Dunkel, dunkler, kein Licht …

 

… und warmes Bier!

Diese Seite geht ohne Bilder ab, jedenfalls fast ohne, weil man bekanntlich im Dunkeln nichts sieht. Wirklich? Vielleicht denkt da einer anders, wenn er das hier liest.

Wir Menschen sind Kinder des Lichts, versuchte einst ein Freund zu erklären. Mir muss man das nicht erklären, ich bin Lichtingenieur. Was aber, wenn es kein Licht gibt? Wo gibt´s denn so was? Auf Nosy Be! Das Diesel-Monster in der Hauptstadt liefert nämlich nur dann Strom, wenn es will. Als ich da war, wollte es Madirokely leider nur dann beliefern, wenn niemand seine Leistung braucht. Wenn die Nacht einbrach, brach seine Versorgung zusammen, häufig auch vorher.

Mich hatte es nicht unvorbereitet getroffen, weil man mich bereits vor der Entscheidung für die Reise informiert hatte. Ich hatte aber gedacht, mich könne nichts erschüttern, weil ich in einer großen Stadt aufgewachsen war, in der die „moderne“ Stromversorgung immer bei den Abendnachrichten zusammenbrach. Dass ich seit langem in einer Stadt lebe, in der die verdammte Stromversorgung (und die Gasversorgung) nach der „Gänsebratenspitze“ berechnet wurden, ist nur ein Zufall. Dieser welthistorisch einmalige, ich meine, jährlich einmalige, Vorgang fand in Berlin-West, der selbständigen politischen Einheit, statt. Diese hatte ein Staat namens DDR gänzlich von dem Stromverbund in Europa abgeschnitten, so dass man seine eigenen Brötchen backen musste. Die Berliner hatten sogar eine eigene Wasserversorgung mit Handpumpen, reichlich verschnörkelt und verziert. Die besagte Gänsebratenspitze schlug mit voller Wucht am ersten Weihnachtsfeiertag zu, wenn alle Hausfrauen von Berlin die Gans gleichzeitig, na ja etwa gleichzeitig, in den Ofen schoben. Es gibt ein Leben nach Weihnachten, aber nicht für Gänse …

Nächte ohne Ende

Nun ja. Auf Madagaskar gibt es keine Weihnachten, sondern Noël. Die Madegassen besitzen keine Gänse, sondern höchstens Zebus. Da die meisten so arm sind, dass sie sich weder Zebu noch Gans als Braten leisten können, dürfte das Problem mit dem Strom gar nicht auftreten. Ach, nee! Es war immer da. Irgendwie hat es auch bestimmte Gänse getroffen. Nicht gebraten, aber gelackmeiert.

Wie bereits gesagt, haben sich bestimmte weibliche Personen darauf verlegt, den Papies aus Euroland die wertvollen Scheine aus der Tasche zu ziehen. Dazu muss man natürlich erst einmal die Aufmerksamkeit dieser Herren auf sich ziehen. Die Damen hier haben sich auf Pailletten an allen Stellen der Kleidung und der Accessoires versteift. Sobald sie sich bewegen, die Damen, glitzern die Dinger an allen passenden und unpassenden Stellen. Dachten sie.

Ohne Licht glitzern die Pailletten ganz und gar nicht. Niemand ahnt, wo die überhaupt angebracht sind. Auch nicht, wenn man für Ersatz sorgt, dem leider eine bestimmte Eigenschaft europäischer Lichtquellen versagt bleibt: Die hohe Helligkeit. In Europa sorgt eine Armee von Physikern und Lichtingenieuren dafür, dass es nur so glitzert, obwohl man dies bei der Arbeit nicht haben will. Währenddessen müssen die Schmetterlinge der Nacht auf Nosy Be mit dem Licht von Petroleumlaternen zufrieden geben. Sanftes warmes Licht für die Augen, gut für Verliebte, aber nix gut für solche, die es noch werden wollen.

Auf Nosy Be habe ich verstanden, wie wichtig mein Beruf ist. Nächte ohne Licht sind lang, zu lang. Sie fangen etwa um 18:30 an und finden ihr Ende, wenn die Tropensonne es satt hat, hinter dem Horizont zu hängen, so etwa um 6:30, morgens!

Was macht man, wenn die Nacht kein Ende finden will? Und wenn man keine Schmetterlinge mag? Computergames? Fehlanzeige, dazu braucht man auch Strom. Man müsste zumindest die Batterien des Computers voll aufgeladen haben. Auch Fehlanzeige! Trinken bis zum Abwinken? Auch nix. Das Bier wird nach 15 Minuten schal und der gute Wein ist fast so teuer wie in einem guten Restaurant, aber ohne Restaurant. Und Schnaps? Igitt! Ade Alkträume, zu teuer oder zu warm.

