Fini

 

Meine Tage auf Nosy Be neigten sich ihrem Ende zu. Was denn sonst? Soll man hier etwa alt werden? Ich spielte mit kleinen Mädchen auf dem Sand, die hübsche Figuren einzeichneten, und wieder welche, nachdem die nächste Welle sie weggenommen hatte.

Besonders angetan hat mir die Treibjagd, veranstaltet von Frauen und Kindern. Zwei von ihnen zogen eine Tüllgardine hinter sich her, während die anderen in gemächlichem Schritt die Tiere da hinein jagten. Gewiss, keine sehr effiziente Methode, um satt zu werden. Nachhaltiger als unsere ist die aber bestimmt. Die Sache erinnerte mich an meine Kindheit, als eine sinnlos zusammen gekaufte Fischereiflotte am Schwarzen Meer vor sich hin rostete. Die Journalisten schrieben damals, die Fischer wären einfach zu blöd, um moderne Technik effizient einzusetzen. Jetzt sind die nicht mehr so blöd - viel effektiver fällt der Fang aber auch nicht aus, weil die zur Intelligenzia mutierten Fischer einfach alles weggefangen haben, was sich bewegt hat.

Die Prozession von Frauen und Kindern bewegte sich langsam von einem Ende der Bucht zum anderen und wieder zurück. Es blieb selten etwas in dem Netz hängen. Gesund war die Tour aber allemal, besser konnte Dr. Kneipp sie auch nicht einrichten. Einmal fingen sie sogar einen Rochen, den ich mit etwas Geld auslösen wollte. Dann erinnerte ich mich an die Vögel, denen wir früher auf dem Markt die Freiheit schenkten. Das kostete uns etwa das Taschengeld für die halbe Woche und brachte dem Vogel ein oder zwei freie Loopings, bis er wieder beim Geiselnehmer gelandet war. So ließ ich die Finger von der Rettungsaktion und der Rochen landete auf einem Grill.

Unter meinem Balkon tobte die Sonntagsparty, wie jeden Sonntag. Da kommt alles, was weder Rang noch Namen hat, zusammen und feiert den Nachmittag. Nicht den, an dem man kein Bier bekommt, weil die Regierung einmal die Woche Abstinenz verordnet. Der ist  am Mittwoch! Sonntag ist Volkstag.

Am letzten Morgen saß ich wie jeden Morgen am Strand und guckte über den Sand. Die Küche, in Form einer netten Frau namens Nathalie, bereitete mir zwei Spiegeleier und etwas Butter auf Baguette, wie immer. Ganz so wie immer war es doch nicht, jedenfalls nicht nach Poseidon. Er hatte sich was Nettes ausgedacht für mich, einen Regenbogen. Nein einen doppelten.

Meine Angeln, die Versager, ruhten bereits in ihrer Kanalröhre, die sie vor Beschädigungen schützt. Haben die das verdient? Beinahe nichts haben sie gefangen in zwei Wochen. Die Damen, die mit ihren Körben auf dem Kopf mit der Hüfte wippend an mein Tisch kamen, um mir Pfeffer oder Vanille zu verkaufen, hatten wohl gehört, dass ich abreise und deswegen wohl nichts kaufen werde. Sie passierten meinen Tisch in weiter Entfernung.

Nathalie legte sich ein trauriges Gesicht auf, als der Taxifahrer mich ansprach. Es war Zeit, Abschied von der Zeitlosigkeit zu nehmen. Ganz Abschied von der Zeit selber konnte ich auch auf Nosy Be nicht nehmen. Zwar zwang mich nie jemand zu einem Rhythmus. Wenn ich aber ein kühles Bier wollte, musste es etwa zwei Stunden nach der letzten Stromzuteilung sein, und nicht später als drei Stunden nach dem Stromausfall. Wer will warmes Bier oder alternativ kalten Kaffee trinken?

Nachdem das Gepäck in dem fahrbaren Schrotthaufen verstaut war, hieß es Abschied nehmen vom feinsten Touristenstrand von Madagaskar. Das Taxi schwamm polternd über die Schlaglöcher - und wir hatten Asphalt unterm Pneu.

