgebiet erklärt, sodass man sich damit Zeit lassen kann.

Der botanische Garten von Victoria überzeugt nicht. Wozu auch? Die ganze Insel stellt einen riesigen botanischen Garten dar. Das Wasser fließt reichlich (2000 mm bis 3000 mm jährlich, an einem Punkt sollen es 25.000 mm sein), die Luft ist sauber und warm, und es gibt viele endemische Arten von Pflanzen.

Unter Wasser, ich meine dem Meeresspiegel, ist die Insel ein Gedicht, auch wenn bestimmte Menschen nicht auf ihre Kosten kommen: Die Harpunierer. Noch als der Tourismus in den Kinderschuhen steckte, konnte man erleben, dass nachts die Polizei in der Hütte auftauchte, um nach Harpunen zu suchen. Auch die Sammler von Schnecken haben nicht viel zu lachen. Spätestens auf dem Flughafen wird man die Gehäuse los.

Der größte Teil der Menschen in Victoria ist schwarz, allerdings nicht unbedingt afrikanisch schwarz. Viele Inder sehen auch schwarz aus, zuweilen auch sich chinesisch anmutende Figuren: Kein Wunder, die Stadt und das Land haben nie eine Urbevölkerung gehabt. Die Neuen haben sich munter vermischt. Raus kam … keine Menschenrasse, sondern viele wunderschöne Menschen, die Merkmale allerlei Völker im Gesicht tragen. Von blond bis tiefschwarz, rundschädelig bis quadratschädelig, was einem so alles einfallen könnte. Leider lässt sich so etwas nicht unter Naturschutz stellen. Schade eigentlich …

Nicht umsonst behaupten manche, dass das Paradies hier gewesen sei. Zwar nicht in Victoria, aber in 40 km Entfernung auf der Insel Praslin: Valleé de Mai. Könnte zutreffen! Nicht nur deswegen, weil die Coco de Mer wie der Ursprung menschlichen Lebens aussieht …

 

Seht die Welt durch meine Augen

Städte lassen sich an ihrem Gang erkennen wie Menschen.

Robert Musil