Zu Beginn des Himalaya - Tien Shan

 

Wie man hierher kommt …

… ich würde sagen, auf einem elendigen Weg! Ehe der Ritt beginnt, muss man die Strecke zwischen Berlin und dem Dorf Barskaun zurück legen. Das ist leicht gesagt, denn es ist nicht einfach, Moskau zu umfliegen. Es sei denn, man fliegt über Istanbul (Turkish Airlines) oder über die Arabischen Emirate (Dubai). Dennoch bleibt einem das hervorragende Service von Aeroflot vermutlich nicht immer erspart, denn die fliegt auch über Dubai, auch wenn nicht über Moskau. Der Flughafen Scheremetjewo ist ein Ort des Grauens und Aeroflot gibt sich Mühe, diesen Ruf der Nachwelt zu erhalten.

Wenn man Moskau einige Stunden hinter sich gelassen hat, so etwa vier, landet man in Bischkek, der Hauptstadt der Republik Кыргызстан, Kyrgysstan. Sie wurde früher nach einem russischen General, einem Vertrauten Lenins, Frunse genannt. Der Flughafen Manas erinnert heute allerdings eher an einen anderen Ort - Luftwaffenstützpunkt Wright-Patterson (Dayton, Ohio). Für einen Obolus von 500 Mio Dollar benutzen die Amerikaner den Flughafen der früheren Sowjetrepublik als Stützpunkt, jetzt für den Krieg in Afganistan, später ?? Dafür halten sie die Klappe, wenn die Russen das kleine Volk der Tschechenen systematisch vernichten. Terrorbekämpfung darf doch jeder Staat ausüben?

In Manas stiegen neben uns eine italienische Dame, die wohl den Flieger verwechselt hatte, da sie eher an die Côte d’Azur passend gekleidet war, und viele recht verwegen gekleidete sportliche Figuren aus. Als wir hörten, wo die hin wollten, schrumpfte unser Gefühl vom ganz großen Abenteuer auf nüchterne Dimensionen zusammen: Die Sportler wollten auf Siebentausender klettern, während unser Dach bei 4.000 m gedeckelt war. Zum Glück wollte niemand Richtung Himalaya. Da wären unsere Träume noch einmal zusammen geschrumpft.

Von Manas aus muss man zu unserem Basiscamp etwa sechs Stunden mit dem Auto fahren. Während sich Manas wie Bischkek auf einer unendlichen Ebene befinden, liegt Barskaun direkt am Fuße der Berge. Bevor man dort ankommt, muss man zuerst die Stadt Bischkek und vorher und danach ihre Ausläufer durchqueren, Kilometer weit Stände von Melonenverkäufern passieren. Endlich draußen?

Es folgen noch viele Städtchen und Dörfer, es geht bergauf zu einer Stadt, vor deren Betreten die Autos Maut zahlen müssen. Oder war das eine Militärkontrolle? Nach etwa drei Stunden erreicht man einen Ort am See, Issyk Kul. (Eigentlich heißt der See auch so.) Bevor man die Stadt erreicht, merkt man an der Häufung der Verkaufsstände, zuerst Kımız, dann Früchte, danach Stockfisch, dass man sich einer menschlichen Ansiedlung nähert. Einer in der Nähe des Wassers.

Danach geht es noch weitere drei Stunden durch eine „gemischte“ Landschaft, links grün, mit hohem Gras oder gar mit Bäumen, rechts mit wilden Hügeln. Ein Vorgeschmack auf das, was noch kommt. Weit hinten sieht man die Berggipfel mit Schnee oder Gletschern. Zur Linken, weit hinter dem See, grüßen die noch höheren Berge von Kasachstan.

Man passiert Ortschaften zum Teil mit russischen, zum Teil mit türkischen Namen. Stalin soll hier Russen angesiedelt haben, die die Einheimischen Richtung China abgedrängt haben. Sie sind aber später zurück gekommen und sind auf die einstigen Kolonialherren aus China nett anzusprechen. Falls ich es richtig verstanden habe, hat ihnen die sowjetische Herrschaft etwas gebracht, was sie gut gebrauchen können: Die weiten Täler im Gebirge und die Herden darauf gehören einer Gemeinde, die eine Familie als Schäfer und Hüter den Berg hoch schickt. So muss nicht jeder seine drei Pferde und fünf Schafe nach oben treiben. Eine Familie oder Sippe beherrscht dann viele Kilometer Alm. Sie kommt im Herbst mit den Herden zusammen zurück in das Dorf, wo die Kinder die Schule besuchen.

Kurz bevor man Barskaun erreicht, führt die Straße am See vorbei. Man könnte sich in vielen Ländern vorstellen, wenn man am Wasser steht und den Badenden zuschaut. Doch die Kulisse mächtiger Gebirgszüge auf der anderen Seite, Kasachstan, und die Hänge der Berge im Rücken, die ebenso Schnee bedeckt sind, zeigt deutlich, wo man ist: Nördlich des Tarım Beckens und der Takla Makan Wüste bzw. am Ende des mächtigsten Gebirgssystems der Welt, zu dem auch der Himalaya gehört. Allerdings fällt hier alles eine Nummer kleiner aus, die Berge erinnern eher an die Pyrenäen denn an die Alpen.

In der Hoffnung, dass sich der Badetourismus weiter entwickelt, werden derzeit Resorts am Wasser gebaut, deren Architektur an Jurten und an kirgisische Denkmäler erinnert. Das Wasser des Sees bedeutet vielfachen Segen für die Gegend. Zum einen für die Landwirtschaft, die in der trockenen Steppe anders keinen Erfolg versprechen könnte. Zum anderen wärmt der See die Gegend auf, weil er eine eingebaute Heizung hat. Selbst in schlimmen Wintern soll er nicht zufrieren. Isık heißt Wärme.

Das Dorf produziert Unmengen Obst, vor allem Äpfel und Aprikosen. Als wir ankamen, wurden wir von einem LKW aus Jülich überrascht, der mit leeren Obstkisten beladen war. Die Dorfbewohner holten sich die Kisten ab und lieferten sie voll wieder ab. Die restlichen Äpfel fanden in unseren Pferden dankbare Abnehmer.

In Barskaun angekommen wurden wir in einer großen Jurte zum Essen eingeladen. Sie ist von einem örtlichen Künstler gefertigt worden, der Jurten selbst in die USA exportiert. Bestimmt nicht für die Indianer, weil deren Tipis anders aussehen. Die Jurte ist ein Rundzelt, das von einer kunstvollen Holzkonstruktion in Form gehalten wird. Die Öffnung oben in der Mitte dient hauptsächlich als Beleuchtung, denn das unvermeidliche Ofenrohr wird etwas weiter zur Seite geführt. Das Feuer wird auch nicht mehr auf dem Boden angezündet, sondern in einem Herdofen. Allerdings hat sich der Brennstoff in höheren Berglagen nicht verändert: Kuhmist. Getrocknet.

Für die Gäste wurde an einem niedrigen Tisch gedeckt. Man kann daran nur im Schneidersitz würdevoll essen. Dies fiel uns leider nur für kurze Minuten leicht. Der Tisch erlaubte es aber, seine Beine relativ unbemerkt darunter zu schieben. So haben wir das erste Essen halbwegs würdevoll hinter uns gebracht.

Den ganzen Nachmittag prüfte der Hufschmied den Sitz der Pferdeschuhe. Am nächsten Morgen hieß es dann früh aufstehen, weil die Pferde gesattelt werden sollten. Und das Gepäck in den Satteltaschen verstaut. Regendicht - der kommt garantiert!