Wer Fischer für die Sargnägel der Fische hält, sollte sich dieses Bild angucken, wo Frauen mit einer Tüllgardine zu sehen sind, die eine Art Treibjagd auf Meeresbewohner veranstalten. Ganz schön primitiv! Zivilisierte Leute hingegen orten den Fisch mit Radar und Sonar und rücken dem mit Kilometer langen Netzen oder gar 50 km langen Paternostern zu Leibe. So wurde 90% des Fischbestandes der Welt zu Braten und Hundefutter verarbeitet, nachdem er sich über 50 Mio Jahre aufgebaut hatte.

 

Zur Feier des Tages

Nach einer sehr netten Fahrt, auf der ich meine letzten Fotos noch schießen durfte, gelangte ich an den internationalen Flughafen von Nosy Be. Da ich den Bomber auf keinen Fall verpassen durfte, war ich früher als zwei Stunden vor Abflug, wie vorgeschrieben, vor dem Flughafen. Ich platzierte meinen Rucksack und die Tauchtasche so ungeschickt vor dem Eingang, dass niemand mich überholen konnte im Wettlauf zum Schalter. So wurde ich als erster abgefertigt, ich meine, angefangen abgefertigt zu werden.

Zwei recht hübsche Damen saßen an einem Tisch, der so etwas wie einen Abfertigungsschalter simulierte, und guckten sehr ernsthaft drein. Ihre Gesichter verdüsterten sich, als die Waage 37 kg anzeigte. Da ich zu meinem Gepäck noch 10 kg Tauchzeug mitschleppen durfte, wären die 7 kg Übergepäck eigentlich nicht der Rede wert. Bei meiner letzten Reise hatte ich sogar eine 40 m lange Trosse mit 44 kg Gewicht ins Flugzeug geschleust, obwohl ein Gepäckstück nicht mehr als 32 kg wiegen darf. Non, nöö oder njet - hier geht es nicht. Die Damen zeigten mir einen Zettel mit einer 100 darauf und meinten, ich müsste so viele Euros berappen, damit mein Übergepäck - hauptsächlich die Tischdecke von Madame Didier und Vanille - europäischen Boden betreten durfte. 14,29 € per Kilo! Die spinnen, die Madegassinnen!

Zuerst berief ich mich auf meine Unkenntnis der französischen Sprache, wurde aber von einem Deppen geholfen, der dafür auch noch einen Dank ernten wollte. Dann zückte ich meine EC-Karte, die in diesem Land nicht mehr wert ist als eine benutzte Zahnbürste. Die Quälgeister gaben immer noch nicht auf. Da mir die Sache zu dumm wurde, habe ich am Ende doch meine Visa-Karte hingelegt. Da wurden sie netter, aber blieben unerbittlich. Sie konnten mit der Karte nichts anfangen, weil auf diesem Flughafen kein Kartenleser existiert.

Ich bot den Erynnien als Friedenssignal einen Fünfziger an, den sie mit Kopfschütteln ablehnten. Hundert Euro oder du bleibst hier! Um ihrer Forderung mächtig Nachdruck zu verleihen, ließen sie mein Gepäck aus dem Flieger wieder ausladen und vor mir aufstapeln. Schluss mit der Geduld! Ich setzte mich vor den Tisch auf den Boden, rückte den Hut auf die Nase und deutete an, die Damen mögen mir ein Taxi bestellen, damit ich wieder zurück nach Hell-Ville fahre. Vorher sollten sie aber die Polizei verständigen, damit sie mein Visum verlängert. Die Quälgeister ließen sich dennoch nicht erweichen - und auch ich blieb hart. Ich zeigte ihnen die leere Brieftasche und deutete an, dass die République de Madagascar mich auch noch füttern muss. Alle Zuschauer lachten. Die geballte Humorlosigkeit ließ aber nicht einmal ein Lächeln über´s Gesicht huschen.

Am Ende wurde mein Übergepäck auf 3,5 kg reduziert, natürlich nur auf dem Papier, und ich durfte als letzter die Maschine besteigen. Ob die 3,5 kg plus das Gewicht des 50 Euroscheins, den ich zurück lassen musste, das Flugzeug zum Kentern gebracht hätten, darf ich bezweifeln. Es waren nämlich ganze 11 Figuren darin. Wo sind die anderen geblieben? Doch von Pest und Cholera dahin gerafft? Zum Glück nicht, wer soll denn zu Beginn der Saison zurück fliegen? Vielleicht haben manche eine Pirogge Richtung Europa genommen, um kein Übergepäck zahlen zu müssen. MadAir!

Die Erinnyen