In meiner Jugend wurden solche Nächte zuweilen am Ende einer Angelleine verbracht. Wir fuhren aufs Meer hinaus und machten unsere Primuslampen an, auf dass der Blaufisch anbeisst. Dieser sucht seine Beute genau wie die Schönen der Nacht auf Nosy Be in der dunklen Tageshälfte, ist aber viel schlauer. Wenn nachts eine einsame Angelleine senkrecht herunter hängt, sagt sich der Blaufisch, das werden doch nicht Pailletten sein, die so glitzern? Viele Millionen Tierchen leuchten in der dunklen Nacht, wenn sie berührt werden, so auch von der Angelleine. Daher hat der schlaue Angler seine Lampe, um dem Meeresleuchten Paroli zu bieten. Ansonsten riecht noch schlauere der Blaufisch den Braten und luchst einem künstlerisch wertvoll den Köder ab. Auf Nosy Be hatte aber kein Angler Lust auf solche Spielchen. Vielleicht, weil sie in der Nacht auf andere Fische aus waren.

Was bleibt also? Nichts … Ich saß auf dem Balkon und blickte ins Dunkle. Die wenigen Lichter, die die Leute produzierten, die sich einen Generator leisten konnten, habe ich allerdings verflucht. Sie störten das Teuerste, das wir uns leisten können, einen unendlich großen dunklen Raum. In unseren Ländern gibt es kaum mehr Menschen, die jemals im Dunklen gewesen sind. Überall wo wir sind, gibt es Licht, und häufig auch noch Musik. Auf Nosy Be erlebte ich wundervolle Nächte, die ohne Licht und Musik abliefen, Dank dem Dieselmonster ohne Biss!

Dunkel ist allerdings sehr relativ. Auf der Welt existieren nur noch wenige Orte, wo richtige Dunkelheit herrschen kann, und das, wenn der dumme Mond nicht scheint. Das Dunkelste im Freien habe ich einst in einer mondlosen Nacht auf den Seychellen erlebt, als man Punkt 11 Uhr alle Generatoren abschaltete. Kein Licht im Umkreis von 700 Meilen! Das Allerdunkelste war in Australien in einem Bergwerk nachts drei Stunden ohne Licht. Draußen gab es auch kaum Licht. Als wir aus dem Bergwerk kamen, sah ich zum ersten und vermutlich letzten Mal vier Planeten auf ihrer Ekliptik.

Kann man etwas erleben, wenn man nichts sieht? Ich denke ja. Wir, die angeblich zivilisierten Menschen, sind nicht in der Lage die „vibrations“ zu spüren, die zwischen Menschen oder zwischen der Natur und den Menschen ständig herrschen. Das Sehen zerstört das Fühlen. Die fortwährende Dunkelheit ist so etwas wie das langsame Entwöhnen von Salz. Plötzlich schmeckt man Dinge, die es früher scheinbar nicht gegeben haben kann. Wenn sich das Auge an die Dunkelheit gewöhnt, erlebt man die unendliche Weite des Meeres ins Unermessliche gesteigert. Die Palmen sind zwar nicht mehr so grün, sehen aber nachts wie Zauberbäume aus. Von wegen, nachts sind alle Katzen grau. Die Nacht wird bunter, je länger das Dunkle sie beherrscht.

Die Menschen auf Nosy Be hoffen, dass sich die Stromversorgung verbessert. Ob ich dann dorthin fahren will, glaube ich nicht. Nirgendwo habe ich bislang ruhigere Nächte verbracht und trotzdem so viel erlebt. Wir haben einen Anspruch auf Licht, erzählt uns die Stromlobby. Der Anspruch wird mit allen Mitteln durchgesetzt. So gibt es in Europa Vorschriften, die besagen, am Arbeitsplatz dürfe es nie weniger als die vorgeschriebenen Lux geben. Unser Körper braucht auch die Dunkelheit, ohne die er nicht existieren kann. Allein das künstliche Licht und das Fernsehen haben uns um mindestens zwei Stunden Schlaf gebracht. Täglich!

Wie viele Sterne gibt es am Himmel? Astronomen würden sagen, unendlich viele. Ein Dorfbewohner in Deutschland wird sie auf viele tausend schätzen. Ein armer Großstädter sieht meistens einige blasse Pünktchen, wenn er Glück hat. Aber auch auf fernen Inseln kann man erleben, dass die Leute kaum Sterne sehen, weil die Lichter von Ferienresorts oder Fischereiflotten die Nacht zum Tag machen. Nach einer Stunde im Dunklen und am Wasser, besser noch im Wasser, darf man mit Fug und Recht behaupten, man hätte doppelt so viele Sterne gesehen wie die Astronomen, weil die den Sternenschein im Wasser nicht ins Visier nehmen. Eine dunkle tropische Nacht im oder auf dem Wasser beschert einem eine mit riesigen Diamanten besetzte Himmelskuppel und deren Ebenbild im Wasser. Wer eher Pailletten anziehend findet, kann auf die Reparatur des Diesels von Nosy Be warten.