Hauptstadt halbe

 

Da die Hauptstadt der Malediven aus den Nähten platzt, hat man sich bereits seit langem überlegt, wie man das knappe Land vergrößern könnte. Seit meinem letzten Besuch hat sich wohl viel getan. Man hat sich zum einen überlegt, Land zu kaufen und hat Anfragen an Indien oder Sri Lanka gestellt. Zum anderen hat man den Holländer gegeben und einfach neues Land aufgeschüttet. So wohnten wir die erste Nacht nicht auf der Aisha, sondern auf einem Land, das sich bei meinem letzten Besuch noch teilweise unter Wasser befunden hatte (Sand, eigentlich Korallenschutt) und teilweise auf Sri Lanka (Baumaterial, Steine). Jetzt bilden sie vereint eine Erweiterung der Insel Hulhule, die in ihrer ganzen Länge als Landepiste dient. Die neue Stadt heißt Hulhulemale und wächst wohl ständig in neue Dimensionen. Ende November 2011 wurde noch Sand aufgeschüttet.

Da die Aisha noch unpässlich war, verbrachten wir eine Nacht in einem kleinen Hotel, das sehr neu wirkte. Es befindet sich an einem schönen Strand, der leider nicht so gut aussah, weil der Wind den Regen ab und an über den Sand fegte. Die Reise hatte nicht unter einem guten Stern begonnen. In der ersten Nacht sahen wir keine davon. 

Hulhulemale ist mit einer Buslinie mit dem Flughafen verbunden, und mit Fähren mit Male, der echten Hauptstadt. Wie man sieht, ist die bis zur Kante bebaut. Was uns beim Spaziergang in Hulhulemale und in Male überrascht hat, war das nebeneinander von Glanz (z.B. neue Prachtgebäude, teure Läden, neue Wohnhäuser) und Müll. Die Malediver scheinen jede verfügbare Ecke mit Müll vollzustopfen. Für mich wirkte die Sache verheerend, weil ich nur wenige Wochen davor in Monument Valley in Arizona gewesen war, wo die Amis einem nicht einmal erlauben, in die Landschaft zu p… Und nun das! Ich hatte zwar schon mal erlebt, dass man die Kloake in die Lagune leerte. Aber so?

Male, einst ein verpenntes Städtchen, brummt heute. Nix mit Palmen bewachsene Insel, deren Bebauung hinter den Palmen verschwindet. Man hat sogar ein Hochhaus vor die Moschee gestellt, die man nicht mehr so golden sieht. In den Läden kann man alle Produkte der Konsumgesellschaft erwerben, so man das nötige Kleingeld sein eigen nennt. Man ist nicht mehr arm. Jedenfalls nicht die Bürger von Male, die früher das ganze Tourigold wie ein Staubsauger aufgesogen haben.

Nachdem wir ins Hotel gezogen waren, sind wir in ein kleines Restaurant gegangen, das einen großen offenen Raum hatte. Da die Gäste alle Einheimische waren, wäre dieser Ort bestimmt gut für uns gewesen. Als wir uns aber hinsetzen wollten, kam ein Inder und führte uns vor das Gebäude, wo wir neue Tische vermuteten. Er führte uns aber in einen geschlossenen Raum, der auch ein Restaurant war. Irgendwie komisch. Das Essen indes war nicht so komisch. Man hätte auch gut darauf verzichten können… Die Malediven außerhalb bestimmter Inseln sind kein Gourmetparadies. Immerhin haben sie es geschafft, Leute ins Land zu holen, die kochen können.

Um Male und Hulhulemale herum befanden sich einst die ersten Highlights des Taucherlebens, so auch das Dorf von Club Med. Heute guckt das ehemalige Taucherparadies des Club Med auf einen Hafen, in dem kein einziges Schiff zu erblicken ist, das in diesem Land einst majestätisch seine Bahnen zog: Segel-Dhoni. Leute, die bereits lange in dem Land lebten, glaubten sogar, ich würde mir diesen Bootstyp zusammen spinnen. Die gab es wirklich.

Hat sich der maledivische Staat größte Mühe gegeben, den fremden Einfluss auf die einheimische Bevölkerung zu verhindern, so kann man dem nur geringen Erfolg bescheinigen. Die Menschen sind halt ziemlich gleich. Autos wollen sie haben, auch wenn die Piste nur 2 km lang sein kann. Und die Jugendlichen sausen mit Mopeds durch die Gegend. Allerdings sind die meisten so leise, dass man sich wundert, ob deren Motoren überhaupt an sind. Sie sind.

Und die Malediver sind ein nettes Volk geblieben. Sie lieben ihre Insel, sie sind stolz auf ihre Familie. Wer dieses Land aus der Nähe erlebt, will nie wieder in Länder wie Ägypten reisen, wo einem tausend Hände mit Backschischwünschen entgegen gestreckt werden.

Ob sie von den Einflüssen von „Freunden“ verschont bleiben können? Bei uns im Hotel fand ich ein Buch eines türkischen „Philosophen“, der seine Ideologie überall über Schulen und Bücher verbreitet. Der Mann ist kultiviert und intelligent. Während die westlichen Medien Bilder von Kerlen mit dem Sprengstoffgürtel um den Bauch und Mullahbart verbreiten, erobert er die Köpfe der Leute auf kluge Art. Im eigenen Land ist er verschrieen, man wirft ihm Fahnenflucht vor, weil er in Amerika lebt. Er aber lässt sich nicht beirren. Er scheint zumindest einen Fuß in der Tür der Schule zu haben, die die türkische Regierung als Hilfe für die Schäden des Tsunami hat bauen lassen.

Was mich hier gewundert hat, ist die Einhaltung des Verbots von Alkohol. Während die in Saudi Arabien hinter jeder verschlossenen Tür saufen, habe ich auf den Malediven keinen einzigen gesehen, der Alkohol trank, wo er doch auf den Schiffen oder den Touri-Inseln leicht Zugang findet. Vielleicht trinken sie doch, aber unheimlich heimlich.

Hulhulemale wächst zu einer Hauptstadt halbe heran. Der Aufbau ist noch lange nicht abgeschlossen. Man könnte hier auch Strandurlaub machen, weil die Hotels so billig sind. Ob man dafür aber für 800 € und mehr fliegen möchte? Derzeit sind die Strände den Einheimischen vorbehalten, weil die Touris nur eine Nacht bis zum Flug hier bleiben. Mal sehen, wie sich das ändert. Ich selbst werde das wohl nicht mehr sehen wollen, weil mir die Taucherinsel mit Reis und Fisch mittags und Fisch und Reis abends lieber ist. Davon soll es in Indonesien noch viele geben.


Das Verschwinden der Segel-Dhonis ist symptomatisch für die Entwicklung des Insellandes. Erst kommen die Fremden, weil sie das Land ach so exotisch finden. Dann versuchen sie, alles so einzurichten, wie sie sich das so wünschen. Wenn der Hafen so aussieht wie der in Hamburg, und die Palmen Zuflucht suchen müssen im Botanischen Garten, und die Ferienhütten aussehen wie heimische Reihenhäuser, rümpfen sie die Nase. Natürlich möchte jeder sein Handy benutzen. Warum auch nicht? Was aber mit den Sendetürmen, die alle größeren Inseln zieren? Wer möchte bei 30º und mehr in so natürlichen Räumen leben? Her mit der Klimaanlage! Was aber ist mit den Dieselschwaden?

Schluss. Wer 9.000 km hin und 9.000 km zurück fliegt, um zu tauchen, sollte sich nicht allzu weit aus dem Fenster hängen.